Alt 13.02.09, 18:41
So tickt die Börse: Gefährliche Informationen
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INFORMATION IST EIN GEFÄHRLICHES GUT.

Im Grund genommen ist Ihr Autor mit der neuen US-Administration recht zufrieden. Gut, es war nicht schwer, gegenüber Bush eine Verbesserung herbeizuführen. Aber ich muss schon sagen, ich genieße den Idealismus, mit dem Obama und seine Mannschaft ans Werk gehen.

Ein großer Unterschied zur Bush-Administration ist die Informationspolitik Obamas. Die Öffentlichkeit wird viel detaillierter und früher informiert, als früher. So ist heute in der Herald Tribune beispielsweise schon bis ins Detail nachzulesen, wie das 790 Mrd. USD Konjunkturprogramm aussieht, das in diesen Tagen durch Kongress und Senat genehmigt werden soll.
(http://www.iht.com/articles/ap/2009...-Highlights.php)

Doch Informationen sind ein gefährliches Gut. Je nach Marktstimmung wird ein Mosaik-Steinchen des riesigen Pakets herausgegriffen und von den Medien breit geschlagen. Gestern Abend beispielsweise sickerte gegen 15 Uhr US-Zeit (also 21 Uhr MEZ) durch, dass in Zwangsvollstreckung befindliche Häuser mit 2 Mrd. USD „gerettet" würden. Darüber hinaus wurden die Sozialleistungen für Arbeitslose mit 40 Mrd. USD stark erhöht.

Die beiden dringendsten Konjunkturprobleme in meinen Augen sind Arbeitslosigkeit und Immobilienpreisverfall. Bislang haben die Arbeitslosen noch keinen großen Einfluss auf das System gehabt, doch nach den 100.000en, die in den vergangenen Monaten allein im Finanzsektor freigesetzt wurden, ist schon bald damit zu rechnen, dass der Konsum zurück geht und dass weitere Hypotheken notleidend werden. An dieser Stelle muss Obama ansetzen, um US-Finanzminister Geithner die Zeit zu geben, die er benötigt, um den Finanzsektor wieder zum Laufen zu bringen.

Es wurde befürchtet, dass Obama die Arbeitslosen und die Immobilienpreise mit seinem Konjunkturpaket nicht ausreichend beglücken würde. Doch die gestern veröffentliche Nachricht vermittelte den (falschen) Eindruck, dass nun auch diese Bereiche gut versorgt würden.

Nachdem der Dow Jones bis zu diesem Zeitpunkt immer weiter abgebröckelt war, er notierte bei 7.700 Punkten, führte diese Nachricht zu einer Rallye an den Börsen. Das Tagesminus von 3% bis zu diesem Zeitpunkt wurde in der letzten Handelsstunde wieder aufgeholt. 3% Kursanstieg in einer Stunde ist schon ziemlich rekordverdächtig.

Doch diese Schwankungen führen zu einer Volatilität, die den meisten Marktteilnehmern einfach nur noch auf die Nerven geht. Es ist kaum mehr möglich, die Marktbewegungen vorherzusagen, denn dank der offenen Informationspolitik des Obama-Teams sind jederzeit überraschende Kurskapriolen möglich.

Schon Tim Geithner hatte vor seiner Rede am Dienstag intensiv von den Journalisten Gebrauch gemacht, die in seinem Umfeld zu den „gut informierten" gehören: Ihnen gab er täglich einen kleinen Informationshappen, der dann sofort durch die Presse geisterte und ich hatte den Eindruck, dass Geithner die Reaktion auf diese lancierten Testballons genau studierte, um dann seine Strategie danach auszurichten.

Das Thema Bad Bank wurde beispielsweise intensiv diskutiert und der sich bildende Konsens war, dass eine pure Bad Bank, auch Zombie Bank genannt, nicht die Lösung sein kann. Aber auch der Private Sektor kann die toxischen Derivate alleine nicht schultern. Also sprach er in seiner Rede von einer PPP, einer Public-Private Partnerschaft, in der die Probleme gemeinsam angegangen werden sollen.

Immerhin: Wir verabschieden uns damit von dem schwarz-weiß Denken der Bush Administration. Differenzierte Lösungen sind nun mit dem Obama-Team möglich. Doch wie genau diese differenzierte Lösung aussehen könnte, dazu haben wir bislang noch nicht viel erfahren.

Ist es nun gut oder schlecht, dass die Informationen so freimütig gestreut werden, bevor eine Entscheidung feststeht? Oder wird damit nicht die Unsicherheit verschlimmert?

Nun, als Diplom-Volkswirt ist meine Antwort natürlich ebenso differenziert: Es liegt doch auf der (linken) Hand, dass in einer Demokratie die Volksvertreter ihren Wählern verpflichtet sind und daher diese umgehend informieren müssen. Aber es liegt ebenfalls auf der (rechten) Hand, dass komplexe Zusammenhänge, an denen Experten wochenlang sitzen, um sich eine Meinung zu bilden, nicht in einem kurzen Zeitungsartikel dargestellt werden können. Daher verschone man das Volk mit Details und teile ihm nur die für sie beste Lösung mit. So wird die Verwirrung vermieden, die derzeit für die Volatilität an den Märkten verantwortlich ist.

