Alt 26.02.19, 14:10
Standard So tickt die Börse: Erste Eindrücke aus dem Silicon Valley
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ABO ALS GESCHÄFTSMODELL

"Stephan, wie machst Du Deine Aboverwaltung", werde ich von befreundeten Mitbewerbern tatsächlich sehr häufig gefragt. Vor 15 Jahren, als ich meinen Börsenbrief erstmals kostenpflichtig machte, habe ich lange gesucht und keine passende Standardsoftware gefunden, die für mich brauchbar war. Standardsoftware ist das A und O für jedes Unternehmen, das nicht von IT-Kosten aufgefressen werden möchte. Wenn ich eine Lehre meines Wirtschaftsinformatik Professors aus der Uni mitgenommen habe, dann dieses. Standardsoftware ist langfristig günstiger als individuelle Lösungen.

Doch es gab nichts. Also ließ ich die Aboverwaltung nach meinen individuellen Wünschen entwickeln. Wir haben einige Jahre gebraucht, um die vielen verschiedenen Anforderungen zu erkennen und umzusetzen: Anmeldung, Wechsel vom Plus zum Plus Express-Abo, Rückfall vom Plus Express zum Plus, Pausieren des Abos, vorzeitiges Beenden des Abos, Wiederaufnahme des Abos, Verlängerung des laufenden Abos. Jeweils muss auf der einen Seite sicher gestellt sein, dass bei aktiven Abos für die entsprechende Laufzeit die entsprechenden Ausgaben ausgeliefert werden und auf der anderen Seite, dass die Zahlungen buchhalterisch ordentlich verbucht werden.

Kein Hexenwerk, aber auch nicht trivial. Wenn Sie nun davon ausgehen, dass der Heibel-Ticker eine ziemlich einfache Abo-Geschichte ist, dann ist es leicht vorstellbar, dass die Komplexität exponentiell steigt, wenn es bspw. mehrere Produkte gibt, wenn es wie bei Spotify beispielsweise ein Einzelabo oder ein Familienabo gibt, usw. Die befreundeten Mitbewerber habe ich zumindest stets abgewiesen: Ich bin froh, ein eigenes System am laufen zu haben. Aber das System als Dienstleistung anzubieten, wäre ein völlig neues Geschäftsmodell.

Zuora hat dieses Geschäftsmodell umgesetzt und ist heute 2,5 Mrd. Euro wert. Nein, das soll jetzt nicht heißen, dass ich mir in den Allerwertesten beiße, dass ich das nicht gemacht habe. Sondern die Jungs von Zuora haben das richtig gut gemacht: Die Aboverwaltung wird als SaaS (Software as a Service) über die Cloud angeboten. Ich habe die Zentrale von Zuora in San Mateo, Kalifornien besucht und mit John Huh, Leiter der Abteilung Investor Relations, über das Geschäftsmodell diskutiert.

Der Guardian gehört zu den Kunden von Zuora. Huh meinte, man betreibe kaum aggressives Marketing sondern suche sich seine Kunden quasi aus. Meist läuft man offene Türen ein, denn die Erkenntnis, das der Betrieb der individuell entwickelten Abo-Verwaltung immer aufwendiger zu betreiben ist, sei bereits bei den meisten vorhanden.

Doch seine wirkliche Stärke zeigt die Lösung bei Start Ups, die mit schlankem Budget möglichst schnell eine solide Lösung suchen, die im Erfolgsfall auch ordentlich skalierbare ist. DAZN bietet für 10 Euro im Monat das Live-Streaming so ziemlich aller europäischen Fußball-Ligen an, sowie auch von unzähligen anderen Sportarten. Die DropBox für Unternehmen heißt Box (auch börsennotiert: BOX) und baut ebenfalls auf die Aboverwaltung von Zuora. Zendesk kümmert sich um den Betrieb von Helpdesks und rechnet ebenfalls monatlich ab. Diese Unternehmen sind binnen weniger Jahre in eine Milliardenbewertung hinein gewachsen, haben im B2B-Bereich zig-tausend Kunden gewonnen (Zendesk, Box) oder im B2C-Bereich inzwischen 130 Mio. Kunden (DAZN).

Zuora rechnet nach Aufwand ab, nach Transaktionen. Gerade der Einstieg wird leicht gemacht, da die Abwicklung in der Cloud sehr leicht genutzt werden kann und die Abrechnung zunächst mit nur einer kleinen Anzahl von Kunden nicht so teuer ist. Doch dann partizipiert Zuora am Erfolg seiner Kunden, da nach Transaktionen abgerechnet wird.

