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Sehr verehrte Leserinnen und Leser,
in den USA gibt es derzeit zwei merkwürdige Diskrepanzen zu beobachten – eine fundamentale und eine charttechnische. Die Gründe dafür sind ein wenig versteckt, und gute Zeichen sind beide nicht. Aber der Reihe nach: Ein scheinbarer Widerspruch zwischen Konjunktur- und Unternehmenszahlen Am vergangenen Donnerstag wurde die erste Schnellschätzung des US- Bruttoinlandsprodukts (BIP) für das zweite Quartal veröffentlicht. Danach betrug das annualisierte Wirtschaftswachstum gegenüber dem Vorquartal 2,3 %. Gleichzeitig wurde der Wert für das erste Quartal 2015 von zuvor -0,2 % auf +0,6 % nach oben korrigiert. Ein Wachstum von 2,3 % p.a. ist ein vergleichsweise guter Durchschnittswert. Kommentatoren feierten daher dieses Ergebnis auch als „Rückkehr zur Normalität“. Aber wie passt dieses gute Ergebnis zu weiterhin durchwachsenen Daten der US-Quartalssaison (siehe Steffens Daily vom 27.07.2015)? Dort stehen die Zeichen nicht auf Wachstum, sondern auf Schrumpfen: Nachdem inzwischen 70 % der Unternehmen des S&P 500 ihre Zahlen für das zweite Quartal vorgelegt haben, wird das (Umsatz-)„Wachstum“ voraussichtlich negativ ausfallen (-3,1 %). Eine solche Diskrepanz ist außergewöhnlich. Die US-Unternehmen tun sich weiterhin schwer Um sie zu erklären, ist ein Blick auf die Details nötig. Und dabei ergibt sich, dass aufgrund des schwachen ersten Quartals das Wachstum im ersten Halbjahr gegenüber dem Jahresende 2014 insgesamt nur knapp 1,5 % betrug. Das wiederum ist aber ein eher unterdurchschnittlicher Wert. Zudem zeigen die Komponenten des BIPs ebenfalls, dass sich die Unternehmen weiterhin schwertun. So ging das gute Ergebnis des zweiten Quartals vor allem auf das Konto des privaten Konsums. Gleichzeitig stiegen die Importe überproportional an – logisch aufgrund des starken Dollars. Es ist also offenbar so, dass die US-Verbraucher vor allem bei billigen Importwaren zugeschlagen haben. Darauf deuten zumindest die Lagerinvestitionen hin, die auf hohem Niveau faktisch stagnierten. Mit anderen Worten: Die Unternehmen haben es trotz eines starken privaten Konsums nicht geschafft, ihre hohen Lagerbestände zu reduzieren. Deshalb haben sie auch kaum investiert: Sowohl die Ausrüstungsinvestitionen (-0,4 %) als auch die Gewerbebauinvestitionen (-1,6 %) gingen spürbar zurück. Widersprüchliche Indexverläufe Insofern unterstreichen die BIP-Daten durchaus die Zahlen der laufenden Berichtssaison. Und das erklärt auch die weiterhin verhaltene Kursentwicklung der großen US-Indizes. Wobei sich diese durchaus sehr unterschiedlich entwickeln – und damit ebenfalls erhebliche Diskrepanzen offenbaren (siehe folgender Chart). Quelle: MarketMaker So konnte der NASDAQ 100 Mitte Juli eine mögliche Topformation nach oben auflösen (siehe Steffens Daily vom 23.07.2015), während der S&P 500 weiterhin seitwärts driftet und sogar Gefahr läuft, seinerseits eine Topformation zu bilden (siehe Steffens Daily vom 31.07.2015). Unterdessen hat der Dow Jones Index in der letzten Juliwoche eine neues tieferes Tief gebildet und setzt damit seinen seit Mitte Mai gültigen Abwärtstrend fort (siehe rote Kurve im obigen Chart). Auch bei dieser Betrachtung ist wieder ein Blick auf die Details hilfreich, um diese auffälligen Diskrepanzen zu verstehen: So liefen alle drei Indizes von Mitte Mai bis Anfang Juli weitgehend synchron abwärts (siehe gelber Pfeil). Dann begann die Quartalsberichtssaison (siehe schwarzer Pfeil) – und erst danach drifteten die Kurse der drei Indizes auseinander. Ein schlechtes Zeichen – das aber noch revidiert werden kann Das lag zum Großteil daran, dass starke Ausschläge gewichtiger Einzelwerte insbesondere den NASDAQ 100 und den Dow Jones in ihre jeweilige Richtung trieben. So sorgten Google, Amazon und ein paar andere Werte für den starken Anstieg des NASDAQ 100 Mitte Juli, während Apple, Intel und vor allem die Ölaktien Exxon und Chevron den Dow Jones nach unten drückten. Im marktbreiten S&P 500 nivellierten sich hingegen all diese Ausschläge zu einer Seitwärtsbewegung. Es ist stets ein schlechtes Zeichen, wenn nur wenige Werte die Märkte bewegen. In einem gesunden Trend sollte die Mehrzahl aller Werte in die gleiche Richtung tendieren – in einer Rally also aufwärts. Nun befinden sich die US-Indizes – abgesehen vom NASDAQ 100 – allerdings weiterhin in einer ausgeprägten Konsolidierung. Die Bullen müssen aber die Hoffnung noch nicht aufgeben: Was nicht ist, kann noch werden. In diesem Fall würde der NASDAQ 100 auch seiner typischen Vorläuferrolle für die US-Märkte gerecht. Sonst ergäbe sich ein weiteres Warnsignal. Das gilt natürlich auch, wenn der NASDAQ 100 wieder unter sein Ausbruchsniveau zurückfällt (grüne Linie im obigen Chart) und damit einen Fehlausbruch produziert. Dann wächst die Rückschlaggefahr rapide. Zwar ist die schwache Sommerzeit für Fehlsignale berüchtigt, aber es bleibt zu hoffen, dass uns ein Fehlsignal dieses Kalibers in den kommenden Wochen erspart bleibt. Mit besten Grüßen Ihr Torsten Ewert | ||
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