Wenn Sie also eine eindeutige Antwort von mir erwartet haben, dann befinden Sie sich mit dem US-Präsidenten Trumen in guter Gesellschaft. Er sagte einmal „I wish I had a one-armed economist, so that this guy could never say ‚...but on the other hand" – „Ich wünschte, ich hätte einen einarmigen Volkswirt, damit dieser niemals sagen kann ‚...aber auf der anderen Hand (Seite)".

Wenn ich mir jedoch die Informationspolitik Bushs anschaue, dann muss ich aktuell den Schwenk zur offeneren Informationspolitik begrüßen. Und Dieser Schwenk ist ein Lernprozess für die Märkte, die in den letzten Jahren (un)verlässliche klare Aussagen gewohnt waren.

Bush und Paulson sagten stets, alles sei super, bis sie dann Milliarden-Rettungspakete anschoben. Obama und Geithner gestehen unverblümt ein, dass die Finanzmärkte weder von privaten Investoren, noch von der Regierung gerettet werden können. Sie wissen nicht, wie die aktuellen Probleme gelöst werden können und stellen sich daher auf einen langfristigen, schmerzhaften Prozess ein.

Nachdem sich Anleger in den vergangenen Monaten des öfteren von Banken und Politik verarscht fühlten, ist der Schwenk zur offenen Informationspolitik derzeit meiner Ansicht nach also die richtige Vorgehensweise, selbst wenn dadurch die Volatilität an den Börsen steigt.

Hier die Wochenperformance der wichtigsten Indikatoren:

INDIZES (12.02.2009)

Dow Jones: 7.932 | -1,6%
DAX: 4.407 | -2,3%
Nikkei: 7.779 | -3,7%
Euro/US-Dollar: 1,290 | 0,7%
Euro/Yen: 118,09 | 1,2%
10-Jahre-US-Anleihe: 2,73% | -0,2
Umlaufrendite Dt: 2,87% | -0,2
Feinunze Gold USD: $937,65 | 3,3%
Fass Crude Öl USD: $33,98 | -17,5%
Baltic Dry Shipping I: 1.989 | 32,8%



Wenn Sie sich den Baltic Dry Index anschauen, dann können Sie nicht wirklich von einer anhaltenden Weltwirtschaftskrise ausgehen. Zumindest China importiert wieder kräftig und das zeigt sich in den Transportkosten, als auch bei den Industriemetallen Kupfer, Nickel, Blei, Zink und Zinn. Der Preissturz hat in den vergangenen Wochen ein Ende gefunden, die Preise stabilisieren sich langsam.

Diese Entwicklung braucht ihre Zeit, bis sie sich auf die Produkte durchsetzt. Die Aktien der entsprechenden Unternehmen hingegen sind bereits kräftig angestiegen und wir haben in unserer Stahlaktie inzwischen Teilverkäufe vorgenommen.

An den Aktienbörsen ging es bergab, am Anleihenmarkt hingegen stiegen die Preise. Der daraus resultierende Einbruch der Rendite der Staatsanleihen um 20 Basispunkte (0,2%) erfolgte gestern, nachdem die Bank of England ziemlich negative Kommentare über die Geldmengenentwicklung und konjunkturellen Aussichten des Landes gemacht hatte. Die Bank of England hat ihr Zinssenkungspulver verschossen und stellt nun in Aussicht, die Liquidität der Märkte durch ein verstärktes Fluten sicherzustellen: Es werden also mehr Pfund-Banknoten gedruckt und sodann für den Kauf von Unternehmensanleihen und vielleicht sogar toxischen Derivaten verwendet.

Kein Wunder, dass der Goldpreis weiter ansteigt. Seit seinem letzten Ausverkauf Mitte Januar hat der Goldpreisanstieg keine Pause mehr eingelegt. Für uns gab es also noch keine Gelegenheit, eine kurzfristige Spekulation einzugehen. Wir fahren daher lediglich mit unseren langfristigen Goldpositionen mit.

Schauen wir einmal, ob sich die Kursverluste der Aktien und die Flucht ins Gold auch in den Sentiment-Daten niederschlagen:

SENTIMENTDATEN

Bullen / Bären Index
Aktuell 50,5% Bullen (-4,5% im Vergleich zur Vorwoche!)
Bisheriges Tief war Ende November bei 35% Bullen

ANALYSTEN:
Empfehlungen (Anzahl Empfehlungen): Kaufen / Verkaufen

23.-30. Jan (180): 50% / 50%
31.-05. Feb (204): 47% / 53%
06.-13. Feb (151): 58% / 42%

ANALYSTEN KAUF
E.On
Deutsche Euroshop

ANALYSTEN VERKAUF
Douglas
Klöckner

PRIVATANLEGER KAUF
Dryships
Qimonda

PRIVATANLEGER VERKAUF
Nobel Biocare
MBIA


Die Sentiment-Daten wurden in Zusammenarbeit mit Sharewise erstellt: http://www.sharewise.com?heibel

Während sich die Bullen bei der Einschätzung der künftigen DAX-Entwicklung auf dem Rückzug befinden (von 55 auf 50,5%), gibt es plötzlich eine ganze Reihe mehr Kaufempfehlungen auf einzelne Aktien, als noch in der Vorwoche. Ich interpretiere diese Zahlen dahingehend, dass die Rede Geithners die grundsätzlich schwere Situation vor Augen geführt hat und Anleger erwarten daher nun einen weiteren Ausverkauf im DAX. Auf der anderen Seite gab diese Rede aber auch Klarheit, wohin die Reise geht und vor dem Hintergrund dieser Klarheit kann man nun wieder bestimmte Aktien, die sich in diesem negativen Umfeld eben gut entwickeln könnten, empfehlen.

