Alt 30.07.16, 13:42
Standard So tickt die Börse: Sonne verbrennt Unvernunft
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Komisch: Plötzlich scheint Vernunft einzukehren an den Finanzmärkten. Seit Monaten stolpern wir von einer unerklärlichen Bewegung zur nächsten und nun plötzlich, mitten in der Sommerhitze, reagieren Aktienkurse so, wie sie es sollten. Es scheint, die Sonne hat den Anlegern den Spieltrieb, der für viele unvernünftige Bewegungen verantwortlich ist, ausgetrieben.

Apple, Facebook, Amazon und Google haben diese Woche herausragende Quartalszahlen veröffentlicht. Und was passiert? Die Aktien steigen. Wann haben wir das zuletzt gesehen?

Twitter und Ford veröffentlichen enttäuschende Zahlen und was machen die Aktien? Sie fallen.

Deutsche Bank und die Commerzbank bestätigen meine Schwarzmalerei mit Gewinneinbruch und rückläufiger Kernkapitalquote. Die Aktienkurse fallen.

Der Ölpreis fällt, entsprechend fallen auch die Aktien der Ölkonzerne, inklusive BASF. Im Chipsektor positionieren sich die großen Autozulieferer für den kommenden Boom bei der Elektrifizierung der Autos, Infineon steigt. Adidas veröffentlicht gute Quartalszahlen, die Aktie steigt. Airbus steigt nach guten Zahlen, Samsung erobert die Spitze des Smartphoneolymps, die Aktie steigt.

Aber nicht nur die Aktien reagieren plötzlich vernünftig, auch ganze Märkte verhalten sich so, wie sie sollten. Seit Wochen attestieren wir dem DAX ein moderates Sentiment, frühe Gewinnmitnahmen und starke Absicherungsverkäufe sollten die Rallye am Laufen halten, der DAX stieg diese Woche um 1,2% an. In den USA auf der anderen Seite schäumt das Sentiment seit einigen Wochen über, entsprechend hat der Dow Jones diese Woche 0,3% abgegeben.

IWF ZEIGT EBENFALLS ANFLUG VON VERNUNFT

In diese plötzlich aufkeimende Vernunft kommt David Lipton, stellvertretender Chef des Internationalen Währungsfonds IWF, und führt erstmalig seit der Finanzkrise 2008 / 2009 differenzierte geld- und fiskalpolitische Maßnahmen ins Feld gegen die derzeit herrschende weltweite Wachstumsanämie (https://blog-imfdirect.imf.org/2016...global-growth/).

Nachdem nun neun Jahre mit immer mehr Liquiditätsflutung gegen die verschiedenen Krisen dieser Welt vorgegangen wurde und Krisen wider Erwarten nicht ab- sondern zunehmen, kommt Lipton zu der überraschenden Erkenntnis, dass Geldflutung nicht für alle Probleme die richtige Antwort sein könnte (haben Sie etwa einen sarkastischen Unterton vernommen?). Ob Supermario, Helikopter Ben oder Abenomics, diese Spitznamen sind nicht aus der Luft gegriffen. Und stets polterte der IWF, mehr Geldflutung sei notwendig, um von den Krisen nicht ins Chaos geführt zu werden.

Als Vorbereitung für den G20-Gipfel in China hat der IWF nun ein umfangreiches Dokument erstellt, in dem verschiedene geld- und fiskalpolitische Maßnahmen für verschiedene Situationen abgewogen werden. Für Sie kurz zur Erinnerung: Geldpolitik ist die Geldmengensteuerung durch die Notenbanken, Fiskalpolitik ist das, was Politiker mit Steuersätzen und Konjunkturprogrammen steuern können.

Es ist nicht schwer nachvollziehbar, dass man strukturelle Probleme nicht durch mehr Geld lösen kann. Das haben Sie hier im Heibel-Ticker so oft gelesen, dass Sie es vermutlich nicht mehr hören können. Die Geldpolitik kann im Notfall für die Politik kurzfristig einen Handlungsspielraum ermöglichen, um die der Krise zugrundeliegenden strukturellen Probleme anzugehen. Seit 2008 wurde die Geldpolitik jedoch dahingehend missbraucht, die vorhandenen strukturellen Missstände zu manifestieren und einen überfälligen Kollaps des maroden Systems zu verhindern. Wir straucheln von einer Krise in die nächste, ohne dass die grundlegenden Probleme angegangen werden.

Der wirkliche Dissens bezüglich dieser Situation besteht natürlich nicht in der augenscheinlich einleuchtenden Erklärung, sondern im Timing. Wie viel Spielraum darf die Notenbank der Politik geben, ohne dass sich die Politik in der trügerischen Sicherheit wiegt, die Notenbanken springen im Notfall stets zu Hilfe? Hier hätten frühzeitige klare Signale, dass die Notenbanken am Ende ihrer Möglichkeiten angekommen sind, rechtzeitig politische Lösungen erzwungen. Da dies jedoch nicht geschah, sind die Probleme heute so groß geworden, dass eine politische Lösung in den vorhandenen politischen Strukturen unmöglich erscheint.

Lipton führt nun aus, dass Länder mit unterschiedlichem Entwicklungsstand unterschiedliche Lösungen benötigen. Fortgeschrittene Wirtschaftsregionen wie Australien, Kanada und Deutschland benötigen Infrastukturmaßnahmen, um kurzfristig die Nachfrageseite zu stärken und mittelfristig die Basis für weiteres Wachstum zu legen. Infrastrukturmaßnahmen sind Konjunkturprogramme, vor denen sich Schäuble scheut.

