Alt 13.12.14, 13:39
Standard So tickt die Börse: Zu viele Süßigkeiten machen Bauchschmerzen
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Zu viele Süßigkeiten machen Bauchschmerzen, oder anders ausgedrückt: Ein Ölpreissturz von 110 auf 70 USD/Fass wirkt stimulierend für die Wirtschaft. Aber ein Preissturz auf 60 USD/Fass? Oder 50 USD/Fass?

In den USA macht die Öl- und Gasindustrie 12% des S&P 500 aus. Von niedrigeren Ölpreisen profitieren also "nur" 88% der US-Unternehmen. In Deutschland fällt mir lediglich die BASF-Tochter Winterschall ein, die unter niedrigeren Ölpreisen leidet, praktisch die gesamte deutsche Industrie profitiert auf den ersten Blick von einem fallenden Ölpreis.

Doch auf den zweiten Blick sieht das nicht ganz so freundlich aus. Es gibt Branchen, bei denen sich zu einem gegebenen Ölpreisniveau ein Gleichgewicht eingestellt hat. Fällt der Ölpreis zu stark und zu schnell, dann kommt es zu Verschiebungen in der Wettbewerbsstruktur, die sich letztlich auch auf das Geschäft der vermeintlich profitierenden Unternehmen auswirken können. Hier ein paar Beispiele:

SALZGITTER: ZU STARK AUF ENERGIEBRANCHE FOKUSSIERT

Die Stahlproduktion ist sehr energieintensiv. Niedrigere Energiekosten führen zu Kostenersparnissen bei Stahlkochern wie Salzgitter, die sich direkt positiv auf den Gewinn auswirken. Doch Salzgitter produziert beispielsweise hochqualitative Stahlröhren, die für sehr spezielle Anwendungen geeignet sind, vorwiegend in der Öl- und Gasindustrie.

So sägt der fallende Ölpreis praktisch am Ast, auf dem Salzgitter sitzt. Die zahlungskräftigen Kunden aus der Öl- und Gasindustrie leiden unter dem fallenden Ölpreis, viele Investitionsprojekte werden bei einem zu niedrigen Ölpreis unrentabel und könnten gestrichen werden - die Folge ist ein Umsatzausfall für Salzgitter. Auf diesen Umstand machte heute ein Analyst von Goldman Sachs aufmerksam, Salzgitter ist folglich heute mit -3% am unteren Ende des MDAX zu finden.

DEUTSCHE LUFTHANSA: NIEDRIGE SPRITKOSTEN HEIZEN WETTBEWERB AN

Einer der Hauptkostenfaktoren für die Lufthansa nach den Personalkosten ist der Sprit. So führt der fallende Ölpreis auch bei der Lufthansa direkt zu einem Gewinnsprung.

Doch die rosigen Aussichten der Lufthansa fußen seit einigen Monaten darauf, dass der Wettbewerb von Billig-Airlines abgenommen hat. Diese waren zur Jahrtausendwende in den Markt geströmt, weil es jede Menge gebrauchte Flieger zu Spottpreisen gab. Erst der starke Anstieg des Kerosinpreises auf über 100 USD/Fass im Jahr 2011 hat den Wettbewerbsdruck in der Branche abgeschwächt, da die gebraucht gekauften Billigflieger höhere Spritkosten und dadurch höhere Betriebskosten hatten. Der Kostenvorteil beim Einkauf wurde durch diesen Kostennachteil im Betrieb ausradiert, und es folgte eine Konsolidierung auf dem Markt der Billig-Airlines.

Derzeit sind die Auftragsbücher der Flugzeugbauer voll, und selbst wenn sich eine neue Billig-Airline gründen wollte, sie kämen gar nicht an spritsparende Flieger ran. Durch den Ölpreiseinsturz jedoch sind die Spritkosten nicht mehr so dominant im Betrieb einer Fluglinie, und entsprechend ist nun zu befürchten, dass sich neue Wettbewerber gründen und Flieger kaufen, die erst kürzlich aufgrund des zu hohen Verbrauchs ausrangiert wurden.

AIRBUS: WER BRAUCHT NOCH SPRITSPARENDE FLIEGER?

Aus der Betrachtung von Lufthansa wird schnell offensichtlich, dass der niedrige Ölpreis schlecht ist für Airbus. Klar, im ersten Augenblick glaubt man, dass der niedrige Ölpreis zu höheren Gewinnen bei den Fluglinien führt, was wiederum in neue Flieger investiert werden kann. Die die Fluglinien investieren selten wenn sie können, sondern nur wenn sie müssen.

Zudem schneiden sie sich mit jedem außer Dienst gestellten Flieger künftig ins eigene Fleisch. Dieser Flieger steht, wenn er denn verkauft wird, dem Wettbewerb zur Verfügung. Da ist es vielleicht vorteilhaft, mit den alten Fliegern weiterzufliegen, die (bei niedrigem Ölpreis) nur geringfügig höheren Betriebskosten in Kauf zu nehmen und dadurch den Wettbewerb auf Distanz zu halten. Warum sollte in dieser Situation ein neuer Flieger bei Airbus bestellt werden?

