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Manchmal wünsche ich mir schon noch die Zeit zurück, als brandeilige Meldungen per Fax eintrafen und Entscheidungen auf Basis von Tagesschluss- oder Kassakursen getroffen wurden. Die Ereignisse überschlagen sich und ich komme kaum nach, die verschiedenen Entwicklung in die richtige Perspektive zu den Kursentwicklungen zu setzen. Doch ich will es versuchen.
In der Nacht zum Mittwoch wurde Obama zum Präsidenten der USA gewählt. Herzlichen Glückwunsch, ich denke in der internationalen Gemeinde gibt es nur wenige, die sich tatsächlich einen Präsident Romney gewünscht hätten. Überraschend war denn doch, wie klar Obama gewonnen hat. Überraschend insbesondere für die Amerikaner, die bis zuletzt ein Kopf an Kopf Rennen erwarteten. Haben hier die Medien die Spannung künstlich hoch gehalten? Haben Romney Leute gute Öffentlichkeitsarbeit geleistet, um bis zum Schluss noch Wählerstimmen zu gewinnen? Ich weiß es nicht. Ich weiß aber, dass viele Anleger auf einen Sieg von Romney gesetzt haben und sich entsprechend positionierten. Entsprechend war der Ausverkauf vom Mittwoch an den Börsen weniger der Enttäuschung der Anleger zuzuschreiben, die Obama als schlecht für die Wallstreet betrachten, als vielmehr der Fehlerkorrektur derjenigen, die auf Romney gesetzt hatten. Ich halte Obama letztlich sogar für gut für die Aktienkurse. Ich habe es schon manches Mal angedeutet: Auch wenn ich mich als konservativ betrachte, so gibt es dennoch Zeiten, in denen andere Mittel besser helfen. Die von Obama geduldete Liquiditätsflutung Bernankes ist hilfreich für die amerikanische Wirtschaft und wird für weitere Kursanstiege sorgen. Romneys Ideologie, die Reichen zu entlasten, damit sie neue Unternehmen und Arbeitsplätze schaffen können, ist derzeit fehl am Platz: Die Reichen bunkern ihre Reichtümer wie es geht und denken nicht daran zu investieren. Zugegeben, eine etwas einfache Darstellung, doch mit einigen Abstrichen trifft sie meines Erachtens den Kern der Auseinandersetzung zwischen Obama und Romney. In der Folge wird der US-Dollar eine weiche Währung bleiben, der Goldpreis dürfte weiter ansteigen. Nun fürchten die Amerikaner das "Fiscal Cliff", ein Ausdruck, den jeder Finanzconnaisseur derzeit mindestens in jedem zweiten Satz einflechten muss, um zu zeigen, dass er à jour ist. Das Fiscal Cliff beschreibt die wegfallenden Steuererleichterungen zum Jahreswechsel. Präsident Bush hatte seinerzeit die Dividendenbesteuerung und die Besteuerung von Spekulationserträgen (Kapitalerträge) auf sensationell günstige 15% gedrückt. Diese Steuererleichterung war jedoch befristet und läuft zum Jahresende aus. Wenn sich Obama nicht mit den Republikanern auf eine modifizierte Fortführung dieser Steuererleichterung einigen kann, dann fallen ab dem 1. Januar "normale" Steuern auf Kapitalerträge an. Bei den Reichen entspricht das einem Spitzensteuersatz von 43%. Kapitalerträge werden also, wenn es keine Einigung geben sollte, über Nacht um fast das Dreifache teurer! Wenn Sie also beispielsweise eine Aktie wie Apple im Depot haben, die Sie vor zwei Jahren zum halben Preis kauften, dann können Sie entweder heute auf den Gewinn 15% Steuern zahlen oder im Januar 43%. Was ist Ihnen lieber? Ich vermute, dass Obama in den Verhandlungen mit den Republikanern über die modifizierte Fortführung der Steuererleichterungen eine extrem gute Verhandlungsposition hat. Die Republikaner wurden in den vergangenen Jahren immer stärker von der Tea Party dominiert, einer