Alt 07.03.20, 17:55
Standard So tickt die Börse: Jay Powells zweiter Fehler
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Ich wollte Ihnen eigentlich vorschlagen, Adidas für Ihren Sohn/ Enkel zu kaufen, oder Disney für Ihre Tochter/ Enkelin. Mein Sohn fragt mich alle Nase lang, wann wir mal wieder die BVB Aktie in sein Depot nehmen. Das alles sind Aktien, mit denen Ihre Kinder/ Enkel, wenn sie mal volljährig sind, viel Freude haben werden. Und später werden viele neidvoll auf die Scharte schauen, die wir derzeit an den Aktienmärkten verursachen, denn es ist eine ausgezeichnete Kaufgelegenheit.

Doch wer kann schon sagen, ob die Aktien, die heute schon günstig sind, morgen nicht noch viel günstiger zu haben sein werden? Wir erleben einen ziemlich technisch getriebenen Ausverkauf, der von Panik verstärkt wird, die durch Jay Powell befeuert wurde.

Jay Powell, der US-Notenbankchef, hat den US-Leitzins um 0,5% auf 1,0 bis 1,25% gesenkt. Kurz zuvor sagte er noch, die US-Wirtschaft sei in robuster Verfassung und das Zinsniveau sei angemessen. Nun hat er gesagt, in den Zahlen, die der US-Notenbank vorliegen, lassen sich noch keine Auswirkungen des Coronavirus erkennen. Aber dennoch senkt er mal den Leitzins, und das nicht nur wie üblich um 0,25%, sondern gleich um 0,5%. Und auch nicht wie üblich auf der nächsten regulären Notenbanksitzung, sondern 14 Tage zuvor, um die Dringlichkeit der Maßnahme zu zeigen, die jedoch volkswirtschaftlich erst nach 6-9 Monaten erste Spuren hinterlässt.

So schürt man Panik.

Was wir nun sehen, ist ein technischer Ausverkauf. Vielen Anlegern ist nicht bewusst, dass der Anleihemarkt um ein Vielfaches größer ist als der Aktienmarkt. Versicherung, Investmentgesellschaften, große Unternehmen, jede Menge institutioneller Anleger stecken den Großteil ihrer Gelder in Anleihen, um mit verlässlichen zukünftige Renditen kalkulieren zu können - auch wenn sie negativ sind.

Jay Powell hat diesen Anlegern nun signalisiert, dass die Situation so kritisch ist, dass er nicht einmal mehr die 14 Tage bis zur nächsten Sitzung warten kann, um der Konjunktur unter die Arme zu greifen. Und Powell hat nicht gesagt, dass dies ein einmaliger Schritt ist und die Auswirkungen des Coronavirus damit abgefangen würden. Nein, er ließ die Tür für weitere Zinssenkungen weit offen. Es wird also schon darüber spekuliert, ob bei der turnusmäßigen Sitzung am 18.3. erneut mit einer Zinssenkung zu rechnen ist.

Entsprechend dieser neuen Zinslandschaft stürzen die Zinsen an allen Ecken und Enden ein: der Zins für kurzfristige Anleihen wurde von der Notenbank gesenkt. Aufgrund der damit signalisierten Konjunkturangst bricht nun auch der Zins für langfristige Anleihen ein. Kurz nach der Zinssenkung rutschte die Rendite der 10 Jahre laufenden US-Staatsanleihe erstmals in der Geschichte unter 1%.

Heute früh fand diese Rendite erst unter 0,7% ihren Boden. Ich wünschte, ich könnte Ihnen sagen, dass bei 0% Schluss ist, doch diesem Irrtum sind wir hier in Europa schon vor längerer Zeit erlegen - aktuell notiert unsere Umlaufrendite bei -0,71%.

Verkehrte Welt: Wenn Sie Ihren Spargroschen mit 5% verzinsen lassen können, dann werden Sie derzeit vermutlich sagen: ich möchte keine Aktien. Das lohnt sich nicht, denn bei Aktien kann man zwar auch mehr verdienen, aber eben auch verlieren. Je höher die Zinsen, desto weniger Aktien werden gekauft. So war das in den vergangenen Jahrzehnten.

In den vergangenen zwei Wochen jedoch war es genau andersrum: Wenn die Zinsen sanken, dann wurden Aktien NICHT im Umkehrschluss attraktiver, sondern sinkende Zinsen waren ein Signal für die Konjunkturangst der Anleiheanleger. Und wenn schon die Anleiheanleger, die wesentlich größere Summen jonglieren, Angst haben, dann bekommen Aktienanleger Panik.

Ein solcher Crash läuft nach bestimmten Mustern ab. Als erstes flüchten die Zocker. Sie haben den Zug ohnehin immer am Abzug und spekulieren gerne mit Aktienindizes. Der Vorteil vom Spekulieren mit Aktienindizes gegenüber Einzelaktien ist, dass der Zocker sich nicht mit Wissen über irgendwelche Unternehmen belasten muss. Ihm reichen bunte Bilder auf dem Bildschirm, um große Summen zu verschieben.