Seit kurzem zeigen nun auch Automobilhersteller Interesse an Zuora: Warum Autos kaufen, wenn man auch einen Autodienst abonnieren kann? Wieso, werden nun einige Fragen, Leasing gibt's doch schon? Nein, das Abo hat damit wenig zu tun. Über ein Abo können Sie bspw. bei Auto einen A5 abonnieren und Sie bekommen einen A5, egal ob Sie gerade zu Hause sind, oder aber auf Mallorca in ihrer Ferienwohnen. Oder vielleicht sogar im Urlaub in Italien oder auch auf Geschäftsreise in den USA.

Beim Leasing sind Sie dafür verantwortlich, Ihr auto in die Werkstatt zu bringen. Wenn Sie ein Auto abonnieren, verwaltet der Automobilhersteller sein Auto selbst und kann über Fernzugriff den Verschleiß nachvollziehen und Wartungen planen. die vielen kleinen Sensoren, die zum Internet der Dinge zusammengeführt werden, machen's möglich.

Und da sind wir schon bei künftigen Geschäftsmodellen: Warum sollte unsere 2G Energy denn ihre Blockheizkraftwerke verkaufen? Warum nicht einfach die Dienstleistung des stets verfügbaren Stroms und der Wärme verkaufen? Über Fernwartungszugriffe ist 2G ohnehin heute schon in der Lage, viele Probleme zu lösen, ohne vor Ort zu sein.

Wir kommen hier an kulturelle Unterschiede: Während man in Deutschland gerne Dinge besitzt, die man nutzt, ist es in den USA für die Menschen wichtiger, flexibel zu bleiben. Und der Bezug von Dienstleistungen, wie hier beschrieben, schont die Barkasse, wenngleich der Dienst teuer bezahlt wird. Doch dafür bleibt man flexibel und diese Flexibilität lassen sich insbesondere unternehmen in den USA einiges kosten.

Zuora hat also ein tolles Produkt und ein tolles Geschäftsmodell. Leider werden noch Verluste geschrieben, und das soll auch auf absehbare Zeit so bleiben. Und die Bewertung ist abenteuerlich: Das Kurs/Umsatz-Verhältnis beträgt 12.


TELEFONNUMMERN ALS GESCHÄFTSMODELL

Ein weiteres Unternehmen, das mich begeistert hat, ist Twilio: Neue Mitarbeiter brauchen neue Telefonnummern, wenn diese Mitarbeiter die Stadt wechseln, müssen die Telefonnummern neu zugesteuert werden oder es müssen neue Anschlüsse beantragt werden. Wenn nun ins Ausland expandiert wird, dann muss in jedem Land ein Telekom-Dienstleister gefunden werden, die die jeweiligen Ansprüche bedienen kann. Twilio bündelt diese Anforderungen und bietet seinen Kunden die Möglichkeit, alles aus einer Hand zu beziehen.

Dafür hat Twilio in über 100 Ländern Rahmenverträge mit örtlichen Telekom-Anbietern geschlossen und verfügt über ein Reservoir an lokalen Telefonnummern, die von Twilio-Kunden ad hoc bezogen werden können. Wenn also ein kalifornisches Start Up sein Geschäft nach Hamburg ausweiten möchte, reichen wenige Klicks und in Echtzeit steht ihm eine hamburger Telefonnummer zur Verfügung. Es entfallen die wochenlange Wartezeit auf neue Telefonnummern (warum dauert das bei den Telekoms noch immer so lange?) und es entfallen aufwendige Recherchetätigkeiten bei der Suche nach passenden Angeboten.

Die Hamburger Nummer kann nun mit automatischen Ansagetexten bestückt werden sowie mit einem Menü (drücken Sie 1 um ...). einmal mehr geht es auch hier um Flexibilität und um Geschwindigkeit. Start Ups möchten ihre Ideen ad hoc umsetzen. und auch Twilio berechnet nach Aufwand, so dass jeder Kunde klein anfangen kann und je nach geschäftlichem Erfolg dann auch entsprechende Rechnungen erhält.

Ich habe Chris Nassen aus der IR-Abteilung in der Zentrale in San Francisco besucht. Kürzlich hat Twilio das Unternehmen SendGrid übernommen, ein benachbarter Wettbewerber der ähnliche Dienste für E-Mails anbietet. Damit weitet Twilio sein Angebot weiter aus und positioniert sich als zentraler Anlaufpunkt für sämtliche Kommunikationskanäle zwischen Unternehmen und Kunden.

Denn schon lange wird der Telefonkontakt durch SMS-Nachrichten ergänzt, über die Informationen oder weiterführende Links an den Anrufer geschickt werden können. Zudem besteht die Möglichkeit der Konfiguration von Faxen und WhatsApp-Nachrichte, egal ob über Festnetz oder Mobilfunk. Und programmierbare Videos und Chat-Bots können eingesetzt werden, wie auch - wenn auch bislang nur rudimentär - Spracherkennung. Dinge, die große Unternehmen gerne nutzen, aber bislang selber entwickeln mussten.

