Alt 31.10.14, 19:48
Standard So tickt die Börse: Der Markt irrt
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Heute ist der letzte Handelstag des Monats Oktober. Für viele institutionelle Anleger, insbesondere für Hedgefonds, ist die Depotzusammensetzung per Ende Oktober Ausgangsgrundlage für Entscheidungen zur strategischen Positionierung für das Jahr 2015, die noch in den beiden letzten Monaten des laufenden Jahres umgesetzt werden sollen.

In den nächsten Wochen werden also Hedgefondsmanager zu ihren Vorgesetzten gehen und die Zusammensetzung ihres aktuellen Portfolios diskutieren oder besser gesagt: rechtfertigen. Es ist das eine mal im Jahr, wo sich der Vorgesetzte wirklich Zeit nimmt für seinen Mitarbeiter. Und was glauben Sie wie peinlich es für den Mitarbeiter ist, wenn in seinem Portfolio Adidas herum schlummert, die seit Jahresbeginn 41% abgegeben hat. Oder Südzucker mit -42%.

So kommt es, dass in den vergangenen Wochen und insbesondere den vergangenen Tagen die Verlierer des Jahres nochmals um so stärker ausverkauft wurden.

"Window Dressing" wird dieser Vorgang in den USA genannt. Das zeitliche Fenster, durch das der Chef in das Portfolio schaut, wird hübsch gemacht.

So kommt es, dass erfolgreiche Unternehmen mit guten Quartalszahlen um so stärker gekauft werden - schauen Sie sich heute mal GoPro an. Und auf der anderen Seite werden Unternehmen mit nicht ganz so positiven Zahlen gnadenlos ausverkauft, ohne Rücksicht auf das Bewertungsniveau.

Auch wenn man diesen Vorgang erkennt ist es nicht einfach, davon zu profitieren. Denn einige der ausverkauften Unternehmen werden zu Recht ausverkauft, nur bei einigen ist der Ausverkauf übertrieben. Als Anleger haben Sie in diesen Tagen also die Chance, ihre Lieblinge teilweise günstig einzusammeln, Sie müssen aber absolut überzeugt sein von der Qualität ihrer Lieblingsaktien. Denn den fallenden Kursen werden von den Medien unzählige Gründe an die Hand gegeben, gegen die Sie sich als Anleger dann stemmen müssen.

Um ehrlich zu sein: Diese Woche hat mir völlig die Laune versaut. Eine ganze Reihe von Aktien, die ich bereits zuvor für absolut günstig bewertet hielt, sind diese Woche nochmals unter die Räder gekommen. Da hilft nur eins: Die Hintergrunde sorgfältig recherchieren und überprüfen, ob die eigene Einschätzung noch stimmt. Es ist anstrengend, sich selbst immer wieder zu hinterfragen, aber auch das gehört zum Anlegen dazu.

Heute scheint dieser Prozess beendet zu sein, oder beendet worden zu sein. Die japanische Notenbank hat heute die Ausweitung der jährlichen Liquiditätsausweitung von 60-70 auf 80 Billionen Yen bekannt gegeben. Im Frühjahr war in Japan die Mehrwertsteuer erhöht worden. Dies führte zu einem Nachfrageansturm vor und einer -flaute nach der Erhöhung. Von der Flaute hat sich die japanische Wirtschaft bis heute nicht erholt, daher folgen nun neue, stimulierende Maßnahmen der ultralockeren Geldpolitik Japans.

Der Yen ist heute um 4,8% angesprungen, die Euphorie hat sich auch auf unseren Markt übertragen.

Gleichzeitig gab es gestern positive Konjunkturdaten in den USA: Das Wirtschaftswachstum beträgt dort 3,5% statt der bisher erwarteten 3%. Trotz Ebola, Ukraine und festem Wechselkurs des US-Dollars wächst insbesondere der Export (+8%) und Investitionen (+5,5%) haben die US-Konjunktur gestützt. Die USA wird ihrer Rolle als globale Konjunkturlokomotive gerecht.

Und diese Nachricht kam nur einen Tag nachdem die US-Notenbank anhaltend niedrige Zinsen versprach. Fed-Chefin Janet Yellen hielt zwar an dem Ende der Liquiditätsflutung durch QE3 per heute fest, signalisierte jedoch gleichzeitig, dass vorschnelle Zinsanhebungen nicht zu fürchten seien.

