Alt 29.08.20, 11:21
Standard So tickt die Börse: FED - Federal Employment Department
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Die US-Notenbank (Federal Reserve = Fed) hat sich gestern von ihrem Doppelmandat verabschiedet. Bislang galt das Ziel der Erhaltung der Geldwertstabilität sowie der niedrigen Arbeitslosigkeit. Gestern hat sich Fed-Chef Jay Powell vom ersten Ziel, der Geldwertstabilität, verabschiedet. Eine niedrige Arbeitslosenquote habe einen viel positiveren Effekt für die Gesellschaft, als man das bislang angenommen habe, so Powell. Daher sei das Inflationsziel von 2% ab sofort nachrangig. Als neues Inflationsziel gilt "durchschnittlich 2%".

Ein kleines Wörtchen, das einen erheblichen Unterschied macht. In Europa gilt als Inflationsziel "nahe bei, aber nicht über 2%". Die Inflation soll nicht über 2% steigen. Und in Europa ist dies das einzige Ziel der Notenbank EZB. Am Arbeitsmarkt müssen politische Strukturreformen für Besserung sorgen, so die in meinen Augen sinnvolle Aufgabenteilung. EZB-Chefin Christine Lagarde lässt derzeit das Inflationsziel überarbeiten. Unter der Hand ist allen EZB-Beobachtern klar, dass sie nach Wegen sucht, die Niedrigzinspolitik zu verlängern, um auch in Europa dem Arbeitsmarkt zu helfen. Vermutlich wird auch in Europa bald das asymmetrische 2%-Ziel durch ein symmetrisches 2%-Ziel ersetzt, was nichts anderes ist als die von Jay Powell für Amerika bereits formulierte Neuerung: Das Zinsniveau darf auch für einen längeren Zeitraum deutlich über 2% steigen, ohne dass die Notenbanken die Zügel anziehen müssen.

Damit nähern wir uns weiter dem Paradies, das die Dire Straits mit "Money for nothing and chicks for free" besungen haben: Geld für's Nichtstun und die Miezen umsonst. Einzelne Fed-Mitglieder haben in den vergangenen Wochen völlig andere Aussagen getroffen. Ich habe den Eindruck, dass Jay Powell inzwischen der alleinige Herrscher der US-Notenbank ist. Vergessen Sie, was andere Notenbankgouverneure sagen, einzig Jay Powell hat die Macht, Dinge zu entscheiden.

Damit würde ich eine Anpassung der Begrifflichkeit anregen: Das FOMC (Federal Open Market Committee) sollte künftig FSH heißen: Federal Steering Hero (Nationaler Steuerungs-Held). Denn weder agiert dort ein Komitee, noch haben wir in den USA offene Märkte. Die Märkte werden nach belieben politisch gesteuert, Jay Powell hat sich als willfähiger Handlanger profiliert. Er finanziert die strukturellen Versäumnisse der Politik auf dem Arbeitsmarkt, daher FED - Federal Employment Department (Nationale Beschäftigungsabteilung).

Berthold Brecht fällt mir da ein: "Unglücklich das Land, das Helden nötig hat." Gilt nicht nur für die USA, denn hier in Deutschland versuchen wir nun den Wirecard-Skandal durch Delivery Hero zu ersetzen: Der Lieferheld ersetzt Wirecard im DAX. Meine Meinung zu Delivery Hero kennen Sie: Der Markt ist heiß umkämpft und hat keine besonderen Markteintrittsbarrieren. Egal wie groß ein Lieferunternehmen wird, die Skalenerträge bleiben konstant, denn es fährt immer eine schlecht bezahlte Arbeitskraft mit einer Pizza auf dem Rücken Fahrrad.

In Deutschland haben wir das Helikoptergeld der EZB mit dem Kurzarbeitergeld verbunden und sind auf dem besten Wege, in einigen Jahren das Bürgergeld als Begriffsanpassung an die Realität ohne gesonderten Parlamentsbeschluss einzuführen. "Wünsch Dir was", heißt es in der Politik, wenn man vom Bürger gewählt werden möchte.

Geht's uns deswegen schlecht? Nein, im Gegenteil: Für die meisten ist was dabei. Die Staatsschulden steigen zwar, doch die liegen ja inzwischen bei den Notenbanken, und dort können sie beliebig lange liegen bleiben. Dank Corona haben wir bereits die europäische Haftungsunion. Das Hamsterrad dreht sich weiter, immer schneller und schneller. Wir wissen, Marktungleichgewichte können länger andauern, als Sie und ich solvent bleiben können. Passen wir also auf, dass unser Portfolio nicht gegen den Wind segelt.

US-TIKTOK MUSS VERKAUFT WERDEN

Wahnsinn, was da in den USA derzeit abläuft: TikTok USA sei eine Gefahr für die nationale Sicherheit, so Trump, und muss daher eingestellt oder an einen US-Investor verkauft werden. So hat sich TikTok USA nun ein Preisschild umgehängt: 20 Mrd. USD. Als möglicher Käufer wird Microsoft gehandelt, der gestern bekannt gegeben hat, eine Übernahme gemeinsam mit Walmart gestalten zu wollen. Walmart hat sich in den vergangenen Jahren erfolgreich zum Internet-Einzelhändler weiterentwickelt und besteht neben Amazon, allerdings ist die Käuferschicht von Walmart zu alt. TikTok-Nutzer könnten zu Walmart-Kunden von morgen werden, Microsoft würde die Bits und Bytes im Hintergrund sortieren (nicht leicht, wie ich diese Woche am eigenen Leib erfahren habe).