So hat Airbus diese Woche die Alarmglocken bedient und vor einer mauen Nachfrage nach dem Prestigeflieger A380 gewarnt. Man habe gerade einmal ein Viertel der Anzahl an A380 verkauft, die man ursprünglich kalkuliert hatte um damit profitabel zu werden. Und schon stellt der Hauptkunde, Emirates, der fast die Hälfte aller Bestellungen ausmacht (140 Stück), neue Ansprüche. Der A380 müssen spritsparender gemacht werden. Im Kopf von Airbus-CEO Tom Enders heißt das nichts anderes als: Teure Investitionen in ein Produkt, das eigentlich zur Cashcow werden sollte. Er hat nunmehr laut über ein Ende des A380 nachgedacht.

In meinen Augen spielt Tom Enders hier geschickt eine politische Karte. Airbus ist ein Europa-Konzern, der als Gegengewicht zur dominierenden Boeing aus Seattle ins Leben gerufen wurde. Schon mehrfach hat Boeing den Wettlauf gewonnen, und stets sind die Europäer eingesprungen und haben Airbus auf die Beine geholfen, damit diese wichtige Schlüsselindustrie in Europa erhalten bleibt.

Diesmal hat Boeing frühzeitig auf den Bau eines gigantischen Langstreckenfliegers wie den A380 verzichtet und sich auf den spritsparenden Dreamliner konzentriert (Erstauslieferung mit 3-jähriger Verspätung Ende September 2011). Der Dreamliner hat sich zum Verkaufsschlager entwickelt, Airbus hinkt in diesem Segment mit dem A350 hinterher. Die für diesen Samstag geplante Auslieferung des ersten A350 wurde verschoben. Der Vorsprung von Boeing in diesem wichtigen Segment beträgt also mehr als drei Jahre.

Wir müssen bei Airbus die verschiedenen Zeithorizonte berücksichtigen. Kurzfristig ist der niedrige Ölpreis nicht viel mehr als eine psychologische Hürde. Fluglinien gründen sich nicht innerhalb weniger Tage, das sind eher Pläne von vielen Monaten. Und wie Sie meiner Analyse entnehmen können, würde sich kaum eine neue Billig-Fluglinie gründen, wenn die Gründer nicht von nachhaltig niedrigen Ölpreisen ausgingen.

Nachhaltig niedrige Ölpreise würden jedoch bedeuten, dass viele der Projekte in den USA, als auch insbesondere in Brasilien (Petrobras) storniert würden. Die zusätzliche Ölförderung, mit der heute kalkuliert wird, würde wegfallen und entsprechend könnte sich der Ölpreis wieder erholen. Auch das sind keine Entwicklungen, die sich binnen weniger Tage abspielen, sondern nehmen in der Regel viele Monate in Anspruch.

Die Trägheit bei diesen Entscheidungen ist die Ursache dafür, dass der Ölpreis eben nach unten überschießen wird. Mein Gleichgewichtspreis zwischen 70 und 80 USD/Fass wird vielleicht erst in einem oder zwei Jahren wieder erreicht. Zwischenzeitlich könnte es noch deutlich tiefer gehen.

KEIN SYSTEMISCHES RISIKO DURCH KREDITAUSFÄLLE DER GLÜCKSRITTER

Die USA erleben einen Ölboom. Durch Fracking werden Ölvorkommen erschlossen, die zuvor nicht erreichbar waren. Das Land rechnet damit, bis 2018 Netto-Exporteur von Öl zu sein, nachdem es jahrzehntelang der größte Importeur von Öl war. Um die inländische Ölförderung in den USA hochzufahren, muss investiert werden. Für viele Investitionsvorhaben wurde kalkulatorisch ein Ölpreis von 70 oder 80 USD/Fass angenommen, man hielt 30% Risikopuffer für ausreichend.

Es gibt ein Volumen von 200 Mrd. USD an hochverzinsten Anleihen aus der Ölindustrie in den USA. Derzeit kursieren Ängste in den USA, dass diese Kredite, wenn sie ausfallen, ein systemisches Risiko wie das Platzen der Immobilienblase 2008 darstellen könnten. Schon werden Parallelen zur damaligen Situation gezogen, und es wird vor einem erneuten Finanzmarktkollaps gewarnt.

Ich halte diese Angst für überzogen. Die Immobilienblase umfasste 2 Billionen USD an Immobilienkrediten. Banken, die diese Immobilienfinanzierungen ausgegeben hatten, erhielten unzählige quasi wertlose Immobilien in den eigenen Bestand, die lange Zeit nicht weiter verkauft werden konnten. Die Bankbilanzen waren kaputt.

Zum einen ist heute das Volumen nur ein Zehntel so groß. Zum anderen gibt es, anders als bei unzähligen Einzelimmobilien, Ölkonzerne, die sich nach ergiebigen Ölvorkommen die Hände lecken. Exxon, Statoil, Chevron und Total verfügen über hohe freie Cashflows. Seit Jahren suchen sie händeringend nach neuen Ölvorkommen, um ihre Produktion wenigstens stabil zu halten.