Insbesondere die hohe Investitionstätigkeit in den USA sehe ich als Beleg dafür, dass die vielfach geschürten, und von mir immer wieder als nicht gerechtfertigt beschriebenen, Ängste vor einer Investitionszurückhaltung aufgrund fehlender Liquidität tatsächlich unbegründet waren. Also nochmals: Die Rückführung von QE3 (Tapering), die nunmehr vollendet ist, sowie auch die anstehenden ersten acht Zinsanhebungen bis auf ein Leitzinsniveau von 2% hatten bzw. werden keine Drosselung der Wirtschaft zur Folge haben. Es ist lediglich die Rückführung der Stimulation. Derzeit lernt die US-Wirtschaft wieder auf eigenen Füßen zu stehen.

Heute wird auch die sogenannte Einigung im Gasstreit zwischen der Ukraine und Russland gefeiert. Im Juni hatte Russland den Preis für 1.000 Kubikmeter Gas von 211 auf 383 Euro angehoben. Die Ukraine war nicht bereit, diesen hohen Preis zu zahlen und so stellte Russland die Gaslieferung ein. Nun wurde ein sogenannter Kompromiss gefunden, der den Gaspreis bis März 2015 auf 305 Euro festlegt. Gleichzeitig begleicht die Ukraine aufgelaufene Schulden in Höhe von 2,5 Mrd. Euro an Gazprom. Der Kompromiss rettet die Ukraine, und damit auch Europa, über den Winter. Doch die Verhandlungen müssen nahtlos fortgeführt werden, um ein langfristig für beide Seiten akzeptables Ergebnis zu finden.

In meinen Augen ist dieser Kompromiss also alles andere als ein Zeichen der Entspannung, während Russland gleichzeitig seine Jets über die Grenzgebiete fliegen lässt. In der Ukraine sind die Temperaturen unter Null gerutscht und Russland wird kein Kältechaos im Nachbarland verantworten wollen. Doch das lässt es sich teuer bezahlen, Verhandlungsführer Oettinger verweist auf Hilfsprogramme des IWF und der EU.

Diese Ereignisse drängen Unternehmensmeldungen in der Woche mit den meisten Quartalszahlen in den Hintergrund. So stellen sich die Deutsche Bank, UBS und Citigroup auf höhere Verluste aus Rechtsstreitigkeiten ein. Amgen und Novartis erfreuen Anleger mit guten Quartalszahlen während Sanofi-Chef Viehbacher aus dem Amt gejagt wurde. Der von ihm angestrebte Schwenk zu Biotech-Medikamenten würde in Deutschland und Frankreich zu viele Stellen kosten.

Lufthansa hat seine Anleger mit einer Prognosesenkung geschockt, der Kurs ist um 7% eingebrochen. Samsung laufen die Kunden weg, doch das war erwartet worden und so steigt die Aktie um 6%. Starbucks und facebook wachsen, können jedoch die hoch gesteckten Erwartungen der Anleger nicht übertreffen. Die Kursreaktionen auf die Ergebnisse dieser Berichtssaison hängen mehr denn je von der Richtung ab, die die Aktie vor den Zahlen eingeschlagen hatte. Es gibt weniger Neubewertungen als vielmehr Gewinnmitnahmen und Positionsstatements. Wie eingangs gesagt: Hedgefonds betreiben Window Dressing, was dazu führt, dass Bewertungsnvieaus ignoriert werden.

Solche Schiefstände können ein paar Tage anhalten, nicht aber über einen längeren Zeitraum. Ich gehe daher davon aus, dass ein Teil dieser Kursreaktionen in den kommenden Wochen ausgeglichen wird.

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES

INDIZES (30.10.2014) | Woche Δ

Dow Jones: 17.195 | 3,1%
DAX: 9.115 | 0,7%
Nikkei: 16.414 | 7,3%
Euro/US-Dollar: 1,26 | -0,6%
Euro/Yen: 140,21 | 2,5%
10-Jahres-US-Anleihe: 2,31% | 0,03
Umlaufrendite Dt: 0,72% | -0,01
Feinunze Gold: $1.176 | -4,5%
Fass Brent Öl: $85,21 | -1,1%
Kupfer: 6.778 | 1,2%
Baltic Dry Shipping: 1.424 | 23,3%



JAPAN EIN MAHNENDES BEISPIEL

Um +7,3% ist der japanische Nikkei diese Woche angesprungen, davon alleine 4,5% am heutigen Tag durch die Ankündigung der neuen Liquiditätsspritze durch die Bank of Japan. Nach Fukushima wurden die Anstrengungen den japanischen Haushalt zu sanieren eingestellt. Die konservative Regierung wurde abgewählt und Schuldenmacher Abe kam 2012 an die Macht. Gemeinsam mit seinem Notenbankchef Haruhiko Kuroda sucht er das Heil des Wachstums in der Geldmengenausweitung.

