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Die Nacht ist am dunkelsten kurz vor dem Morgengrauen. Oder: Wenn die Letzten kapitulieren, dann sollte man zugreifen. Gestern Mittag war die Verunsicherung so groß, dass auch ich mich nicht mehr getraut habe, zu Nachkäufen zu raten. Der DAX notierte bei 7.742 Punkten noch deutlich über dem Tief von einer Woche zuvor bei 7.685 Punkten. Doch der Schmerz bei den Anlegern war ungleich größer, die Panik stand vielen ins Gesicht geschrieben.
Selbst unter den Kunden des Heibel-Tickers war die Panik zu bemerken: Binnen weniger Stunden erhielt ich eine Reihe von Kündigungen, sind es sonst doch höchstens ein oder zwei pro Woche. Die Begründungen reichten von "ich habe keine Lust oder Nerven mehr" bis "der Heibel liegt eh immer falsch". Der Frust war nachvollziehbar, eine unserer Positionen rauschte mit Überschallgeschwindigkeit Tag für Tag weiter in den Keller. Ich habe gelernt, mich an solchen Tagen insbesondere mit den Problemfällen des Portfolios zu beschäftigen, und das schlägt auch auf meine Laune. Erst der Blick auf die Gesamtperformance unseres Portfolios baute mich wieder ein wenig auf: Wir hatten weniger verloren als DAX oder Dow Jones. Und an solchen Tagen ist das mehr als man erhoffen kann. Nun, ich brauche Ihnen nicht zu erzählen, dass die Worte des EZB-Chefs Supermario Draghi zu einer fulminanten Rallye führten und die bis dahin trübe Wochenstatistik zu einem Erfolg machte. Die Wochenperformance gibt die zwischenzeitliche Panik kaum wieder, schauen Sie selbst: WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES INDIZES (04.07.2013) | Woche Δ Dow Jones: 14.989 | -0,2% DAX: 7.994 | 0,0% Nikkei: 14.310 | 4,7% Euro/US-Dollar: 1,29 | -1,2% Euro/Yen: 129,20 | 0,2% 10-Jahres-US-Anleihe: 2,50% | 0,02 Umlaufrendite Dt: 1,38% | -0,02 Feinunze Gold: $1.242 | 3,2% Fass Brent Öl: $105,64 | 2,4% Kupfer: 6.856 | 1,0% Baltic Dry Shipping: 1.103 | -2,0% 2,5% in den USA und noch immer nur 1,38% in Deutschland, der Zinsunterschied bleibt sehr groß, dürfte meiner Erwartung nach in den kommenden Monaten sogar noch größer werden. Die US-Notenbank hat die Zinswende eingeleitet, während der Rest der Welt noch am Tropf der Liquiditätsspritzen hängt. In den vergangenen Tagen hatten viele Anleger befürchtet, andere Notenbanken, wie beispielsweise die EZB, könnten dem Beispiel der US-Notenbank folgen und ebenfalls ein Ende der lockeren Geldpolitik ins Auge fassen. Doch diese Befürchtung hat Supermario Draghi zerstreut, er kündigte eine sehr lange Phase der niedrigen Zinsen für Europa an und ließ sogar offen, weitere Zinssenkungen vorzunehmen. Na, was will der Alkoholiker, ähem der Anleger mehr? Das Suchtmittel bleibt reichlich verfügbar. Auch in Japan hat sich inzwischen die Befürchtung als falsch herausgestellt, Abenomics könnten sich verhaltener entwickeln, nachdem die jüngste Sitzung der Bank of Japan nicht mit einer neuen Liquiditätsspritze endete. Und selbst China, die den Geldjunkies einen Denkzettel verpassen wollten, haben inzwischen eingelenkt und mit gezielten Liquiditätsmaßnahmen den Kollaps des Finanzsystems abgewendet. Es sieht mehr und mehr so aus, als sei Ben Bernanke allein auf weiter Flur mit seiner Zinswende und seiner Einschätzung, die US-Wirtschaft erhole sich. Nachdem also kurz zuvor befürchtet wurde, die Welt könne Bernanke folgen, hat sich nunmehr herausgestellt, Bernanke ist vielleicht einen Schritt zu weit gegangen oder hat zumindest diesen Schritt sehr früh angekündigt. Es könnte eine einfache Erklärung dahinter stecken: Bernanke ist amtsmüde. Seine zweite Amtszeit läuft nächstes Jahr aus, und er hatte sich ohnehin nur unmutig zur zweiten Amtszeit bereit erklärt. Nun steht er in den Geschichtsbüchern als Helikopter-Ben, der Geld aus dem Helikopter über dem Volk verstreut, um eine drohende Deflation zu bekämpfen. Das mag in der chaotischen Situation seiner Amtszeit