Wenn also beispielsweise die Hälfte der Finanzierungen der Ölbranche über die Wupper springt, dann wäre jeder der hier genannten Ölkonzerne alleine in der Lage, und zu einem entsprechenden Preis sicher auch gewillt, die Finanzierungen zu übernehmen. Sie müssten sich beeilen, denn auch Koreaner, Japaner und nicht zuletzt Chinesen haben großes Interesse an eigenen Ölvorkommen.

Also: Wenngleich der zu stark einbrechende Ölpreis wettbewerbstechnisch große Verwerfungen in einzelnen Branchen hervorrufen kann, so fürchte ich jedoch keine verheerende Auswirkung auf unser Finanzsystem. Entsprechend wird sich der niedrige Ölpreis schon kurzfristig vorteilhaft insbesondere für die europäische und deutsche Konjunktur auswirken.

Zurück zu Airbus: Die Auftragsbücher sind voll und in den kommenden Jahren wird Airbus planmäßig die Produktionsgeschwindigkeit des A380, und damit auch den eigenen Gewinn steigern. Zudem wird schon bald der A350 positiv zum Cashflow beitragen, selbst wenn dort analog zum Dreamliner (Schmorbrand bei Batterien) noch weitere Anlaufprobleme für negative Schlagzeilen sorgen dürften.

Doch meiner Einschätzung nach wird der Ölpreis nicht so schnell wieder über 70 USD/Fass springen, und entsprechend werden Neubestellungen bei Airbus in den kommenden Monaten auf einem niedrigen Niveau verharren. Und das wird den Aktienkurs belasten.

Auch Boeing leidet unter dem niedrigen Ölpreis, die Aktie ist ebenfalls in den vergangenen Wochen etwas zurückgekommen. Wenn Sie unbedingt in einen Flugzeugbauer investieren wollen, würde ich derzeit Boeing vorziehen. Doch noch halte ich es für zu früh, um sich in diesem Markt zu engagieren.

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES

INDIZES (11.12.2014) | Woche Δ

Dow Jones: 17.596 | -1,7%
DAX: 9.863 | 0,1%
Nikkei: 17.372 | -3,1%
Euro/US-Dollar: 1,24 | 0,5%
Euro/Yen: 147,30 | -1,0%
10-Jahres-US-Anleihe: 2,18% | -0,08
Umlaufrendite Dt: 0,58% | -0,06
Feinunze Gold: $1.226 | 1,8%
Fass Brent Öl: $63,54 | -8,8%
Kupfer: 6.463 | -0,3%
Baltic Dry Shipping: 887 | -13,0%



China hat am Wochenende für Panik gesorgt: Anleihen mit schwachem Rating sollen bald nicht mehr als Pfand bzw. Kreditsicherheit gelten. Der Shanghai-Börsenindex war in den vergangenen Wochen um 25% angesprungen, in Folge dieser Meldung brach er am Montag um 5% ein.

In Griechenland droht die Regierung auseinanderzubrechen. Sollte es im Januar Neuwahlen geben, sieht es derzeit nach einem Sieg der Oppositionspartei Syriza aus, die sodann vermutlich die vielen von der EU auferlegten Sparprogramme stoppen würde. Die griechische Börse war in folge dieser Meldung um -12% eingebrochen.

Morgan Stanley hat seine Prognosen für den Rohstoffmarkt überarbeitet. Der Ölpreis könne auf 51 USD/Fass fallen und länger auf einem niedrigen Niveau verharren als derzeit erwartet. Ähnlich pessimistisch sehen sie den Eisenerzpreis, der sich ebenfalls auf absehbare Zeit nicht erholen sollte.

Das sowie der erneute Ölpreiseinbruch um weitere -8,8% sind die vier Ereignisse, die diese Woche den Handel an den Finanzmärkten bestimmt haben. Chinas Wachstumserwartung wird wohl in den kommenden Tagen erneut nach unten korrigiert, Griechenland droht das Euro-System erneut auf die Probe zu stellen und die Rohstoffmärkte befänden sich nicht in einer Übertreibung sondern würden nachhaltig so niedrige Preise haben. Ein Wunder, wie der DAX in diesem Umfeld ein kleines Plus erzeugen konnte. Nikkei und Dow Jones liegen deutlich im Minus.

Einzig der Goldpreis profitiert von den Turbulenzen der Rohstoffmärkte und legt um 1,8% zu. Noch vor kurzem wurde die Marke unter 1.000 USD/Oz als vermeintlich sicheres Kursziel diskutiert. Nun, wie immer geht's dann zunächst mal in die andere Richtung.

Der Baltic Dry Verschiffungsindex kann diese Woche als direkte Reaktion auf die Hiobsbotschaften aus China bewertet werden. Mit -13% spiegelt er die deutlich gedämpften Konjunkturaussichten Chinas wider.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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