Alt 08.06.19, 10:26
Standard So tickt die Börse: Geldpolitische Rettung in Sicht
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Es gibt nicht mehr viele, die Trump sich noch nicht zum Feind gemacht hat: Nach China hat er nun auch gegen Mexiko Strafzölle angekündigt. Indien hat er en passent die Handelsprivilegien entzogen, was gleichbedeutend mit neuen Zöllen ist. Und während Apple seine Entwicklerkonferenz abhält, wird veröffentlicht, dass gegen die Google-Mutter Alphabet und gegen Facebook Untersuchungen eingeleitet werden, die eine mögliche Monopolstellung und Machtmissbrauch näher ausleuchten sollen.

Apple-CEO Tim Cook hat sich direkt anschließend in einem Interview über die vermeintliche Gefahr seitens China geäußert: Er rechne nicht damit, dass China im Rahmen des Handelsstreits gegen Apple aktiv werde. Das hat viele Anleger beruhigt, die Aktie von Apple steigt seither an. Doch bei mir hinterließ der Kommentar einen faden Nachgeschmack: Warum hat Tim Cook sich nicht zu Trump geäußert? Ist das die wirkliche Gefahr für Apple?

Apple hat noch keinen einzigen Arbeitsplatz "zurück in die USA" geholt. Außerdem ist Tim Cook ein Kritiker Trumps. Nachdem Trump in der ersten Hälfte seiner Amtszeit bei jeder Gelegenheit die Aktienmarktentwicklung als positiven Indikator für seine Qualität als US-Präsident heranzog, zitiert er in letzter Zeit immer häufiger Umfragewerte (Gallup approval rate), die ihm wachsende Zustimmung in der Bevölkerung attestieren (Populismus).

Wenn Trump also Handelsstreits mit China, Mexiko und Indien vom Zaun bricht und gleichzeitig auch im Inland gegen die erfolgreichsten Unternehmen vorgeht, dann kann das nur verheerende Folgen für die Konjunktur haben, war die Schlussfolgerung vieler Anleger. Und so setzte sich der Ausverkauf zum Handelsbeginn am Montag fort, Sentimentwerte erreichen Extremwerte. Anleger flüchteten in Anleihen, die Rendite der US-10 Jahre laufenden Staatsanleihen sank auf 2,08%. Erinnern Sie sich an das vergangene Jahr, als die Rendite über 3% gesprungen war und sich Angst vor einer ausufernden Inflation breit machte? Ich hatte damals schon in Aussicht gestellt, dass eher eine stark rückläufige Inflation zu fürchten sei.

Die Konjunkturangst führte auch zu einem anhaltenden Ausverkauf am Ölmarkt. Der Ölpreis ist diese Woche um 6% eingebrochen.

Eigentlich gab es am Montag dieser Woche keinen Lichtblick, die Aktienmärkte standen am Abgrund: Bei 11.620 Punkten verlief die 200-Tagesdurchschnittslinie für den DAX. Ein Unterschreiten dieser viel beachteten Linie führt zu Risikoanpassungen bei institutionellen Anlegern. Es werden Positionen verkleinert, also Aktien verkauft. Doch die Marke hielt, der DAX konnte sich darüber halten und wie so häufig reicht es in einer solchen Situation aus, wenn keine zusätzlichen negativen Meldungen mehr zutage treten. Und genau so war es, mangels neuer negativer Impulse begann der DAX zu steigen.

Es war die mir selbst auferlegte Disziplin, die mich dazu zwang, in so düsteren Situationen den einen oder anderen Kauf vorzunehmen, und so stockten wir unser Portfolio zu Tiefstkursen ein wenig auf.

Seither gab es eine ganze Reihe von positiven Meldungen: US-Notenbankchef Jay Powell hat bekannt gegeben, dass die Fed bereit stünde, den Leitzins zu senken, sofern der Handelsstreit deutlicher Spuren in der Konjunktur hinterließe. Es wird spekuliert, die Einführung des 5%-Strafzolls auf mexikanische Waren könnte verschoben werden. Mexiko schickt nun Soldaten an die Grenze, um der Flüchtlinge Herr zu werden.