Oracle hat plötzlich auch Interesse bekundet. Der IT-Provider könnte den Betrieb von TikTok technisch betrachtet ebenfalls stemmen, denn die Entwicklerkapazität hat das Unternehmen. Ich habe nur keine Ahnung, was die mit dem Anbieter von Kurzvideos anstellen wollen.

Und ab und zu springt Twitter hoch genug, um vom Scheinwerfer gestreift zu werden: Für Twitter wäre TikTok eine gute Ergänzung: kurze Textnachrichten und kurze Videos mit kurzer Halbwertzeit. Doch bei Twitter sehe ich keine IT-Mannschaft, die 1 Mio. chinesische Code-Zeilen administrieren könnte.

Gestern ist denn auch Kevin Mayer, US-CEO von TikTok, zurückgetreten. Er war erst im Juni von Disney zu TikTok gekommen. Bei Disney galt er als ein potentieller Nachfolger von CEO Bog Iger. Mayer war für die wichtigen Übernahmen bei Disney verantwortlich, darunter Pixar, Marvel, Lucasfilm und einige Teile von 21st Century Fox. Sein Ausscheiden bei TikTok wird dahingehend interpretiert, dass er in einem neuen Unternehmen keine nennenswerte Rolle spielen würde. Somit sieht man derzeit Microsoft/ Walmart im Rennen vorn, denn die sind groß genug, um Mayer als Abteilungsleiter einzustufen. Hätte Oracle hingegen im Rennen um die Übernahme die Nase vorn, dann bräuchte man Mayer, um TikTok als eigenständige Einheit weiterzuentwickeln.

Lachender Dritter im Falle einer Übernahme durch Microsoft/ Walmart wäre übrigens Amazon, denn die Monopolvorwürfe der Wettbewerbskommission würden durch eine entsprechende Stärkung des Wettbewerbers Walmart entkräftet.

Mich erinnert dieser Vorgang an eine Zwangsenteignung des TikTok-Eigners Bytedance aus China. Doch Donald Trump ist nun in den US-Präsidentschaftswahlkampf eingestiegen und warnt vor dem "Kommunisten" Joe Biden.

CORONA-SCHNELLTEST DURCH ABBOTT VERFÜGBAR

Diese Woche hat Abbott Laboratories bekannt gegeben, ab Montag mit der Auslieferung eines Corona-Schnelltests zu beginnen. Schon im September sollen 15 Mio. dieser Tests zur Verfügung stehen, die Produktion soll dann schnell angekurbelt werden. Der Test, der kein Labor benötigt (Engpass!), soll so einfach wie ein Schwangerschaftstest sein und eine Trefferquote von 98% haben.

Während in meiner Welt, in der Finanzwelt, eine Trefferquote von 55% super ist, gilt in der Medizin eine Trefferquote von 98% als grottenschlecht. Doch hier geht es nicht um den einen Test, der die kommenden Jahrzehnte weltweit eingesetzt wird, sondern hier geht es um einen ersten Wurf. Hier geht es um ein Zeichen, dass wir dem Corona-Virus auf die Pelle rücken.

Tests sind wichtig für die Tourismusbranche. Wenn Sie fliegen, möchten Sie sicherlich gerne wissen, ob Ihr Nachbar Corona hat. 15 Minuten dauert der Abbott-Test. Das könnte man mit allen Passagieren am Flughafen durchführen. Abbott hat bereits eine App, auf der die Testpersonen dann einen QR-Code geschickt bekommen, der dann beim Check-In abgefragt werden könnte. So kann sichergestellt werden, dass nur zu 98% Gesunde im Flieger sitzen.

Die Aktien von American Airlines sind diese Woche um 10% angesprungen. Reisebüros Expedia und Booking und sprangen um 9% an. Hotelbetreiber Marriott und Wynn Resort sprangen um 8% bzw. 9% resp. an. Corona-Schnelltests machen Reisen möglich. Auch eine Tasse Kaffee im Kaffeehaus von Starbucks (+9%) könnte schon bald wieder in angenehmer Atmosphäre möglich sein.

Die Reaktion zeigt, dass die Entscheidung der Bundesregierung, Reiserückkehrer aus Risikogebieten zunächst in Quarantäne zu schicken und nicht mehr kostenfrei Tests machen zu lassen, durchaus einen veritablen Hintergrund hat: Die Testlabore könnten schnell überlastet sein. Wir können nicht unverantwortliche Reisen unterstützen und dafür dann unser Gesundheitssystem vernachlässigen, wenn wir eine zweite Welle im Herbst bekommen sollten (Sie kennen meine Meinung: wir werden eine zweite Welle in den Medien bekommen, ob sich das wirklich nennenswert auf unser Gesundheitssystem auswirkt, müssen wir abwarten, doch zum wirtschaftlichen Lockdown wird das meiner Einschätzung nach nicht mehr führen).

