Alt 08.01.16, 18:25
Standard So tickt die Börse: Fehlstart
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Ups, da haben sich Anleger noch nicht einmal richtig auf das neue Jahr eingestellt, und schon ist der DAX mit -7,1% hinten. Und jetzt, wo es passiert ist, gibt es natürlich unzählige Stimmen, die das schon im Vorfeld gewusst haben wollen. Doch Vorsicht, noch ist nichts entschieden. Schauen wir uns die Sache mal näher an.

Bislang ist der DAX lediglich auf die Hochs von August / September zurückgefallen, der 2011 begonnene Aufwärtstrend ist damit noch intakt. Auch ein Abrutschen bis 9.300 würde aus charttechnischer Sicht diese Haussephase noch nicht beenden. Bislang erleben wir also lediglich eine technische Korrektur und noch keine Trendwende.

Zuletzt hatten wir im August und im September 2015 heftige Korrekturen, der DAX wurde damals auf 9.427 Punkte zurückgeführt. Solange wir diese Marke nicht unterschreiten, haben wir "steigende Tiefs", was ebenfalls die Hausse bestätigen würde. Gestern war der DAX auf 9.825 Punkte abgesackt, also noch weit entfernt von den beiden kritischen Marken bei 9.300 und 9.427 Punkten.

Doch schauen wir uns einmal die Gründe für den Ausverkauf an.

AUSGANGSLAGE: EXPLOSIVE RAHMENBEDINGUNGEN IN CHINA

Da ist zunächst mal China. Dort wurde zum Jahreswechsel eine neue Regelung in Kraft gesetzt: "Circuit Breaker" sind Geschwindigkeitskontrollen, die zu große Tagesveränderungen in den Aktienindizes nicht zulassen. So wird die Börse in Shanghai für 15 Minuten ausgesetzt, wenn der Index um 5% gefallen oder gestiegen ist. Sollte der Index sich um 7% ändern, wird die Börse für den ganzen Tag geschlossen.

Das war gleich am Montag, dem ersten Handelstag im neuen Jahr und somit dem ersten Tag überhaupt, seit dem es diese Regel in China gibt, eingetreten. Am Dienstag und Mittwoch hat die Kommunistische Partei den Index durch Käufe im Volumen von 20 Mrd. USD massiv gestützt, doch am Donnerstag erfolgte erneut ein Ausverkauf, und schon nach 28 Minuten wurde der Handel für den ganzen Tag ausgesetzt.

Die 7%-Regel ist problematisch. Die chinesische Börse ist jung und volatil. Da kommen 7%-Bewegungen wesentlich häufiger vor als in Deutschland oder den USA. Setzt man dann den Handel sofort aus, dann nimmt man Anlegern die Chance, auf einen Kursrutsch zu reagieren. Hinter dieser Behauptung steckt meine Überzeugung, dass solche kurzfristigen Schwankungen sehr stark von der Stimmung abhängen und selten fundamentale Gründe haben.

Und um die Weltuntergangsstimmung zu beenden, mit der die Aktien ausverkauft werden, muss man Schnäppchenjäger zulassen. Doch ein Ausverkauf passiert häufig binnen kurzer Zeit. Menschen brauchen ein paar Stunden, um sich über die neue Situation zu informieren und sich eine Meinung zu bilden. Dann kommt man irgendwann zu dem Schluss, dass es sich eben nur um einen "technischen" Ausverkauf handelt und kauft spekulativ zu. Die Kurse beginnen im Verlauf des Tages zu steigen, und da die Verkäufer sich im vorangegangenen Abwärtsrutsch bereits von allem getrennt haben, was aktuell verfügbar war, kommt es idealerweise zu einer starken Gegenbewegung, die den Index im Plus schließen lässt.

So sieht ein typischer Boden aus. Der Index öffnet im Minus, es folgt ein heftiger Ausverkauf im Verlauf des Vormittags, und dann kommen irgendwann spekulative Käufer auf den Plan, die den DAX dann in kurzer Zeit wieder ins Plus drücken. Am Abend schauen sich Anleger den Tag nochmals an und beschließen, dass das Schlimmste vorüber sein müsse und werfen am Folgetag eben nicht erneut alles auf's Parkett, sondern behalten ihre Positionen oder kaufen langsam ebenfalls zu.

Mit der 7%-Regel wurde diese Gegenbewegung in China verhindert. Damit werden am Folgetag zwangsläufig neue Verkäufer den Markt mit Papieren fluten. Das liegt nicht allein an der Stimmung, wie oben ausgeführt, sondern auch an ganz realen Sachzwängen.