Okay, in diesem Markt gibt es schon große Wettbewerber (anders als bei Zuora): Genesys Telecommunications Laboratories (privates Unternehmen aus San Francisco mit einigen tausend Mitarbeitern) und Avaya (Santa Clara, Kalifornien) bieten entsprechende Lösungen an, die direkt beim Kunden installiert werden. Genesis und Avaya sind größer als Twilio, haben aber keine Cloud-Lösung und sind daher nicht so flexibel.

Auch Twilio schreibt noch keine schwarzen Zahlen und wird mit einem exorbitant hohen Kurs/Umsatz-Verhältnis von 22 bewertet. Auch dazu habe ich eine Einschätzung, wie das zu bewerten ist, in Kapitel 04 für Sie ausgearbeitet.


CHAOS BEI ZAHLUNGSSYSTEMEN

Was mich am meisten überrascht hat war das Chaos bei den verschiedenen Zahlungssystemen in Kalifornien. Ich war davon ausgegangen, dass ich in der Heimat von Apple überall mit Apple Pay bezahlen kann. Aber weit gefehlt: An jeder Kasse traf ich auf neue Besonderheiten. Ob beim Cappuccino oder an der Tankstelle, keine Kasse war mit der anderen zu vergleichen. Mal wurde Apple Pay akzeptiert, mal nur Google Pay, mal beides und mal gar nichts davon. Doch häufig, zum nicht zu sagen meistens, funktionierte Apple Pay bei mir nicht. der Grund dafür ist meiner Einschätzung jeweils bei der lokalen Bankverbindung des jeweiligen Einzelhändler zu finden: Manche haben ihre Kunden für internationale Kreditkarten freigeschaltet, manche nicht. Da hinter meinem Apple Pay meine deutsche4 Visa-Karte aufgerufen wurde, verweigerten einige Kassen die Abrechnung.

Komischerweise funktionierte die Zahlung dann mit der Visa-Karte direkt... und zwar meistens ohne Pin und ohne Unterschrift. Wenn auch das abgelehnt wurde, half meine EC-Karte. Nur einmal wurden sämtliche elektronischen und Plastik-Zahlungswege abgelehnt, so dass ich in bar bezahlen musste.

Die Logik dahinter? Na, so ganz verstanden habe ich das nicht, aber ich habe die Vermutung, dass die Einzelhändler jeweils aus einem Paket an Angeboten ihrer Bank wählen können und eben bestimmte Zahlungswege nicht "gebucht" haben. Gleichzeitig werden viele lokale Banken (das Banksystem in den USA ist wesentlich zersplitterter als bei uns) nicht alle Zahlungswege anbieten können. Nach diesen Erfahrungen ist es für mich jedoch endlich nachvollziehbar, wieso in den USA Apple Pay, Paypal und Google Pay mit so großer Medienbeachtung versehen werden während wir hier in Deutschland einfach nur die EC-Karte an der Kasse zücken, die ja immer funktioniert.


Soweit ein paar erste Eindrücke von meiner Reise ins Silicon Valley. Schauen wir uns nun einmal die Entwicklung der wichtigsten Indizes während meiner Abwesenheit an:

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES


INDIZES 25.02.2019 Woche Δ Σ '19 Δ

Dow Jones 26.092 3,7% 13,1%
DAX 11.505 4,4% 9,0%
Nikkei 21.449 3,4% 7,2%
Shanghai A 3.101 13,1% 18,8%
Euro/US-Dollar 1,14 0,1% -0,8%
Euro/Yen 125,85 1,1% -0,3%
10-Jahres-US-Anleihe 2,67% 0,02 -0,06
Umlaufrendite Dt 0,01% -0,02 -0,09
Feinunze Gold $1.328 1,4% 3,7%
Fass Brent Öl $65,12 6,3% 24,7%
Kupfer 6.488 4,5% 7,8%
Baltic Dry Shipping 634 3,9% -50,1%
Bitcoin 3.804 12,3% -3,0%




Die Aktienmärkte sind weiter angestiegen. US-Präsident Trump sorgt derzeit mit optimistischen Tweets über den Verlauf der Verhandlungen mit China für gute Laune an den Aktienmärkten. Sollte es tatsächlich zu einer Einigung kommen, so dürften insbesondere Aktien in China und den USA anspringen. Ich will aber nicht ausschließen, dass der Weg zu einer Einigung nochmals durch aufkommende Zweifel durchkreuzt wird.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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