Beitrag gelesen: 10975 x |
||
Bevor ich aus der Evolution der IT die aussichtsreichsten Wachstumskandidaten ableite, lassen Sie mich bitte eine kleine Ehrenrunde in Sachen Geldpolitik drehen.
Gestern hat der Chef der US-Notenbank Jay Powell in einer Rede ausführlich begründet, dass es bis auf weiteres keine Straffung der Geldpolitik geben braucht. Der Grund: die Partizipation am Arbeitsmarkt. Genau mit dieser Begründung hatte ich vor vier Monaten vehement kritisiert, dass Powell weitere Zinserhöhungen vornehmen wolle. Er hatte damals die niedrige Arbeitslosenquote als Begründung geliefert. Wenn der Arbeitsmarkt leer gefegt ist, dann steigen die Löhne und wenn die Löhne steigen, dann ist Inflation nicht weit. Grund genug für Powell, insgesamt vier weitere Zinserhöhungen in Aussicht zu stellen. Ich hatte dieser Argumentation entgegengesetzt, dass es viele Arbeitnehmer in den USA gibt, die in Folge der Finanzkrise 2008 aus dem Arbeitsmarkt ausgestiegen sind. Dazu müssen Sie wissen, dass es in den USA kein so üppiges Sozialprogramm für Arbeitslose gibt wie in Deutschland. Arbeitssuchend meldet sich dort nur derjenige, der sich auch Hoffnung auf eine baldige Vermittlung macht. Zusätzlich gibt es in den USA also immer noch viele Menschen, die in bestimmten Konjunkturphasen kaum Aussicht auf eine Anstellung haben und die sich daher gar nicht erst arbeitssuchend melden. Es gibt also die Kennziffer der Partizipation am Arbeitsmarkt. Die war in Folge der Finanzkrise kontinuierlich gesunken. Wenn nun also die Arbeitslosenquote bereits bei 4% sehr niedrig aussieht, dann heißt das aber nicht, dass die Löhne umgehend steigen müssen, weil es einen Wettbewerb um die bereits angestellten Arbeitnehmer gibt. Vielmehr war es diesmal so, dass nunmehr diejenigen zurück an den Arbeitsmarkt strömten, die in den Jahren nach der Finanzkrise ausgestiegen waren. Die Beschäftigung stieg also, ohne dass die Arbeitslosenquote weiter sank. Unternehmen fanden immer neue Arbeitnehmer unter denjenigen, die sich vor kurzer Zeit noch nicht einmal arbeitssuchend gemeldet hatten. Deswegen stiegen die Löhne auch nicht an. Ich habe schon seit anderthalb Jahren auf diesen Umstand hingewiesen. Das Ausbleiben von steigenden Löhnen ist zum einen auf den fehlenden Produktivitätszuwachs zurückzuführen, zum anderen aber auch auf die steigende Beschäftigungsquote (bzw. Partizipationsrate). Inflation, die von Powell gefürchtet wurde, war also nicht in Sicht. Besser zu spät als nie: Nun hat Powell diesen Umstand ausführlich dargelegt (https://www.federalreserve.gov/news...ll20190228b.htm). Und damit hat er den Märkten ein weiteres Mal signalisiert, dass die Fed mit ihrer Geldpolitik nunmehr weiteres Wachstum gutheißt, was zu weiteren Kursgewinnen an den Aktienmärkten führt. EVOLUTION DER IT Ich bin ein Freund von Schubladendenken, wobei meine Schubladen sehr löchrig sind. Sprich: Ich kategorisiere gerne, bin aber flexibel genug für jede Menge Ausnahmen und Sonderfälle. Doch Kategorien bzw. Schubladen helfen, einen Überblick zu bekommen. IBM hat den Computer in die Industrie gebracht. Arbeitsabläufe wurden automatisiert, jedes Unternehmen hat seine individuellen Arbeitsabläufe mit Hilfe der Computer beschleunigt. Oracle hat Standards für die Speicherung von Daten eingeführt, die Datenbanken von Oracle wurden zum Industriestandard. SAP hat sodann Abläufe standardisiert und insbesondere für die