Dabei hat sich ein gefährlicher Kreislauf entwickelt: Ankündigung neuer Liquiditätsmaßnahmen, die Börsen springen vor Begeisterung in die Höhe. 6-9 Monate später stellt sich heraus, dass die Geldflut kein neues Wirtschaftswachstum erzeugt, die Konjunkturdaten fallen enttäuschend aus. Der Druck auf die Regierung steigt, diese erhöht den Druck auf die Notenbank bis dann endlich eine neue Runde der Liquiditätsflutung angekündigt wird. Es folgt eine weitere Aktienrallye für 6-9 Monate, bis sich herausstellt, dass die Wachstumsraten erneut hinter den Erwartungen zurückbleiben. Der Druck auf die Regierung ... na, Sie haben verstanden, was ich sagen will.

Nicht nur die Geldschöpfung wird ausgeweitet, heute hat auch noch der staatliche Pensionsfonds Japans eine Erhöhung der Aktienquote von 17% auf 25% angekündigt. Er wird einfach einen ETF auf den Nikkei 400 kaufen. Das Volumen: 27 Mrd. USD.

Diese Maßnahmen wirken wie Benzin im Feuer der Hedgefonds, die den Carry Trade für sich nutzen. Der Carry Trade lässt sich ganz einfach erklären: Als Anleger suchen Sie sich eine Währung, die hoffentlich an Wert verlieren wird, damit Sie einen Kredit in dieser Währung in der Zukunft mit ihrer heimischen Währung leicht zurückzahlen können. Idealserweise verliert die Währung schneller an Wert als Sie Zinsen zahlen, denn dann ist der Kredit quasi zinsfrei, ggfls. verdienen Sie sogar noch daran.

Im laufenden Jahr 2014 hat der Yen gegenüber dem Euro 3,3% an Wert verloren. Beim derzeitig niedrigen Zinsniveau lohnt sich das also. Gegenüber dem US-Dollar hat der Yen sogar 13% verloren, die amerikanischen Hedgefonds verdienen an ihren eigenen Schulden.

Das Geld, also die Kreditsumme, wird dann möglichst gewinnbringend angelegt. Entweder in japanische Aktien, oder aber gerne auch in US-Aktien, die in der derzeit einzigen gesunden Wirtschaftsregion wirtschaften. Der Hedgefonds wird also bezahlt für seinen Kredit und erzielt Spekulationsgewinne mit dem ausgeliehenen Geld, das ihm gar nicht gehört. Super Sache, der Carry Trade.

Doch der funktioniert nur, solange sich die Kreditnehmer sicher sein können, dass die Währung weiterhin schwach bleibt. Und wenn die japanische Notenbank nicht immer wieder nachlegt, könnte sich der Yen irgendwann stabilisieren. Vor diesem Hintergrund hat die heutige Notenbankentscheidung in Japan zusätzlich noch eine neue Welle an Carry Trades ausgelöst, die den Yen weiter unter Druck setzen (die Yen-Kreditsumme wird in US-Dollar gewechselt) und den US-Aktienmarkt weiter anheizt.

Der realwirtschaftliche Nutzen dieser Transaktion erschließt sich mir nicht. Im Gegenteil, der Druck auf die japanische Notenbank wird in 6-9 Monaten erneut zunehmen. Vorerst jedoch werden glückliche Hedgefonds die Aktienhausse weiter befeuern.

Japan ist in der Situation, in der ich Europa nicht sehen möchte. Doch genau das ist es, wohin EZB-Chef Supermario Draghi uns führt. Ich bleibe bei meiner Einschätzung, dass der Ankauf von Staatsanleihen nur eine Frage der Zeit ist. Seine Ankündigung im Sommer hatte bereits eine stimulierende Wirkung, doch nach 6-9 Monaten werden die Anleger einfordern, den Worten auch Taten folgen zu lassen. Und wenn er nicht seine Glaubwürdigkeit vollends verlieren möchte, wird er liefern müssen. Und somit werden wir uns in dem Kreislauf befinden, aus dem sich Japan nicht mehr befreien kann.

Wie haben es die USA geschafft, sich aus diesem Teufelskreis zu befreien? Dort wurde QE3 mit dem heutigen Tag beendet und die Wirtschaft wächst mit 3,5%. Das hätte kaum jemand für möglich gehalten. Liegt es am Ölboom der USA (Fracking, Sidedrilling)? Liegt es daran, dass die USA schneller waren mit der Währungsabwertung, als alle anderen und somit dem Export (+8%) eine gute Basis bereitete? Oder liegt es an dem größten Wachstum des Verteidigungsetats der USA?

Während die Wissenschaft über die Antwort streitet, schaffen die USA Fakten ... und wir hinken hinterher.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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