Zudem seien insbesondere in den Ländern Kanada, Deutschland, Japan, Korea, Großbritannien und die USA Arbeitsmarktmaßnahmen erforderlich, um Frauen die Vollzeitarbeit zu ermöglichen. Gleichzeitig müsse man den Arbeitsmarkt in den aktuell verhältnismäßig guten Zeiten liberalisieren, um Arbeitsplatzwechsel zu fördern. Nur so könnten Wachstumsmärkte die erforderlichen Arbeitskräfte bekommen. Dabei entstehen kurzfristig hohe Kosten für den Staat (Arbeitslosenunterstützung), die er sich jedoch in konjunkturell guten Zeiten leisten könne.

In konjunkturschwachen Zeiten hingegen seien protektionistische Maßnahmen erlaubt, um große Kündigungswellen zu verhindern.

Entwicklungsländer, die zumeist nicht so kapitalstark sind wie die entwickelten Länder, sollten ihren Schwerpunkt auf Strukturmaßnahmen legen: Behörden modernisieren, Investitionen ermöglichen und den Arbeitsmarkt liberalisieren, ohne die Staatskasse zu belasten. Unter anderem Geldflutung also.

Wo bereits moderne Strukturen existieren und dennoch kein finanzieller Spielraum mehr besteht, beispielsweise in Italien, solle man sich auf die Deregulierung der internationalen Handelsbeziehungen konzentrieren, um Investitionen zu ermöglichen, Produktion zu steigern und Arbeitsplätze zu schaffen.

Aha: Also auch für Italien ist die lockere Geldpolitik nicht der richtige Ansatz, diese Erkenntnis hat nun auch der IWF. Schäuble mag auf seiner Verweigerungshaltung pochen und Infrastrukturinvestitionen verhindern, solange Italien die europäische Geldpolitik dominiert und damit politische Maßnahmen konterkariert. Es bleibt zu hoffen, dass der IWF seine neue Einsicht auf dem G20-Treffen in China möglichst vielen Akteuren verständlich macht. Und noch mehr hoffe ich, dass diese Erkenntnisse nach dem Sommerloch nicht verschwinden, wenn die Tagespolitik wieder Oberhand bekommt.

Schauen wir einmal, wie sich die wichtigsten Indizes im Wochenverlauf entwickelt haben:

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES

INDIZES (28.07.2016) | Woche Δ

Dow Jones: 18.457 | -0,3%
DAX: 10.275 | 1,2%
Nikkei: 16.476 | -2,0%
Shanghai A: 3.134 | -1,5%
Euro/US-Dollar: 1,11 | 0,6%
Euro/Yen: 116,69 | 0,1%
10-Jahres-US-Anleihe: 1,51% | -0,06
Umlaufrendite Dt: -0,23% | -0,08
Feinunze Gold: $1.336 | 0,4%
Fass Brent Öl: $42,69 | -8,0%
Kupfer: 2.235 | -0,4%
Baltic Dry Shipping: 665 | -8,4%



Der DAX kann weiter anziehen (+1,2%). Der Brexit ist verdaut, nun stürmt der DAX auf zu Jahreshochs. Mir wird dabei schon ein wenig schwindelig. In den USA tritt der Dow Jones nahe seines Allzeithochs auf der Stelle, das nennt sich Verschnaufpause.

Japan hat sich auf eine neue Welle der Geldflutung gefreut. Die heute verkündeten Maßnahmen blieben jedoch hinter den Erwartungen zurück. Entsprechend ist der Nikkei schwach, insbesondere aber der japanische Yen hat gegenüber dem US-Dollar zulegen können, was die Exportnation Japan belastet.

Ich möchte hier wieder einmal an die Carry-Trades erinnern, mit denen sich internationale Anleger günstig in Japan Geld leihen (0%) und dieses dann an den internationalen Aktienmärkten anlegen. Sie haben in den vergangenen Jahren doppelt verdient: Zum einen an den deutlich höheren Dividenden der internationalen Unternehmen gegenüber dem Null-Prozent-Kredit. Zum anderen an der immer schwächer werdenden japanischen Währung. Die Rückzahlung des Kredits war mit weniger US-Dollar möglich, als man seinerzeit für die Kreditsumme bekam, da der Yen gefallen war.

Wenn nun die Geldflutung in Japan hinter den Erwartungen zurück bleibt, dann wird der Yen seine Schwäche beenden und eines der beiden wichtigen Beine des Carry-Trades wird weggezogen: Die Rückzahlung des Yen-Kredits könnte in der Zukunft mehr US-Dollar benötigen, als man für die Kreditsumme erhalten hatte.

Entsprechend zahlen Carry-Trade-Spekulanten ihre Yen-Kredite zurück. Das Geld dafür generieren sie durch Verkäufe von internationalen Aktien, die sie im Depot haben. Der starke Yen ist in meinen Augen nur ein kleiner Vorbote für schwächere Aktienmärkte in den kommenden zwei Wochen.

Der Ölpreis ist eingebrochen (-8%), auch der Baltic Dry Verschiffungsindex hat seine Aufholjagd unterbrochen (-8,4%).
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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