geholfen haben, finanzmathematisch korrekt ist dies jedoch nur, wenn er anschließend die Liquidität wieder aus dem Markt herausnimmt. So will er nun zumindest vor dem Ende seiner Amtszeit den Weg vorzeichnen, mit dem seiner Ansicht nach diese Liquiditätsabschöpfung vorgenommen werden soll. Nun gibt es Diskussionen um seine potentiellen Nachfolger. Weitere Tauben, also ebenfalls Anhänger einer lockeren Geldpolitik, stehen hoch im Kurs. Die Hardliner gelten als Außenseiter. Sollte sich in den nächsten Monaten ein Favorit in den Vordergrund drängen, so dürften seine Aussagen schon bald wichtiger werden als die von Bernanke. Und sollte dieser Favorit zu verstehen geben, dass der von Bernanke vorgezeichnete Weg noch in weiter Ferne liege, dann wäre das wieder ein bullisches Signal für die Börsen. Doch soweit ist es noch nicht. Derzeit erholen sich die Anleger von dem Schock aus Ägypten (Militärputsch), Portugal (Regierung kollabiert) und Griechenland sowie Zypern (die wollen wie immer mehr Geld). Es scheint, als können diese Krisenherde unter Kontrolle gehalten werden. Und das reicht schon aus, um für eine Erleichterungsrallye an den Aktienmärkten zu sorgen. CONNERGY-INSOLVENZ: GLÄUBIGER KÖNNTEN LACHENDE DRITTE SEIN Gläubiger könnten im Rahmen der Insolvenzverhandlungen Mehrheit am Unternehmen erhalten, die anschließend strategisch mehr wert ist als die Anleihe selbst. Gestern Abend sind die Finanzierungsverhandlungen um eine neue Kapitalspritze für das angeschlagene Solarunternehmen gescheitert. Berichten zufolge hat ein Gläubiger der ausgearbeiteten Lösung nicht zugestimmt. Es könnte eine eiskalte Kalkulation dahinter stehen: Gläubiger könnten ihren Einfluss im Unternehmen vergrößern wollen. Conergy hat einen Fehler gemacht: Die Flucht nach vorne wurde auf wenige Großprojekte gestützt. Im ersten Quartal 2013 konnte der Umsatz um 23% gesteigert werden, insbesondere der Auslandsanteil, und dort der US-Anteil des Geschäfts, wurde kräftig ausgebaut. Nur noch 10% werden im inzwischen als in der Branche instabil geltenden Deutschland erwirtschaftet. Doch aufgrund der ohnehin bereits sehr angespannten Finanzsituation war Conergy auf Abschlagszahlungen angewiesen, die schon im frühen Stadium eines Projektfortschritts fällig werde. Doch hierbei kommt es häufig zu Verzögerungen, weil der Kunde den Projektstand in Frage stellt oder sich mit der Bezahlung einfach ein wenig Zeit lässt. Verzögerungen konnte Conergy jedoch vor dem Hintergrund der extrem teuren Flucht nach vorne nicht verkraften, die neuen Projekte zehrten jegliche Liquidität auf, und das Wachstum muss erst einmal finanziert werden. So musste Conergy in diesen Tagen erneut mit den Gläubigern um weitere Kapitalspritzen verhandeln. Der Trumpf von Conergy, Wachstum vorzuweisen, stach jedoch nicht gegen die Einwände der Gläubiger, dass das Wachstum nicht profitabel sei. So sorgte nun ein Gläubiger dafür, dass das Kartenhaus zusammenfiel. Im Rahmen der nun folgenden Insolvenzverhandlungen mit den Gläubigern ist es üblich, die ausstehenden Kredite teilweise in Aktien umzuwandeln. Die Altaktionäre werden lange Gesichter machen, denn nach dieser Aktion werden deren alte Aktien kaum noch etwas wert sein. Die Anleiheeigner hingegen, deren Anspruch vorrangig bedient werden muss, werden sich einen hohen Anteil am Unternehmen sichern. Es ist also durchaus möglich, dass ein Gläubiger sich von einem großen Anteil am Unternehmen mehr verspricht, als von einer teilweise Rückzahlung der Forderung nach einem Schuldenschnitt ohne Umwandlung der Forderung in Anteile. Insbesondere vor dem Hintergrund des exorbitanten Umsatzwachstums in den vergangenen Quartalen, könnte Conergy für strategische Investoren interessanter sein, als eine regelmäßige Zinszahlung auf eine Anleihe. | ||
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis) | ||
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