Zinspolitik: So sieht eine 180°-Kehrtwende aus! Noch Ende letzten Jahres hob Powell den US-Leitzins an und stellte drei weitere Zinsschritte für 2019 in Aussicht. Es folgte der Chaos-Dezember. Seither hat er die weiteren Zinsschritte zurückgenommen und diese Woche hat er sogar Zinssenkungen in Aussicht gestellt. Über 80% der Volkswirte gehen inzwischen von zwei Zinssenkungen im laufenden Jahr aus.

Es ist ein neues Spannungsfeld zwischen den Marktteilnehmern und Powell entstanden: Powell hat gesagt, er werde den Zins senken, wenn erforderlich. Da er noch vor wenigen Monaten Zinsanhebungen fest eingeplant hatte, würde ich ihm unterstellen, dass er hofft, seine angekündigte Bereitschaft könnte schon ausreichen, das erforderliche Vertrauen im Markt zu erzeugen. Volkswirte rechnen jedoch mit zwei Zinssenkungen, davon ist Powell noch weit entfernt.

So leben wir ab sofort wieder in einer verkehrten Welt: Wenn, wie gestern, schwache Arbeitsmarktdaten veröffentlicht werden, dann ist das ein Argument für die Überzeugung der Volkswirte und setzt Powell weiter unter Handlungsdruck. Schwache Konjunkturdaten werden also bis auf weiteres positiv vom Aktienmarkt aufgenommen, denn sie erhöhen die Chance auf ein bis zwei Zinssenkungen.

...und wie sieht's in Europa aus?

Die Briten haben starke Unterstützung seitens Donald Trump erhalten. Trump ermutigt die Briten zum Brexit, ausstehende Zahlungen sollten nicht geleistet und als Verhandlungsmasse verwendet werden. Das ist öffentlicher Aufruf zum Vertragsbruch, unfassbar.

Denn eigentlich geschieht sowas in Europa hinter vorgehaltener Hand: Italien schert sich seit Jahren nicht um die Verträge von Maastricht. Das Thema ist vor den EU-Wahlen nicht weiter verfolgt worden, ich vermute, weil man es sich in Brüssel nicht mit dem drittgrößten EU-Mitglied verscherzen wollte. Doch jetzt, wo die Wahlen hinter uns liegen, wird flugs das überfällige Defizitverfahren gegen Italien eröffnet.

EZB-Chef Draghi sieht das Ungemach auf uns zurollen und hat daher gestern die Niedrigzinsphase um ein halbes Jahr verlängert. Bislang hatte er versprochen, bis Ende 2019 keine Zinswende vorzunehmen. Gestern hat er gesagt, vor Mitternacht 2020 werde es keine Zinsanhebung geben.

Während man sich in den USA auf Zinssenkungen freut, denn dort hat die Notenbank in den vergangenen Jahren erfolgreich das Zinsniveau angehoben (aktuell 2,25% bis 2,5%) und hat dadurch heute ein wenig Spielraum nach unten, notiert der Leitzins in Europa nach wie vor auf 0%. Die Aussage Draghis wurde daher mit großer Sorge zur Kenntnis genommen. Die Industrieproduktion in Deutschland ist im April mit -1,9% geschrumpft statt wie erwartetet um +0,5% zu wachsen. Der Export ist um 3,7% zurückgegangen. Die Bundesbank hat ihre Wachstumsprognose für 2019 auf 0,6% halbiert.

Auf der einen Seite würde man sich eine stärker stimulierende Maßnahme der EZB wünschen, weil auch in Europa erste Konjunkturindikatoren gen Süden driften, auf der anderen Seite sind neue stimulative Maßnahmen ein weiteres Indiz dafür, dass die europäische Notenbank nicht in der Lage sein könnte, in absehbarer Zeit zu einer normalisierteren Geldpolitik, zurückzukehren.

Was schaffen die Jungs in Brüssel eigentlich? Italiens Defizit einfangen? Nein. Die Sommerzeit abschaffen? Nein. Den Brexit umsetzen? Nein, dazu braucht es offensichtlich die Hilfe vom großen Bruder, den USA.

