Alt 09.11.15, 19:43
Standard Ein Blick nach China
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Sehr verehrte Leserinnen und Leser,

die vergangenen Wochen haben den Blick der Börsianer wieder verstärkt auf die Geldpolitik, die Konjunkturdaten und natürlich die Allzeithochs der US-Indizes (siehe z.B. Steffens Daily vom 30.10.2015) gerichtet. Aber war da nicht noch was? Ein Crash oder so? Richtig, im August. Und der Auslöser dafür war angeblich China. Es wird also Zeit, mal wieder auf das Reich der Mitte zu schauen.

Bemerkenswerte Stabilisierung in China

Kurz zur Erinnerung: In der zweiten Hälfte 2014 gab es am chinesischen Aktienmarkt eine Reihe von Deregulierungen sowohl für private als auch ausländische Anleger, die schließlich zu einer kräftigen Übertreibung führten. Nach dem Hoch von Mitte Juni ging es in mehreren Wellen steil abwärts, wobei der Shanghai Composite Index innerhalb von gut zwei Monaten satte 45 % verlor.



Bemerkenswert sind zwei Dinge: Erstens ist eine klare zweiteilige Abwärtsbewegung zu erkennen (blaue Rechtecke). Bei dieser sind in der Regel die beiden Abwärtswellen gleich lang. Genau dazu kam es in China aber nicht, denn die zweite Welle „verhungerte“. Eine solche abgebrochene Abwärtsbewegung ist für sich genommen schon ein recht positives Zeichen. (Hinweis für charttechnisch Interessierte: Dieser Abbruch war eigentlich erst kürzlich anhand des Verlassens des roten Kanals nach oben zu erkennen. Bis dahin wäre theoretisch auch eine dritte Abwärtswelle möglich gewesen.)

Im Fall des Shanghai Composite verhungerte die zweite Abwärtswelle aber an einer neuralgischen Marke, der dicken grünen Aufwärtslinie. Damit wurde – und das ist der zweite bemerkenswerte Punkt – der im Juli 2014 gebildete Aufwärtstrend bestätigt (siehe gelbe Kreise). Die drei Tiefs vom August und September (siehe blaue Pfeile) stellten allesamt nur Fehlausbrüche an dieser Trendlinie dar.

Bearishe Trendbrüche wurden ignoriert

Das ist ein wichtiges Zeichen der Stärke, denn die Anleger nahmen das charttechnische „Angebot“ eines dreimaligen Trendbruchs nicht an. Allerdings erfolgte keiner dieser Trendbrüche hinreichend dynamisch – auch das war schon bezeichnend.

Wie schon erwähnt, bestand im weiteren Verlauf immer noch die Möglichkeit, dass die Kurse wieder zurückfielen, denn der schmale und flache rote Trendkanal war zwar aufwärtsgerichtet, konnte aber zunächst nur als Gegenbewegung, bestenfalls als Ansatz zur Bodenbildung angesehen werden. Zudem näherten sich die Kurse dabei einem starken Widerstand, der Kreuzung der roten Abwärtslinie mit dem wichtigen Niveau bei 3.400 Punkten. In diesem Bereich verlief auch die Oberkante des roten Kanals und verstärkte diese Widerstandszone zusätzlich (siehe roter Pfeil).

Die Kurse scheiterten dort auch zunächst, aber nach einem nur kurzen Rücksetzer, der nicht einmal mehr bis zur Unterkante des roten Kanals ging, erfolgte nun der Ausbruch über alle drei Widerstandslinien!

Erste starke Hinweise auf ein Ende der Korrektur

Nach klassischer Charttechnik gilt mit dem Bruch der roten (= letzten Abwärtslinie) die Korrektur als beendet. Wenn man jedoch die Größe des Anstiegs seit dem Tief betrachtet, ist die Lage keineswegs so eindeutig. So hat der Shanghai Composite noch nicht einmal das 38,2%-Niveau des gesamten Kurssturzes erreicht (siehe gestrichelte Linien). Und mindestens bis zur entsprechenden 50%-Marke – in Einzelfällen auch bis zu 61,8%-Marke – muss eine Gegenbewegung gehen, bevor nach diesem Kriterium ebenfalls Entwarnung gegeben werden kann.

Klar ist, dass eine erneute Schwäche auf Chinas Aktienmarkt auch die etablierten Märkte wieder in Bedrängnis bringen könnte. Andererseits ist es unbefriedigend, jetzt darauf zu warten, bis der Shanghai Composite durch Überwinden der 4.000-Punkte-Marke und der knapp darüber verlaufenden 50%-Linie ein weiteres Kriterium für ein Ende der Korrektur erfüllt. (Bis dahin sind es immerhin noch knapp 12 % Aufwärtspotenzial!)

Hilfreich kann aber die Volatilität sein, die zuletzt mit moderaten Kursbewegungen in dem engen roten Kanal deutlich gefallen ist (siehe unterer Chartteil). Sie erreichte damit das Niveau vom März bzw. Mai dieses Jahres. Beide Male kam es danach zu einem starken Kursimpuls, der jeweils eine der beiden Übertreibungswellen einleitete.

Nun sollte der Volatilitätsimpuls weitergehen!

Derartige starke Kursbewegungen sind sehr häufig eine Folge niedriger Volatilität. So erreichte die Volatilität im Juli 2014 – also unmittelbar vor dem Beginn des jüngsten Booms – den niedrigsten Wert seit 2005. (Danach startete die bis 2007 laufende Mega-Rally, in der sich der Shanghai Composite nahezu versechsfachte!)

Allerdings ist es völlig unvorhersehbar, in welche Richtung ein solcher Kursimpuls geht. Die niedrige Volatilität ist nur Ausdruck der Orientierungslosigkeit der Anleger. Erst wenn diese sich dann eine Meinung gebildet haben und die Kurse in die entsprechende Richtung treiben, lässt sich die Richtung des Ausbruchs erkennen. Und im Falle einer negativen Meinung der Anleger können die Kurse also auch fallen.

Im Shanghai Composite sehen wir aber aktuell einen Ausbruch nach oben. Dieser sollte also entsprechend weitergehen und zu nachhaltig steigenden Kursen führen – es sei denn, nur die massiven staatlichen Eingriffe haben diese Stabilisierung, quasi als Strohfeuer, verursacht. Die wichtigste Marke ist dabei das Niveau bei 3.400 Punkten, das nicht wieder unterschritten werden sollte.

Was jetzt nicht geschehen darf

Es darf jetzt also keinesfalls zu einem Fehlausbruch nach oben und wieder fallenden Kursen kommen. Aber selbst eine Seitwärtsbewegung wäre nun ein eher negatives Zeichen, denn sie weist entweder darauf hin, dass es starke Kräfte gibt, die gegen einen weiteren Anstieg wetten oder dass viele Anleger doch noch nicht von einer nachhaltigen Erholung überzeugt sind.

Wenn es also zu erneuten Turbulenzen auf dem chinesischen Aktienmarkt kommen sollte, dann könnte dies ein Mosaikstein sein, warum auch die US-Indizes an ihren Hochs scheitern. Mit einer weiteren Stabilisierung der Kurse in China haben jedoch auch die Kurse von Dow, DAX und Co. von dieser Seite weiter Rückenwind in der laufenden Jahresendrally.

Mit besten Grüßen

Ihr Torsten Ewert
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