Die vielen Informationshäppchen führen also dazu, dass Analysten sich wieder ermutigt fühlen, bestimmte Nischen zum Kauf zu empfehlen.

MARK-TO-MARKET KNEBELT UNTERNEHMEN

Lassen Sie mich diese unsinnige Bilanzierungsregel nochmals aufgreifen: Unternehmen berichten quartalsweise über ihre Geschäftslage und müssen zu diesen Terminen jeweils sämtliche Bestände bewerten. Die Mark-to-Market Regel, die in Deutschland bereits ausgesetzt ist, besagt, dass der letzte Marktpreis, den ein bestimmter Vermögensgegenstand erzielte, als Bewertungsgrundlage angesetzt werden muss.

Die Deutsche Bank war die erste, die diese Regel ausgesetzt hat, als ihr die Möglichkeit gegeben wurde. Zum Jahresschluss wurde dann in einem stück eine riesige Abschreibung getätigt, bis dahin jedoch hatte Ackermann relativ viel Spielraum in seiner Bilanz, um Akquisitionen, Verkäufe und ähnliches durchzuführen, was die Bilanz aufbesserte.

Bei einer vierteljährlichen Bilanzierung nach dieser Regel kommt es in den derzeit illiquiden Finanzmärkten für die toxischen Derivate teils vor, dass eine Bank unter Liquidationszwang solche toxischen Derivate weit unter ihrem inneren Wert verkaufte, um überhaupt noch an Liquidität zu kommen. Wenn sich kein Käufer findet, dann muss man mit dem Preis so weit runter gehen, bis irgend jemand von seinem vermutlich derzeit für andere Dinge benötigten Bargeld etwas für den Kauf dieser unleidlichen Papiere abzweigt.

Thomas Patrick, der ehemalige Finanzchef von Merrill Lynch, hat sich in den vergangenen Wochen ein Portfolio von 1,4 Mrd. USD an Alt-A Immobilienderivaten angesehen. Alt-A sind Hypothekenkredite die in ihrer Qualität irgendwo zwischen den erstklassigen (prime) und den zweitklassigen (subprime) Hypotheken rangieren. Ein Drittel davon sei in Zahlungsverzug und könne daher nur noch mit einem sehr geringen Wert angesetzt werden. Doch in der Bilanz der Bank, deren Portfolio er bewertete, waren auch die verbleibenden 950 Mio. USD Alt-A Hypotheken, die bis dato noch niemals eine verspätete Zahlung erfahren hatten, nur noch mit 50% angesetzt. Der Grund: Mark-to-Market. Das letzte Mal, als ein solches Portfolio über den Tisch ging, verkaufte eine fast insolvente Bank ihre verzugsfreien Hypotheken zum halben Preis.

In die gleiche Richtung geht ein Bericht von den Holländern, die das Alt-A Portfolio der ING Groep bewerteten. In der Bilanz der inzwischen auf Staatshilfe angewiesenen Bank war das 39 Mrd. USD Portfolio nur noch mit 65% des Nominalwertes angesetzt. Die holländische Zentralbank unterwarf diese Papiere nun einem Belastungstest, bei dem ein Preiseinbruch von 50% für Florida- und Californien-Immobilien angenommen wurde (gerechnet von der Spitze 2007) und weitere 10% Preisverfall für alle Immobilienpreise angesetzt wurden. Sie kam zu dem Schluss, dass vor dem Hintergrund dieser schlimmsten Szenarien „lediglich" 90% des Nominalwertes der Alt-A Hypotheken zurück gezahlt würden.

... von 65% war da keine Rede. Doch die nach der Regel Mark-to-Market anzusetzenden Preise der letzten Transaktion zerstören die Bilanzen einiger Banken und führen sie so rasch, zu rasch, in die Insolvenz. Die unternehmerische Freiheit ist hier zu stark eingeschränkt.

Ja, der Markt bildet den Preis. Angebot und Nachfrage werden schon den richtigen Preis ermitteln. Doch kurzfristig ist unser Preisfindungssystem kaputt und die stark depressiven Werte haben nachhaltig schädliche Folgen.

Realtime-Informationen sind also das, was wir uns Jahrzehnte gewünscht haben. Doch Realtime-Informationen seitens der Regierung sowie auch über jegliche Marktschwankungen sind gefährlich. Jetzt, wo wir die Technologie zur Realisierung der Realtime-Informationen haben, müssen wir erst noch damit umzugehen lernen.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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