Wenn ganze Indizes so bewegt werden, sieht es für den Privatanleger, der sich nur am Wochenende mit der Börse beschäftigt, ziemlich übel aus: Alles muss raus, ist die Erkenntnis, die er sehr schnell bekommt. Und weil auch Privatanleger inzwischen einer Gehirnwäsche unterzogen wurden, die ihnen weismachen möchte, dass die Auswahl von Einzelaktien "viel zu gefährlich" sei, verkaufen im zweiten Schritt also auch Privatanleger ihre in ETFs und Indexzertifikate gesteckten Spargroschen. Ich nehme an, dass wir diese zweite Welle gerade erleben.

Erst wenn alle verkauft haben, die von Dividenden und Geschäftsentwicklungen keine Ahnung haben, bildet sich ein Boden. Nicht weil andere Anleger die Aktien für günstig halten! Schnäppchenjäger haben in einem solchen Crash keine Chance. Nein, Sie müssen warten, bis alles, was nicht niet- und nagelfest ist, verkauft wurde. Und dann schaut man sich alle Aktien an, die ausverkauft wurden.

Schon nach der ersten Ausverkaufswelle konnten wir sehen, dass einige Aktien sich erholten, andere nicht. Dennoch ist auf Sicht von zwei Wochen aktuell so ziemlich alles unter Wasser - einmal abgesehen von Ausreißern wie Teamviewer oder auch Zooplus (+29%), die sich in unserem Portfolio befindet. Doch Sie werden mir nicht weismachen, dass die Münchener Rück mit zwischenzeitlich -19% genauso stark von den wirtschaftlichen Folgen des Coronavirus betroffen sein wird wie Siemens mit -20%.

Jetzt ist also der Zeitpunkt, sich für einzelne Aktien zu entscheiden: Der Coronavirus wird bei einzelnen Unternehmen wie bspw. der Lufthansa oder der TUI, bei Ceconomy oder bei Continental deutliche Spuren hinterlassen. Wer jetzt Indexzertifikate kauft, der kauft sich auch die Aktien ins Depot, die absehbar Probleme bekommen werden.

CONTINENTAL: REALITÄTSVERWEIGERUNG

Apropos Continental: 45 Mrd. Euro Jahresumsatz werden mit gerade mal noch 15 Mrd. Euro Marktkapitalisierung bewertet. Ist das die überlegene deutsche Ingenieurskunst, die beurteilen kann, dass Elektromobilität keine Zukunft hat?

Ich habe nach den verheerenden Zahlen, die Conti diese Woche vermeldet hat, ein Interview mit einem Vorstand von Conti gesehen, ich glaube es war CEO Dr. Degenhardt, bin mir aber nicht sicher. Er sprach von den verheerenden Auswirkungen des Coronavirus und lobte sodann die Wiederauferstehung Chinas, wo man fest davon ausgehe, dass schon bald wieder 100% der Fließbänder laufen und sicherlich im zweiten Halbjahr ein Großteil dessen, was jetzt ausgefallen ist, kompensiert werden kann.

Ja, das glaube ich auch, dass im zweiten Halbjahr vieles kompensiert wird. Doch wenn das von einem Unternehmen kommt, das mit dem Rücken zur Wand steht, dann liegt das eher wie ein Hilferuf. Der Autoabsatz ist eingebrochen. In China, dem wichtigsten Absatzmarkt der deutschen Autobauer, sogar dramatisch.


Abbildung 1: Entwicklung chinesischer Autoverkäufe


Das wird nicht in zwei, drei Quartalen wieder kompensiert, sondern wird der ums Überlegen kämpfenden Autoindustrie inklusive Zulieferern weiteres, bitter benötigtes Investitionskapital aus der Bilanz schneiden. Solange Vorstände noch eine schnelle Erholung versprechen, bevor der Coronavirus überhaupt seinen Zenit überschritten hat, brauchen wir nicht auf einen Boden der Korrektur zu hoffen.

ZOCKEN ZU GEFÄHRLICH

Wenn wir uns dessen bewusst sind, dass der Crash durch Algorithmen erzeugt wurde, die aus den Zinsmärkten ihre nächsten Schritte ableiten, dann sollte uns auch bewusst sein, dass die Aktien, die derzeit vom Coronavirus profitieren, im Handumdrehen ausverkauft werden können. In den ersten Tagen habe ich entsprechend heftige Schwankungen schon bei einigen Aktien beobachtet.

Immer wieder wird Teamviewer genannt... ich glaube, ich war einer der Ersten, der Teamviewer hier im Heibel-Ticker als Anti-Coronavirus-Aktie vor zwei Wochen vorgestellt hat. Die Aktie war zwischenzeitlich schon über 37 Euro gesprungen, notiert aktuell jedoch 9% darunter. Zoom Video Communications (ZM), das US-Pendant zu Teamviewer, notiert inzwischen 25% unter dem Höchstkurse, der im Rahmen der Panik erreicht wurde.