In China ist das Zocken auf Kredit wesentlich stärker verbreitet als bei uns. Viele Anleger haben dort Kredite für ihre Aktienkäufe aufgenommen, den Traum vom schnellen Reichtum gibt es auch im Kommunismus. Irgendwann sind diese Positionen unter Wasser, und die Bank fordert entweder mehr Sicherheiten, oder aber führt Zwangsverkäufe durch - ohne Rücksicht auf Kursniveau und Verluste.

Die Ermittlung der notwendigen Sicherheiten erfolgt stets zu Börsenschlusskursen, am Morgen wird der Anleger dann informiert und hat wenige Stunden Zeit für seine Verkäufe. Schließt die Börse also mit einem Minus von 7%, wird es am nächsten Tag zwangsläufig neue Verkäufer geben, die den Markt weiter in die Knie zwingen. Lässt man hingegen die Gegenbewegung zu, dann werden viele Anleger am Folgetag die Erleichterung spüren und nicht verkaufen. So ist der Boden für eine nachhaltige Aufwärtsbewegung bereitet.

Gestern Abend hat die chinesische Börsenaufsicht die 7%-Regel wieder ausser Kraft gesetzt, der Handel heute Nacht erfolgte also ohne die Gefahr einer Börsenschließung, wenn zwischenzeitlich einmal ein dickes Minus erreicht würde. Um zu verhindern, dass die durch das gestrige Minus zum Verkauf gezwungenen Anleger heute gleich wieder zu einer Fortsetzung des Kurssturzes führen, entschied sich die Kommunistische Partei erneut für massive Zukäufe. Heute schloss der Shanghai-Index mit einem Plus von 2%.

Reicht das, um die Abwärtsspirale zu durchbrechen? Ich weiß es nicht. Der Shanghai Index rauschte im August 2015 auf ein Tief bei 2.927 Punkten, stieg im Herbst bis auf 3.651 Punkte an und erreichte heute sein Tief bei 3.057 Punkten. Wenn's das gewesen war, dann ist das eine durchaus bullische Ausgangslage für die weitere Börsenentwicklung in diesem Jahr. Doch ob es das gewesen war, das müssen wir erst noch genauer untersuchen.

Ein Grund für den Ausverkauf war unter anderem ein vor sechs Monaten in Kraft gesetztes Verbot, das heute ausläuft. Als im vergangenen Sommer die Diskussion über 7,5% Wirtschaftswachstum oder 7% tobte und die erste Zinserhöhung in den USA in Reichweite kam, begannen institutionelle Anleger, sich von chinesischen Aktien zu trennen. Das ist ein ganz natürlicher Prozess: Wenn sich die Aussichten eintrüben, reduziert man seine Aktienquoten. Auch Großinvestoren suchten vor diesem Hintergrund eher nach alternativen Anlageorten. Die Kommunistische Partei erklärte dieses Verhalten für unpatriotisch und verbot kurzerhand Großinvestoren, große Aktienpakete zu verkaufen.

Inzwischen hat die Fed tatsächlich den Leitzins in den USA erstmalig seit neun Jahren um 0,25% erhöht, und in den vergangenen Wochen wurde seitens der Notenbankmitglieder keine Gelegenheit ausgelassen, um die Aussicht auf bis zu vier weitere Zinsschritte für das Jahr 2016 zu betonen. Während sich also in China das Wachstum verlangsamt, erhöht die Notenbank der wichtigsten Währung der Welt ihren Zins. Gleichzeitig türmen sich in China die Rohstoffe, die Preise purzeln auf Mehrjahrestiefs, was auf den ersten Blick den Eindruck einer sehr schwachen Wirtschaft vermittelt. Es war also abzusehen, dass viele Großaktionäre ihre Aktienpakete nach Ablauf des Verbots auf den Markt schmeißen. Anleger wollten dieser Verkaufsflut zuvorkommen und verkauften ihre Positionen, was in Verbindung mit der 7%-Regel zu diesem verheerenden Ausverkauf führte.

Erschwerend hinzu kommt natürlich, dass Spekulanten diese Situation für sich genutzt haben. Wenn Shortseller es schaffen, den Index um 7% ins Minus zu drücken, dann können sie sich weiterer Verkäufe am Folgetag (siehe kreditfinanzierte Aktienkäufe, die dann unter Wasser sind) sicher sein. Das ist so etwas wie ein kleines Geschenk.

In Deutschland geht man übrigens mit solchen Handelsaussetzungen sehr vorsichtig um. Feste Marken gibt es nicht, eine Handelsaussetzung erfolgt niemals automatisch sondern nur manuell aufgrund von Ereignissen, die eine normale Kursbildung verhindern. In den USA gibt es inzwischen automatische Grenzen, die sind jedoch wesentlich großzügiger gesetzt: Bei 7% und 13% wird der Handel jeweils für 15 Minuten ausgesetzt, erst bei 20% wird die Börse für den Rest des Tages geschlossen.