Finanzbuchhaltung für die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften gesorgt. Ich weiß, spätestens jetzt wollen mir Heerscharen von SAP-Beratern den Kopf abreißen, denn SAP kann ja auch Produktionsabläufe und den Vertrieb beglücken, ist in der Cloud und nutzt künstliche Intelligenz. In diesen Bereichen gibt es aber andere, die das besser können. Der Versuch, den Produktionsprozess zu standardisieren, ist nun dreißig Jahre alt und gelingt nur suboptimal. So ist doch gerade die Produktion für viele Unternehmen noch die Kernkompetenz, für die die entsprechenden Module von SAP stark individuell angepasst werden müssen. Der Vertrieb wurde dann irgendwann von Salesforce erobert. Ich habe mich lange gefragt, was Salesforce besser macht als SAP bzw. wie Salesforce den gesamten SAP-Unterbau abdecken kann. Immerhin hat SAP Jahrzehnte lang daran entwickelt. Wie konnte Salesforce diese Jahrzehnte binnen weniger Jahre aufholen? Nun, SAP hat Pionierarbeit geleistet. Unzählige Branchenlösungen waren erforderlich, um unsere Industrielandschaft abzubilden. Unzählige individuelle Anforderungen mussten in standardisierte Abläufe gepresst werden. Das Ergebnis ist ziemlich komplex, aber es ist nun vorhanden. Wenn Salesforce Software für einen bestimmten Kunden aus einer bestimmten Branche anbieten möchte, dann kann man inzwischen die entsprechende Branchenlösung aus der Schublade ziehen und im eigenen System ziemlich schnell nachbilden, oder aber man lässt den Kunden bei der SAP-Lösung und baut die Salesforce-Vertriebslösung nur oben drauf. Der revolutionär neue Ansatz von Salesforce: Man beginnt beim Vertrieb! Während IBM, Oracle und SAP die Unternehmensstruktur von Grund auf erschlossen und die Vertriebsmodule dann das geniale Ergebnis dieser jahrzehntelangen Pionierarbeit darstellten, kehrte Salesforce den Blickwinkel einfach um und fragte, was sich der Vertrieb denn wünsche. Entsprechend der Anforderungen aus dem Vertrieb wurde das Modul dann gestrickt und die erforderlichen Daten wurden aus allen Ebenen der Jahrzehnte alten Pionierarbeit von IBM, Oracle und SAP gezogen. Auf diesem Evolutionsschritt würde ich nun auch noch die Themen Big Date und künstliche Intelligenz ansiedeln. Hier wird die wichtige Frage des Vertriebs beantwortet, wie wir aus den uns verfügbaren Daten bessere Produkte und individuellere Kundennutzen ableiten können. Splunk hat gestern Abend herausragende Zahlen vermeldet, die Aktie springt heute um 4% an. IBM hat sich vor wenigen Wochen RedHat gekauft. Das Unternehmen stellt die Infrastruktur für Rechenzentren zur Verfügung, in denen Big Data / Echtzeitauswertungen erfolgen sollen. In Kalifornien hatte ich die Gelegenheit, einen Blick auf den nächsten Evolutionsschritt zu werfen. Die erfolgreichen Start Ups aus dem Silicon Valley fragen heute nicht mehr den Vertrieb, was er möchte, sondern den Kunden. Uber und Lyft fragen bspw.: "möchte der Kunde ein Auto? Oder möchte er in Wirklichkeit Mobilität?" und bietet den Transport von A nach B an. Twilio fragt: "möchte der Kunde ein Telefonat mit einem Kundenbetreuer führen, oder möchte er ein Problem gelöst bekommen?" und bietet Kommunikation Kanäle von SMS über ChatBots bis hin zu E-Mail an. Uber ist übrigens Kunde von Twilio. Zuora fragt: "möchte der Kunde die teure CAD-Software kaufen oder aber lieber ein monatliches Abo auf den jeweils aktuellen Stand der Software abschließen?" und