ultrakonservativen Bewegung. Die Niederlage Romneys sollte den Republikanern Zeichen genug sein, dass diese Linie am Willen des Volkes völlig vorbei läuft. Die Republikaner müssen sich bewegen, nicht der Wahlsieger Obama. So ist es verständlich, dass die reichen amerikanischen Anleger auch von einem Kompromiss nicht viel Gutes erwarten. Obama wird einige seiner Forderungen durchsetzen können, nehme ich an, und das wird teuer für die Reichen. Na, dann lieber doch heute noch verkaufen und den niedrigen Steuersatz nutzen, oder? Ich habe am Ende dieses Kapitel ein paar Überlegungen zu steuerlich begründeten Verlustrealisierungen in Deutschland verfasst. So haben wir eine Anpassung der Portfolios auf den Wahlausgang erlebt und sehen nun, wie einige Anleger ihre Schäfchen ins Trockene bringen. Für die Stimmung an der Börse sind diese beiden Vorgänge fast bedeutungslos. Ich nehme an, es wäre als Kaufgelegenheit betrachtet worden und die Kursverluste wären moderat geblieben, wenn nicht ein weiteres Ereignis die gute Laune vergiftet hätte: Am Mittwoch Vormittag gab es erstmals schlechte Konjunkturdaten aus Deutschland. Das Flaggschiff Europas kann sich also nicht unendlich lange der Schuldenkrise der Club Med Länder entziehen, Industrieproduktion und Auftragseingang blieben hinter den Erwartungen zurück und lassen befürchten, dass auch Deutschland von der Rezession nicht verschont bleiben wird. Schlechte Daten allein hätte die Börse noch gut verkraftet. Doch Mario Draghi, Chef der inzwischen ideologisch völlig an der alten Geldpolitik der Club Med Länder ausgerichteten EZB, hat sofort diese schlechten Zahlen aufgegriffen und kommentiert. Dieser Kommentar wurden von den Finanzmärkten als Warnung aufgenommen, und der Fels in der Brandung, die Wirtschaft Deutschlands, wurde geflutet. Ich habe den Eindruck, Draghi hat auf schlechte Zahlen aus Deutschland gewartet, um die Betonköpfe aus Deutschland am Verhandlungstisch um die lockere Geldpolitik endlich weich zu klopfen. Nun, er scheint Erfolg zu haben. Schauen wir einmal wie die wichtigsten Indizes auf diese Ereignisse reagiert haben: WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES INDIZES (08.11.2012) | Woche Δ Dow Jones: 12.811 | -3,2% DAX: 7.205 | -1,8% Nikkei: 8.758 | -3,2% Euro/US-Dollar: 1,28 | -1,5% Euro/Yen: 101,37 | -2,2% 10-Jahres-US-Anleihe: 1,63% | -0,04 Umlaufrendite Dt: 1,13% | -0,08 Feinunze Gold: $1.731 | 1,2% Fass Brent Öl: $106,99 | -0,9% Kupfer: 7.645 | -1,9% Baltic Dry Shipping: 916 | -8,4% Nikkei und Dow Jones über 3% im Minus, der DAX weniger als 2%? Da sollte man nicht meinen, dass schlechte Konjunkturdaten einer der Hauptgründe für den Ausverkauf sind, oder? Doch die im Vergleich gute Performance ist auf gute Zahlen von einzelnen Unternehmen zurückzuführen: Beiersdorf erntet die Früchte der Umstrukturierungen, BMW fährt nach wie vor Absatzrekorde ein, die Münchener Rück Bilanz wird kaum von der Sandy-Katastrophe beeinträchtigt, HeidelbergCement profitiert sogar vom Wiederaufbau der US-Ostküste, und Siemens kündigt trotz positiver Gewinnentwicklung weitere Effizienzsteigerungen an. Das sind die Gewinner dieser Woche, die den schlechten Konjunkturdaten zum Trotz dennoch zulegen konnten und das Minus im DAX schmälerten. Ein geschwächtes Deutschland jedoch gibt den Club Med Ländern mehr Handlungsfreiheit, was die europäische Währung aufweichen sollte, entsprechend ist der Euro gegenüber dem US-Dollar um 1,5% schwächer geworden. Ein schwacher Euro und auch dank Obama ein schwacher