Was ist eigentlich aus der EU-Wahl geworden? Welche Auswirkung hat eigentlich meine Stimme? Wie schlägt sich der Wahlerfolg der Gründen und der extremistischen Parteien in Europa nieder? Nun, die (alten) Regierungschefs haben eine Kommission eingesetzt, die einen Kandidaten finden soll. An diesem Prozess sind also die nationalen Parteivorsitzenden beteiligt. Nicht beteiligt sind die Grünen, die extremistischen Parteien sowie das (eigentlich frisch gewählte) Europaparlament. Entweder mein Demokratieverständnis lässt zu wünschen übrig, oder aber mit der Demokratie ist es in der EU nicht sehr weit.

Sie sehen, es gibt unzählige schwelende Krisenherde, aber dennoch gab es an den Aktienmärkten diese Woche stark steigende Kurse. Schauen Sie mal:

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES


INDIZES (06.06.2019) Woche Δ Σ '19 Δ

Dow Jones 25.990 4,1% 12,7%
DAX 12.036 2,6% 14,0%
Nikkei 20.885 1,4% 4,3%
Shanghai A 2.962 -2,4% 13,4%
Euro/US-Dollar 1,13 1,8% -0,9%
Euro/Yen 122,53 1,2% -2,9%
10-Jahres-US-Anleihe 2,06% -0,11 -0,67
Umlaufrendite Dt -0,27% -0,02 -0,37
Feinunze Gold $1.346 3,4% 5,1%
Fass Brent Öl $62,78 -2,9% 20,2%
Kupfer 5.832 0,2% -3,1%
Baltic Dry Shipping 1.138 3,7% -10,5%
Bitcoin 7.731 -6,6% 97,1%



In China sucht man meiner Einschätzung nach händeringend nach Gegenmaßnahmen zu Trumps Strafzöllen:

- Strafzölle können kaum noch weiter erhöht werden, der nächste Schritt wäre ein Exportverbot.

- Seltene Erden, Rohstoffe, die existenziell sind für Autos, Handys, die optische Industrie, Medizintechnik und Windräder, werden nur zu einem geringen Teil in die USA exportiert (7,9%), Japan ist der größte Abnehmer (45,2%). Doch Dank globaler Lieferketten würde ein Exportstopp die gesamte Weltwirtschaft treffen, nicht nur die USA.

- Apple ist inzwischen in China genauso stark verwurzelt wie in den USA, also würde man mit Maßnahmen gegen Apple sich ins eigene Fleisch schneiden.

- FedEx wurde jüngst angeprangert, an Huawei adressierte Pakete aus den USA nicht ausgeliefert, sondern zurückgesandt zu haben. Eine Liste weiterer Unternehmen, denen schädliches Verhalten gegenüber chinesischen Kunden unterstellt wurde, blieb bislang jedoch aus.

Es hat den Anschein, dass China derzeit nicht weiter eskalieren kann oder möchte. Das ist beruhigend. Anleger jedoch sehen darin eher eine Schwäche, denn obwohl Dow Jones und DAX diese Woche kräftig zulegen konnten, ist der Shanghai A-Aktienindex um 2,4% abgerutscht.

Ich habe den Eindruck, dass viele Anleger mehr von Draghi erwartet hatten. Draghi hat gestern die Niedrigzinsphase um ein halbes Jahr verlängert, weitere Maßnahmen jedoch nicht angekündigt. Aufgrund der oben beschriebenen Spannungen und Anzeichen der konjunkturellen Abkühlung hätten jedoch viele Anleger sich schon stimulative Maßnahmen gewünscht. Die blieben aus, entsprechend rutschte der DAX nach der Pressekonferenz von Draghi ein wenig ab. Der Euro, der durch stimulative Maßnahmen geschwächt wurde, konnte im Gegenzug zulegen (+1%).

Die Flucht in den vermeintlich sicheren Hafen der Anleihen hält an, die Umlaufrendite ist inzwischen auf historischem Tiefpunkt bei -0,28% angelangt.

Der zweite sichere Hafen, das Gold, ist um 2,4% angesprungen. Der Bitcoin jedoch, der zeitweilig auch als alternative Währung diskutiert wird, konnte seine Zugewinne der Vorwochen nicht halten (-6,6%).
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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