bietet immer mehr Industriezweigen Abo-Lösungen an. AirBnB fragt: "Möchte der Kunde ein steriles Hotelzimmer oder aber einfach nur ein Bett, das möglichst nah an seinem Zielort liegt?" und vermittelt Zimmer als Bed&Breakfast-Übernachtung, wie sie insbesondere auf den britischen Inseln unter Geschäftsleuten üblich ist. Auch AirBnB nutzt übrigens Twilio. Daher nochmals kurz zu Twilio: Da ist dann plötzlich eine Handy-Nummer verfügbar, über die Sie als Kunde ihren AirBnB-Gastgeber oder Uber-Fahrer kontaktieren können. Per SMS oder auch direkt als Anruf. Der Anruf kommt dann direkt auf dem Handy des Gastgebers bzw. Fahrer an, doch es handelt sich nicht um seine private Handynummer. Vielmehr loggt sich der Anbieter bei Uber ein und bekommt einer Handynummer aus dem Twilio-Universum zugeteilt und die entsprechende Kommunikation wird dann auf sein privates Handy umgeleitet, ohne dass der Kunde seine private Handynummer erfährt. ServiceNow bietet die Administration von Unternehmens-IT über die Cloud an. Lizenzverwaltung, Mastererstellung, Updates und Upgrades, ... Dinge, die für jede IT-Abteilung mit zunehmender Komplexität der Infrastruktur unter den Mitarbeitern (PC, Laptop, Handy, Tablet, ... als Android, Windows, MacOS oder iOs, ...) immer mehr Mitarbeiter bräuchte, allein um die Ist-Situation abzubilden. Dabei bleibt häufig keine Zeit mehr für Neuentwicklungen. Workday kümmert sich um die sich ständig ändernden gesetzlichen Anforderungen an das Personalmanagement, aber vielmehr auch um Indikatoren für die Mitarbeiterentwicklung, Incentives und die immer komplexeren Anforderungen der Mitarbeiterführung. Adobe war Pionier mit seiner Umstellung auf SaaS (Software as a Service), inzwischen gilt Adobe als strahlendes Beispiel für einen erfolgreichen Umstieg von "on premise" auf SaaS. "On premise" heißt "vor Ort" und steht für Softwareinstallationen auf der Hardware des Kunden, im Unterschied zu den Cloud-Lösungen. Durch die Kundenorientierung dieses Ansatzes ist es möglich, dem Kunden vom ersten Augenblick an sämtliche Funktionalitäten zur Verfügung zu stellen, doch nur nach Nutzung abzurechnen. Insbesondere Startups schätzen diese Möglichkeit, denn sie möchten mit einer neuen Geschäftsidee möglichst schnell wie ein vollwertiges Unternehmen wahrgenommen werden, aber nicht an Tag eins Softwarelizenzen bei SAP, Oracle, Microsoft, Adobe, ... kaufen, die dann über mehrere Jahre abzuschreiben sind, ggfls. aber gar nicht benötigt werden. Der Implementationsaufwand der SaaS-Lösungen ist gering, die Kosten werden meist nach Aufwand erhoben. Solange das Startup also wenige Kunden hat, kommt es auch mit monatlichen Kosten aus, die gegebenenfalls nur 7 Euro ausmachen und dennoch das vollumfängliche Leistungsspektrum zur Verfügung stellen. Der Kunde hat von Tag eins ein vollwertiges Produkt vor Augen. Wenn das Produkt bei den Kunden nicht ankommt, kann es nach kurzer Zeit eingestanzt werden. Die Kosten bzw. der Verlust waren dann überschaubar und der Unternehmer kann ein neues Produkt ausprobieren. Etablierte Unternehmen können die vorhandene Infrastruktur der neuen Angebote nutzen, um die Komplexität entsprechender Angebote auszulagern. Man ist damit schneller, wenn man dem Kunden moderne Änderungen näherbringend möchte. Die Idee für diese Evolutionsbetrachtung kam mir übrigens durch ein deutsches Unternehmen: Wirecard. Am Dienstag schrieb ich Ihnen