US-Dollar führen natürlich zum Anstieg des Gegenpols, des Goldes, das diese Woche um 1,2% zulegte. Der schwache Kupferpreis sowie der Einbruch des Baltic Dry Verschiffungsindexes lassen jedoch eine weitere Konjunkturschwäche weltweit fürchten. Dies steht im Gegensatz zu den guten Daten, die wir in diesen Tagen aus China erhalten. Dort zeichnet sich eine erfolgreiche Bodenbildung immer mehr ab. Es findet derzeit der chinesische Volkskongress statt, an dem die kommunistische Partei Chinas den nächsten Regierungschef ins Amt einführt. SENTIMENTDATEN: NEUE ZUVERSICHT Analysten Empfehlungen (Anzahl Empfehlungen): Kaufen / Verkaufen 19.10.- 25.10. (278): 41% / 18% 25.10.- 02.11. (245): 42% / 19% 02.11.- 09.11. (311): 48% / 11% Kaufempfehlungen der Analysten BMW, BNP Paribas, Axa S.A. Verkaufsempfehlungen der Analysten Alcatel-Lucent, Fuchs Petrolub, Commezbank Privatanleger 43. KW: 59% Bullen (166 Stimmen) 44. KW: 63% Bullen (164 Stimmen) 45. KW: 63% Bullen (165 Stimmen) Kaufempfehlungen der Privatanleger Fresenius Medical Care, Total S.A., Peugeot Verkaufsempfehlungen der Privatanleger Alcatel-Lucent, Bolloré S.A., Ubisoft Enertainment Die fallenden Kurse haben unter den Analysten umgehend zu einem größeren Optimismus geführt. Es hat den Anschein, dass viele Analysten auf diesen Rücksetzer gewartet, ja darauf gehofft haben, um ihre Einschätzungen nochmals zu günstigen Kursen nach oben zu korrigieren. Diese Gelegenheit bietet sich in diesen Tagen und wird reichlich wahrgenommen, wie wir auch an den vielfach extrem hohen Kurszielen in der nächsten Tabelle sehen. Privatanleger reagieren wesentlich moderater auf die Entwicklungen, der Optimismus ist nach wie vor auf hohem Niveau. Ich weiß nicht, ob dieser große Optimismus, die Sicherheit unter den Privatanlegern und die schnelle Reaktion unter den Analysten für eine baldige Wiederaufnahme des Aufwärtstrends sprechen. Normalerweise geht einem Aufwärtstrend zunächst eine Phase größeren Pessimismus voraus. Nur selten entwickeln sich steigende Kurse wie aus der Vernuft heraus. TOP ANALYSTENZIELE Sie wollen wissen, was die Analysten im Einzelnen für Aussagen treffen und wo sie die größten Chancen sehen? Ich habe für Sie ab sofort jede Woche eine Übersicht der Analysen mit den höchsten Kurszielen ausgearbeitet. Die Liste zeigt ganz einfach an, wo das aktuelle Kursziel des Analysten prozentual am meisten über dem aktuellen Kurs liegt: Unternehmen | Analyse v. | Kurs | Kursziel | Upside HeidelbergerDruck | 7.11 | 0,98 € | 3,00 € | 206,12% Balda | 5.11 | 3,32 € | 7,80 € | 134,94% Volkswagen VZ | 5.11 | 152,82 € | 289,00 € | 89,11% Gigaset | 7.11 | 1,01 € | 1,75 € | 73,27% Adidas | 8.11 | 46,80 € | 80,00 € | 70,94% BMW | 5.11 | 63,81 € | 107,00 € | 67,69% Daimler | 5.11 | 35,80 € | 59,00 € | 64,80% SAF Holland | 8.11 | 4,88 € | 8,00 € | 63,93% I:FAO AG | 5.11 | 9,43 € | 15,00 € | 59,07% Tipp24 | 6.11 | 38,36 € | 61,00 € | 59,02% Es handelt sich um Analysen aus dieser Woche. Bitte genießen Sie diese Übersicht mit Vorsicht. Sie wissen ja, dass häufig auch ein Eigeninteresse des Analysten für eine rosa Brille sorgen kann, weshalb Analysteneinschätzungen tendenziell optimistischer ausfallen als es die Realität anschließend erlauben würde. Aber die Übersicht gibt einen Eindruck darüber, wo die Erwartungen mit dem aktuellen Kurs am weitesten auseinander liegen. Wer letztlich Recht haben wird, der Analyst oder die Anleger, die den Kurs machen, ist in jedem Einzelfall individuell zu beurteilen. Alle drei Autobauer, BMW, VW