Wochengewinner in Deutschland sind - oh Überraschung - TUI (+9%), der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport (+8%) und Triebwerkshersteller MTU Aero (+9%). Ach so, da gibt es auch noch Konzertveranstalter CTS Eventim (+14%), für den mit entsprechenden Schnelltests ein Licht am Ende des Tunnels zu erkennen ist.

WEITERE KURSAUSSCHLÄGE DIESER WOCHE

Die weiteren Wochengewinner in Deutschland heißen ... nöh, mehr gibt es nicht, die über 8% angestiegen sind.

Ganz anders sieht es in den USA aus: Adobe (+9%), Facebook (+10%), Western Digital (+9%) und Workday (+26%), nicht zu vergessen Tesla (+9%) und Salesforce (+31%).

Apples Aktiensplitt hat dazu geführt, dass der Dow Jones umstrukturiert werden musste: Exxon, noch vor wenigen Jahren das wertvollste Unternehmen der USA, muss den Dow Jones verlassen. Anleger flüchten aus fossilen Brennstoffen. Stattdessen kommt Highflyer Salesforce in den Dow. Am gleichen Tag meldete Salesforce Q-Zahlen: Ein Umsatzwachstum von 29% in Corona-Zeiten wurde mit dem oben genannten Kurssprung von 31% gefeiert.

Auch Raytheon muss den Dow verlassen, Kriegswerkzeug mögen Anleger ebenso wenig wie fossile Energieträger. Stattdessen kommt Honeywell in den Dow, das Unternehmen beschäftigt sich mit HVAC-Technik. Heating (Heizung), Ventilation (Belüftung) und Air Conditioning (Klimaanlage) für große Gebäude. Energiesparen steht bei Honeywell an oberster Stelle.

Auch Pfizer wurde aus dem Dow gestrichen, die Big Pharma Konzerne haben offensichtlich ausgedient. Stattdessen kommt Amgen in den Dow, Big Biotech.

Der Dow Jones soll ja mit seinen 30 Unternehmen die US-Wirtschaft widerspiegeln. Wir stellen fest, dass die Ölindustrie durch Internetfirmen abgelöst wird. Militärtechnik war früher der Treiber von Innovationen, heute sind es grüne Technologien. Und die Biotech-Industrie hat der Pharmaindustrie den Rang abgelaufen.

Nein, genau wie bei Delivery Hero (-5%) wird es auch bei den neuen US-Kandidaten sein: Der Kurssprung aufgrund der Aufnahme in den Index ist kurzlebig und wird wenige Tage später in der Regel wieder zurückgenommen.

Wochenverlierer in Deutschland ist Aroundtown, Anbieter von Gewerbeimmobilien. Vor einigen Monaten hatte ich hier im Heibel-Ticker fast schon ein Streitgespräch zwischen zwei treuen Lesern: der eine sprach vom boomenden Immobilienmarkt in Folge von Corona, der andere von Pleiten. Wir hatten damals herausgefiltert, dass beide Recht haben: gewerbliche Immobilien werden leiden, Eigenheime in bester Lage jedoch werden profitieren. Und genau so ist es.

Und heute ist Stratec Biomedical plötzlich eingebrochen: -16% am heutigen Tag. Ein Analyst von Warburg hat befunden, dass der Wettbewerb für Stratec durch die Markteinführung des Abbott-Testkits härter geworden ist. Ich kann der Argumentation nicht folgen: Coronatests werden uns über eine längere zeit begleiten und - wie oben ausgeführt - es wird nicht den einen Test geben, sondern verschiedene Tests werden sich ihre speziellen Anwendungsbereiche sichern.

So schaut's aus: Während in den USA neben den Tourismusaktien auch noch Technologieaktien in den Orbit schießen, fehlen uns die Technologieaktien. Während die USA uns um unsere starke Industrie und Exportwirtschaft beneiden, erobern die USA mit ihren IT-Diensten die ganze Welt. Während wir schrittweise Produktivitätssteigerungen unserer Industrien verwirklichen, stürmen die USA mit virtuellen Diensten in neue Sphären.

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES


INDIZES (27.08.2020) Woche Δ Σ '20 Δ

Dow Jones 28.630 3,0% -0,1%
DAX 13.033 2,1% -1,6%
Nikkei 22.883 -0,2% -3,3%
Shanghai A 3.568 0,7% 12,0%
Euro/US-Dollar 1,19 1,0% 6,2%
Euro/Yen 125,32 0,5% 2,5%
10-Jahres-US-Anleihe 0,73% 0,10 -1,20
Umlaufrendite Dt -0,41% 0,08 -0,18
Feinunze Gold $1.969 1,6% 30,2%
Fass Brent Öl $45,06 3,2% -34,5%
Kupfer 6.603 -1,0% 6,3%
Baltic Dry Shipping 1.504 -0,9% 38,0%
Bitcoin 11.316 -4,6% 55,2%
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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