Die deutsche Serviceware, das US-Pendant ServiceNow und Atlassian sind Unternehmen, die ihren Kunden ermöglichen, die gesamte IT-Infrastruktur per Remote zu verwalten. Twilio, ZenDesk und RingCentral organisieren die Hotline von Unternehmen und stellen sicher, dass alle Menschen, die nunmehr ihre Verträge per Telefon umstellen wollen, Ansprechpartner bekommen. Man sollt meinen, deren Leitungen laufen heiß ... doch die Aktien von diesen Unternehmen brauchen neue Kunden für diese Dienstleistungen, und neue Kunden gewinnt man in diesem Geschäft nicht per Telefon, sondern durch vielfache persönliche Treffen mit den potentiellen Kunden.

Häufig ist es also so, dass vermeintliche Profiteure vom Coronavirus in Wirklichkeit genauso negativ davon betroffen sind, dass Mitarbeiter von zu Hause arbeiten wie andere mit China vernetzte Unternehmen.

Netflix wäre ein Unternehmen, das davon profitieren sollte, wenn die Menschen zu Hause bleiben und die Glotze anschalten. Da kommen bestimmt weltweit eine Menge Neukunden auf Netflix zu.

Meine Liste ist noch viel länger, aber ich erspare es mir, alles aufzuzählen: Wenn die Algorithmen ganze Märkte ausverkaufen, dann lohnen sich im ersten Schritt langfristige Dividendenpositionen. Wir werden dann schauen, wie weit diese Korrektur noch reichen wird und ob auch ehemals teure Wachstumsaktien irgendwann als Schnäppchen zu haben sind. Nicht jedoch, um uns dem Markt entgegenzustellen, sondern einfach erst dann, wenn sie wirklich günstig sind.

Bis dahin halten wir uns an Dividendenaktien. Mehr dazu habe ich heute in Kapitel 04 geschrieben. Schauen wir nun einmal auf die Wochenentwicklung der wichtigsten Indizes:

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES


INDIZES (05.03.2020) Woche Δ Σ '20 Δ

Dow Jones 25.493 0,6% -11,0%
DAX 11.542 -2,9% -12,9%
Nikkei 20.690 -2,1% -12,5%
Shanghai A 3.180 5,4% -0,2%
Euro/US-Dollar 1,13 3,0% 1,1%
Euro/Yen 119,14 0,1% -2,5%
10-Jahres-US-Anleihe 0,73% -0,45 -1,21
Umlaufrendite Dt -0,71% -0,12 -0,48
Feinunze Gold $1.666 4,6% 10,1%
Fass Brent Öl $45,99 -8,9% -33,2%
Kupfer 5.694 1,4% -8,3%
Baltic Dry Shipping 599 13,2% -45,0%
Bitcoin 9.092 2,8% 24,7%




Der Dow Jones hat eine deutlich stärkere Gegenbewegung vollzogen, so dass er trotz des Ausverkaufs im weiteren Wochenverlauf noch im Plus notiert. Der DAX, der die Gegenbewegung jedoch ausgelassen hat, ist weiter ins Minus gerutscht. Auf Jahressicht sind es schon -13%.

In China wirken die Stützungen der dortigen Notenbank, der Aktienmarkt hat um 5% zugelegt.

Das Zinsniveau insbesondere in den USA, wo Jay Powell mit seiner panikartigen Zinssenkung die Märkte retten wollte, ist dort nun auch am langen Ende eingebrochen, was das Misstrauen gegenüber der Konjunkturentwicklung zeigt. Da hilft auch keine Rekordarbeitslosenquote von nur 3,5%, die heute vermeldet wurde, und die überraschend große Zahl an neu geschaffenen Stellen in den USA. Solche positiven Entwicklungen haben keine Chance, wenn zinsgetriebene Algorithmen das Ruder übernehmen.

Der Goldpreis ist diese Woche um 5% angesprungen. Kurz nach der Zinssenkung ging das Edelmetall durch die Decke.

Der Ölpreis ist heute eingebrochen. Die OPEC hatte sich in Wien getroffen, um durch weitere Förderkürzungen den Ölpreis zu stabilisieren. Die OPEC ist inzwischen auf das Nicht-Mitglied Russland angewiesen, um überhaupt noch nennenswerte Effekte bei der weltweiten Ölversorgung zu erzielen. Doch die Einigung schlug fehl, jeder fördert wie er will und der Ölpreis ist eingebrochen (-8,9%).

Der Baltic Dry Verschiffungskostenindex steigt kontinuierlich an. Ist das ein Zeichen dafür, dass China so langsam wieder ans Netz kommt? Wir erinnern uns: Der Baltic Dry gibt die Verschiffungskosten für Schüttgut an und wird hauptsächlich in China für kurzfristig zu disponierende Transporte gebildet. Eine Sprosse der Hoffnung?
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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