und Daimler, befinden sich unter den Aktien, für die von Analysten das höchste Kursziel ausgegeben wird. Wie kommt es zu dieser Diskrepanz zwischen dem, was Anleger zu zahlen bereit sind, nämlich nicht viel, und dem was Analysten als Kursziel sehen? Ich werde das im Auge behalten und nach einer Antwort suchen. Meine erste Vermutung, der ich nachgehen werde, ist die unterschiedliche Wahrnehmung der doch überwiegend deutschen Anleger, die Konjunkturwolken am deutschen Himmel aufziehen sehen, zur Wahrnehmung des internationalen Geschäfts der deutschen Autobauer: International können BMW, VW und Daimler Preise nehmen, wie sie wollen, Made in Germany wird in China und den USA geschätzt. Und dort steht die Konjunktur wesentlich besser da als bei uns. BESTEUERUNG VON GEWINNEN UND VERLUSTEN Immer wieder werde ich gefragt, wie man mit Positionen umgehen soll, die im Minus notieren. Insbesondere zum Jahresende häufen sich die Anfragen bei mir, in denen ich nach steuerlichen Gesichtspunkten der Verlustrealisierung befragt werde. Die einfache Antwort lautet: Bei der Bewertung einer Aktie sollten steuerliche Aspekte keine Rolle spielen. Wenn Sie erwarten, dass die Aktie steigt, dann sollten Sie die Aktie behalten. Andernfalls verkaufen. Doch in einem Jahr wie 2012, wo viele von Ihnen dicke Gewinne in Ihren Portfolios haben und daher ordentlich Kapitalertragssteuern werden abführen müssen, lohnt ein zweiter Blick auf die steuerliche Behandlung von Gewinnen und Verlusten. Positionen, die Sie nach dem 31.12.2008 gekauft haben, unterliegen der Kapitalertragssteuerpflicht. Wenn Sie also einen Gewinn realisiert haben, werden Sie diesen mit Ihrem persönlichen Steuersatz versteuern müssen. Diesen Kapitalerträgen stehen bei einigen Anlegern Buchverluste im Depot gegenüber, die nicht gegengerechnet werden können, da sie nicht realisiert sind. Nur durch einen Verkauf der Position können Sie den entstandenen Verlust mit den Gewinnen verrechnen. Ich möchte nochmals darauf hinweisen, dass für einen Verkauf einer Position stets die Beurteilung der Aktie den ausschlaggebenden Grund liefern sollte, nicht steuerliche Sondereffekte. Dennoch können Sie eine Aktie beispielsweise in den letzten Tagen des Jahres verkaufen und so den Verlust mit den Gewinnen verrechnen. Sie können die Position im nächsten Augenblick wieder kaufen. Dadurch haben Sie das niedrigere Kursniveau als Basis und werden später einmal, wenn Sie diese neu aufgemachte Position dann verkaufen, einen höheren Gewinn versteuern müssen. Streng genommen verschieben Sie durch solche Schritte also nur Ihre Steuerpflicht. Doch allein durch das Verschieben der Steuerpflicht haben die mehr Geld, das Sie in Aktien einsetzen können und somit die Aussicht auf mehr Gewinn (und je nachdem auch Verlust). Zusätzlich kommt ein zweiter Aspekt hinzu: Der Staat kassiert zwar an Ihrem Erfolg, er beteiligt sich aber nicht an Ihren Verlusten. Erlittene Verluste in schlechten Jahren führen nicht zu einer Steuererstattung. Sie können die Verluste zwar unter bestimmten Voraussetzungen in die kommenden Jahre vortragen, doch auch das mindert das Kapital, mit dem Sie an der Börse agieren können. Bitte sehen Sie also die steuerliche Verlustrealisierung als Steuerkredit, mit dem Sie am Kapitalmarkt arbeiten können. Das ist zwar reizvoll, sollte aber einer unabhängigen Beurteilung der entsprechenden Aktie nicht im Weg stehen. | ||
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis) | ||
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