von meinen Erfahrungen aus dem Silicon Valley. ApplePay, GooglePay, VISA, EC-Karte, Bares, ... fast jeder Laden, in dem ich einkaufte, hatte andere Anforderungen. Der eine konnte keine internationalen Kunden abkassieren, der andere akzeptierte nur GooglePay. Wieder ein anderer akzeptierte zwar ApplePay, aber dennoch funktionierte meine internationale Apple-Pay Konfiguration bei ihm nicht. Die Visa funktionierte dann sogar ohne Pin und Unterschrift. Ein Chaos, das aus Kundensicht inakzeptabel ist. Wirecard ist das FinTech-Unternehmen, das sich mit diesen komplexen Strukturen beschäftigt. Für seine Kunden werden die verschiedenen Zahlungswege technologisch eingerichtet, egal ob es sich um mobile Zahlungsmethoden handelt, oder aber um grenzübergreifende Abrechnung. Ich habe die ganze Zeit nach einem Unternehmen gesucht, dem Wirecard Kunden wegnimmt. Einen richtigen Wettbewerber gibt es kaum, lediglich Mitbewerber, die mit ähnlichen Lösungen ähnlich schnell wachsen wie Wirecard (bspw. Adyen aus Holland). Aber ob Visa, Paypal oder WeChat, diese Dienste gehören zu den Entwicklungspartnern von Wirecard. Kunden sind dann Orange oder KLM, die eigene Karten ausgeben, ohne an ihre Hausbank gebunden zu sein. Oder aber Kunden sind auch die Banken selbst, denen die Komplexität über den Kopf wächst. Auch Wirecard hat stets das Projektziel, die Zahlung für den Endkunden so komfortabel wie möglich zu machen. Egal ob mobil, im Internet oder an der Supermarktkasse. Neben dem Internet der Dinge (IoT über 5G), dem autonomen Fahren und Big Data / KI (s.o.) haben wir also den Megatrend Cloud nun etwas deutlicher umrissen und vielleicht hilft das Verständnis, die teilweise exorbitant hohen Bewertungsniveaus zu rechtfertigen. Schauen wir nun einmal auf die Entwicklung der wichtigsten Indizes seit der letzten Ausgabe vom vergangenen Dienstag dieser Woche: WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES INDIZES (28.02.19) Woche Δ Σ '19 Δ Dow Jones 25.916 -0,7% 12,4% DAX 11.516 0,1% 9,1% Nikkei 21.603 0,7% 7,9% Shanghai A 3.080 -0,7% 17,9% Euro/US-Dollar 1,14 0,1% -0,6% Euro/Yen 127,11 1,0% 0,7% 10-Jahres-US-Anleihe 2,71% 0,04 -0,03 Umlaufrendite Dt 0,05% 0,04 -0,05 Feinunze Gold $1.311 -1,2% 2,4% Fass Brent Öl $65,98 1,3% 26,4% Kupfer 6.532 0,7% 8,6% Baltic Dry Shipping 658 3,8% -48,2% Bitcoin 3.834 0,8% -2,2% Der Exit vom Brexit, oder auch Bremain, nimmt Form an. Zumindest ein harter Brexit wird in diesen Tagen unwahrscheinlicher, immerhin kehrt nun endlich im britischen Parlament ein wenig Realismus ein. An den Aktienmärkten wird diese Entwicklung begrüßt, der DAX (+0,1%) hält sich besser als sein US-Kollege (Dow -0,7%). Auch der Euro kann vor diesem Hintergrund ein wenig Boden gegenüber dem US-Dollar (+0,1%) und auch gegenüber dem japanischen Yen (+1%) gut machen. Die Rendite in Deutschland kratzt noch immer an der Nulllinie. Auch in den USA hat sich das Zinsniveau für 10 Jahre laufendes Staatspapiere inzwischen wieder deutlich unterhalb der 3%-Marke stabilisiert. Der Goldpreis scheint vor dem Hintergrund dieser am Aktienmarkt bullischen Verfassung ein wenig zu konsolidieren (-1,2%). Ölpreis (+1,3%) und das Kupfer (+0,7%) jedoch deuten auf eine konjunkturelle Stärke, die vielleicht schon in freudiger Erwartung einer Einigung im Handelsstreit zwischen China und den USA vorweg genommen wird. | ||
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis) | ||
|