GEOPOLITISCHE ÜBERRASCHUNGEN

Am Dienstag spitzte sich dann der Konflikt zwischen Saudi Arabien und dem Iran zu. Die Hinrichtungen in Saudi Arabien wurden seitens des Irans heftig kritisiert, die Saudische Botschaft im Iran wurde angegriffen. Saudi Arabien beendete daraufhin jegliche Kontakte zum Iran und zog weitere arabische Länder auf seine Seite, der Konflikt drohte zu eskalieren.

Da die in Aussicht gestellte Aufhebung der Sanktionen gegenüber dem Iran den Ölpreis in den vergangenen Monaten belastete, denn der Iran wird bald wieder Öl exportieren und damit das Überangebot weltweit vergrößern, schoss der Ölpreis vorübergehend in die Höhe. Doch die Rallye dauerte lediglich wenige Stunden, bereits am Abend notierte der Ölpreis wieder im Minus. Gestern erreichte das Öl ein zwölf-Jahrestief bei 32,12 USD/Fass WTI. Erst heute, nach der Erholung in China, zeigt sich auch das Öl wieder stabiler.

Der Umstand, dass der Ölpreis kaum auf die Spannungen zwischen Saudi Arabien und dem Iran reagiert hat, macht mich nachdenklich. Ist der Preisdruck noch immer so groß, dass eine Trendwende in weiter Ferne ist? Oder waren Ölspekulationen gegebenenfalls auch seitens chinesischer Anleger liquidiert worden?

Eine weitere Überraschung wartete am Mittwoch: Nordkorea zündete unterirdisch eine Wasserstoffbombe. Das Säbelrasseln von Kim Jong-un ist bekannt, doch mit diesem Test schaffte er Fakten, die eigentlich Südkorea hätten verängstigen sollen. Doch der südkoreanische Aktienindex Kospi gab nur 1,1% ab, das ist weit entfernt von einer Panik. Ich gehe mal davon aus, dass Südkorea die Gefahr besser einschätzen kann als wir hier in Deutschland.


BISLANG LEDIGLICH TECHNISCHE KORREKTUR

Ich bleibe also bei meiner Einschätzung, dass der Fehlstart ins Jahr 2016 bislang rein technischer Natur ist. Mit besonderer Sorge sehe ich jedoch die Meldungen über die hohe Verschuldung von Aktienanlegern in China. Das ist ein Pulverfass, das jederzeit erneut hochgehen kann. Ausgestanden ist dieses Problem in China mit dieser Korrektur noch lange nicht, es wurde von der Kommunistischen Partei zugeschustert. Wir müssen nun abwarten, ob der Flicken hält.

Gibt es einen größeren Korrekturbedarf für den DAX? Oder gegebenenfalls auch für den Dow Jones? Insbesondere in den USA macht mich nachdenklich, dass die großen Indizes in den vergangenen Monaten nur noch durch exorbitante Kursanstiege einiger weniger Unternehmen wie Amazon, Google und Netflix in die Höhe getrieben wurden. Man spricht von der "fehlenden Breite" im Markt. Ich werde im Kapitel 04 näher darauf eingehen.

Schauen wir uns einmal die Entwicklung der wichtigsten Indizes an:

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES
INDIZES (07.01.2016) | Woche Δ

Dow Jones: 16.514 | -5,2%
DAX: 9.980 | -7,1%
Nikkei: 17.698 | -7,0%
Euro/US-Dollar: 1,09 | 0,2%
Euro/Yen: 128,79 | -1,9%
10-Jahres-US-Anleihe: 2,15% | -0,15
Umlaufrendite Dt: 0,39% | -0,10
Feinunze Gold: $1.101 | 3,8%
Fass Brent Öl: $34,54 | -8,1%
Kupfer: 4.556 | -3,5%
Baltic Dry Shipping: 455 | -4,8%


Der Shanghai Index ist bereits um 14% eingebrochen. Die Indizes der Exportländer Deutschland und Japan gerieten mit -7% ebenfalls unter die Räder. Der Dow Jones hält sich mit -5,2% nur unwesentlich besser. In der ersten Jahreswoche konnte lediglich der Goldpreis mit 3,8% nennenswert zulegen. Die Flucht in den sicheren Hafen führte zu diesem Preisanstieg. Auch die Anleihemärkte profitierten von dem gestiegenen Sicherheitsbedarf, die Preise für Staatsanleihen stiegen, was zu einer sinkenden Rendite führte.

Besonders stark ist jedoch der Ölpreis eingebrochen (-8,1%). Ich habe fast schon den Eindruck, dass wir so langsam den Abgesang für das Öl erklingen lassen können. Elektroautos sind in aller Munde, in Paris wurden die Weichen für eine weitere Reduzierung des Ölverbrauchs weltweit gestellt und regenerative Energien erreichen immer mehr die Wirtschaftlichkeit.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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