Alt 19.03.22, 12:27
Standard So tickt die Börse: Geopolitik unter Spannung
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Es bleibt bei den vier großen Themen, die seit Monaten das Börsengeschehen dominieren.

RUSSLAND / UKRAINE.

Es gibt Hoffnung! Was zunächst niemand für möglich hielt, wird durch immer neue Berichte belegt: Der Widerstand in der Ukraine gegen den übermächtigen Gegner Russland verzeichnet immer wieder Erfolge, die den russischen Vormarsch verlangsamen oder gar aufhalten. Die Hoffnung auf Friedensverhandlungen zwischen Putin und Selenskyj erhielten jedoch heute wieder einen Dämpfer: Bei der Ausarbeitung von 15 Punkten als Vorbereitung für ein solches Gespräch gebe es, so Putin, bislang keine Fortschritte.

Ich möchte gerne auf eine schnelle Lösung im Ukraine-Krieg hoffen, doch die Geschichte der russischen Aggressionen lässt einen längeren Krieg fürchten. Das Stehvermögen der russischen Armee ist groß. Vielleicht ist das der Ukraine noch größer. Ich habe den Eindruck, dass Putin in diesem Fall auf die Hilfe eines Freundes angewiesen sein könnte:

CHINA / TAIWAN

Dieser Freund könnte Präsident Xi sein. China hat sich noch immer nicht von Russlands Krieg distanziert, sondern beobachtet mit großem Interesse, was sich in der Ukraine abspielt. Daraus werden Rückschlüsse auf mögliche Aktionen bezüglich Taiwan gezogen. Doch heute wird US-Präsident Biden mit Chinas Präsident Xi telefonieren und ihn drängen, Russlands Überfall der Ukraine zu verurteilen.

Bislang ist China der lachende Dritte: Als vermeintlich neutraler Staat nimmt man gerne die Rohstoffe Russlands, die der Westen aufgrund der Sanktionen ablehnt. Der Rohstoffhunger Chinas ist groß, der Verzicht des Westens auf Russlands Rohstoffe ist ein Glücksfall für China. Auch als Absatzland wäre Russland attraktiv für China, liegt es doch deutlich näher als der Westen. Gerne würde man sogar Waffen zur Unterstützung nach Russland senden, doch hier hat der Westen eine rote Linie gezogen: Putin ist der Aggressor und wer ihn unterstützt, wird dadurch automatisch ebenfalls zum Feind des Westens.

China ist das Zünglein an der Waage: Schlägt es sich auf die Seite Russlands, so kann auch China mit heftigen Sanktionen des Westens rechnen. Schlägt es sich auf die Seite des Westens, verliert China einen verlässlichen Partner (Russland) zugunsten eines unzuverlässigen Widersachers (USA).

Dabei könnte China Hilfe aus dem Westen gut gebrauchen. Der chinesische Corona-Impfstoff hat sich als wenig wirksam erwiesen. Die No-Covid-Strategie führte in den vergangenen Wochen dazu, dass eine Reihe von Millionenstädten in Shenzen, der größten Wirtschaftsmetropole des Landes, in den Lockdown geschickt wurde. Insbesondere die Hightech Branche (ja, auch Chipindustrie) ist in dieser Region stark vertreten. Es drohen also erneut globale Lieferkettenprobleme.

JP Morgan hat Anfang der Woche bereits eine Entscheidung getroffen: Chinesische Aktien wurden von einer Kauf-Empfehlung auf Verkaufen abgestuft. Das Kursziel für Alibaba wurde von 180 auf 65 USD gesenkt, für Baidu von 245 auf 90 USD, für JD.com von 100 auf 35 USD. Nur einen Tag später kamen noch regulatorische Tiefschläge hinzu: Einige chinesische Aktien, die als ADRs in den USA gelistet seien, würden die Zulassungsvoraussetzungen nicht erfüllen. Es drohe das Delisting, also die Streichung der Notiz von den US-Börsen.

Die entsprechenden chinesischen Aktien kannten kein Halten mehr und zogen den gesamten chinesischen Aktienmarkt mit in den Keller. Der Ausverkauf war so heftig, dass sich die chinesische Regierung gezwungen sah zu reagieren. Am Mittwoch gab man bekannt, die Verschärfung der Vorschriften für chinesische Tech-Unternehmen nicht mehr weiter fortzusetzen. Vielmehr werde man chinesische Tech-Unternehmen ab sofort unterstützen. Präsident Xi persönlich äußerte sich ebenfalls. Er lenkte ein, künftig bei der Bekämpfung von Corona-Ausbrüchen auch die Kosten im Blick zu haben.

Am Mittwoch sprangen chinesische Aktien zweistellig an, Alibaba legte 44% zu. An einem Tag! Mich erreichen nun Fragen, ob chinesische Aktien günstig genug für ein Investment seien, ob das ein Zeichen für einen Boden sei.

Für mich zeigen die Vorgänge, dass wir viel zu weit weg von China sind, um uns eine Meinung über den Kursverlauf der chinesischen Aktien für die kommenden Wochen zu erlauben: Nicht einmal für die kommenden Stunden traue ich mir eine Prognose zu, geschweige denn für Monate. Wer Zocken möchte, viel Glück! Aber aus Sicht eines Investors, der seinen Spargroschen gewinnbringend anlegen möchte, ist China derzeit kein Ort für ein Investment. Insbesondere vor dem Hintergrund der ungewissen Positionierung Chinas im Ukraine-Krieg würde ich derzeit die Finger von China lassen.

CORONA / OMIKRON

Wir verzeichnen die höchsten Infektionszahlen in Deutschland, doch es handelt sich um die inzwischen als harmlos betrachtete Omikron-Variante, die kaum zu schweren Krankheitsverläufen führt. Zumindest sind die Krankenhäuser trotz der hohen Infektionszahlen nicht ausgelastet.

Es bleibt die Angst vor einer neuen Variante, die vielleicht wieder gefährlicher ist als die Omikron-Variante. Doch derzeit gibt es keine Hinweise auf eine entsprechende Verschlimmerung der Situation. Im Gegenteil, Coronamaßnahmen werden gelockert und der auslaufende Winter lässt viele Menschen auf einen (in Sachen Corona) unbeschwerten Sommer hoffen.

INFLATION / NOTENBANKEN

Der Ukraine-Krieg liefert den Notenbanken nun eine Ausrede, den Begriff "transitory" (vorübergehend) zu streichen. Der Inflationsdruck war nicht durch die auslaufenden Corona-Maßnahmen und die Lieferengpässe vorübergehend, sondern stellt sich mehr und mehr als "persistent" (nachhaltig) heraus.

So hat die US-Notenbank diese Woche erstmals den US-Leitzins um einen Schritt angehoben (von 0% bis 0,25% auf 0,25% bis 0,5%). Für das laufende Jahr gehen Volkswirte derzeit von sieben weiteren Zinsschritten aus. US-Notenbankchef Jay Powell hält sich alle Optionen offen, er werde stets nach aktueller Datenlage entscheiden.

Das ist eine erfrischende Verbesserung gegenüber seinem letzten Versuch, die Geldpolitik zu normalisieren. Vor vier Jahren kündigte er eine Serie von Zinsschritten an, was die Finanzmärkte in Angst und Schrecken versetzte und zu einem Crash führte.

Das Zinsniveau in den USA ist in den vergangenen Tagen angestiegen. So auch der Ölpreis. Die Bedenken, die an den Finanzmärkten aufgrund dieser Entwicklung bestehen, werden in den Chefetagen der Unternehmen nicht geteilt: Wenn die Notenbank das Zinsniveau anhebt, um die Inflation zu bekämpfen, dann wird das irgendwann auch den Preisanstieg an den Rohstoffmärkten stoppen. Und das ist die größte Sorge der Unternehmen: Einkaufspreise für Rohstoffe, später dann auch die Personalkosten, können nicht immer an die Kunden durchgereicht werden. Ein Notenbankchef, der mit höheren Zinsen der Inflation entschieden entgegen tritt, ist gut für die Wirtschaft.

Schauen wir mal, wie sich diese Entwicklungen auf die wichtigsten Indizes im Wochenvergleich ausgewirkt haben:

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES


INDIZES (17.03.2022) Woche Δ Σ '22 Δ

Dow Jones 34.481 4,7% -5,1%
DAX 14.413 3,7% -9,3%
Nikkei 26.827 6,0% -6,8%
Shanghai A 3.408 0,9% -10,7%
Euro/US-Dollar 1,11 0,8% -2,5%
Euro/Yen 131,71 1,8% 0,7%
10-Jahres-US-Anleihe 2,15% 0,15 0,64
Umlaufrendite Dt 0,22% 0,10 0,50
Feinunze Gold $1.929 -1,6% 5,7%
Fass Brent Öl $107,79 0,3% 36,8%
Kupfer $10.258 14,4% 5,9%
Baltic Dry Shipping $2.588 -4,8% 16,7%
Bitcoin $41.490 6,5% -11,7%
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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