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Eine Woche nach der Brexit-Entscheidung hat der DAX die Hälfte seines Verlustes gut gemacht. Noch ein paar Punkte und der DAX hat wieder das Niveau von vor vier Wochen erreicht. Vor zwei Wochen startete ein Ausverkauf aus Angst vor dem Brexit. In den Tagen direkt vor dem Brexit startete eine Rallye, die den DAX bis zum Tag des Brexits um 10% nach oben katapultierte. Die Reaktion auf den Brexit war ein Ausverkauf um 10%, und heute sind wir wieder dort, wo alles begann. Als sei nichts geschehen.
Ich unterscheide verschiedene Bereiche und verschiedene Zeithorizonte, wenn ich mir die Folgen des Brexits anschaue. Aus Sicht des Zeithorizonts ist es ganz einfach: die Finanzmärkte haben funktioniert, es gab keinen Bank-Run und Kredite waren jederzeit verfügbar. Die EZB war vorbereitet. Die Angst vor akuten Problemen hatte die Börsen direkt im Anschluss an die Brexit-Entscheidung in den Panik-Modus versetzt, zu Unrecht. Langfristig werden die Folgen aus Sicht der Finanzwelt vielleicht gar nicht so schlimm sein. Warum sollte man die Briten bestrafen, nur weil sie eine demokratische Entscheidung getroffen haben? An der Börse geht man inzwischen davon aus, dass während der kommenden zwei Jahre der Austrittsverhandlungen wirtschaftlich vergleichbare bilaterale Abkommen ausgehandelt werden, so dass die wirtschaftlichen Auswirkungen des Brexits überschaubar bleiben. Doch ich unterscheide auch drei verschiedene Bereiche, wenn ich mir die Auswirkungen anschaue: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. POLITIK In England wird es Neuwahlen geben. Es wird nun jemand gesucht, der die Austrittsverhandlungen dahingehend führen kann, dass sich wirtschaftlich möglichst wenig ändert. Ist der Brexit nur der erste Dominostein, der den politischen Zerfall der EU zur Folge haben wird? Schottland rasselt mit dem Säbel, man werde sich nun doch von Großbritannien trennen, um dann der EU beizutreten. Auch aus Nordirland sind ähnliche Worte zu hören. Das sind schon mal zwei Länder, die wieder rein wollen in die EU. Klingt für mich nicht nach dem Zerfall der EU, eher nach dem Gegenteil. Doch wer könnte die EU verlassen? Die Niederlande werden stets als erstes genannt. Geert Wilders ist dort erfolgreich. Zuletzt hatte er ein Referendum gegen die Haltung der EU gegenüber der Ukraine gewonnen. Doch das war ein spezielles Thema, bei dem sich Europa sehr unrühmlich verhalten hat. Seine Umfragewerte stehen derzeit bei 20%, das reicht nicht für einen Nexit. Zudem sind die Niederlande eines der sechs Gründungsmitglieder der EWU und haben allein dadurch schon einen besonderen Einfluss auf die zukünftige Richtung der EU. Den werden sie nicht aufgeben. Die Niederlande sind wirtschaftlich wesentlich enger mit der EU verflochten als die Briten, auch das spricht gegen einen Nexit. Frankreich? Marine Le Pen ist ebenfalls ein Gründungsmitglied und gemeinsam mit Deutschland seit jeher richtungsweisend beteiligt an den Entwicklungen der EU. Außerdem hat sich das Gewicht derer, die wie Frankreich eher eine Lockerung der Sparpolitik herbeiführen wollen, durch den Brexit gerade erhöht. Da wäre es doch dumm, jetzt auszusteigen. Italien und Spanien? Irland? Diese drei Länder leiden am meisten unter dem Spardiktat Brüssels. Doch der Zeitpunkt, die EU zu verlassen, wäre 2011 oder 2012 gewesen, als die Sparpolitik eingeführt wurde. Heute wird das Spardiktat bereits ein wenig gelockert und die Früchte der Sparpolitik kommen langsam zum Tragen. Da gehen diese Länder nicht mehr von der Fahne. Finnland? Okay, kann sein, dass die austreten. Sie haben ohnehin eine sehr große Grenze zu Russland. Wenn sie sich entscheiden, der EU den Rücken zu kehren, dann soll es eben so sein. So auch Ungarn. Viktor Orban ist das Paradebeispiel eines modernen Faschisten, er hat keine Freunde in der EU. Unter der heutigen Regierung hätte Ungarn keine Chance, in die EU aufgenommen zu werden. Ungarn hat noch immer eine eigene Währung, den Forint. Das würde eine Trennung vereinfachen. Wer noch? Portugal? Niemals. Die sind so stolz, Teil Europas zu sein und eine vollwertige Stimme zu haben, dass sie niemals mehr zurück wollen in die Zeit, als sie das stimmlose Anhängsel Spaniens waren, das die meisten nur vom Hörensagen kannten. Österreich? Nein, das sind ebenfalls Europäer, die für bessere Verhältnisse in Europa kämpfen und nicht einen eigenen Weg suchen wollen. Also: Das hier sind Meinungen. Ich kann natürlich nicht ausschließen, dass sich das eine oder andere Land von der EU trennt. Doch ich halte es für unwahrscheinlich, dass in den kommenden drei Jahren eine Welle losgetreten wurde. Die Briten sind eine alte Kolonialmacht, die mal die Welt beherrscht haben. Die britische Kolonialherrschaft endete erst im zweiten Weltkrieg. Es gibt noch Engländer, die sich noch an die Kolonialzeiten erinnern und daher einen eigenen, britischen Weg bevorzugen. In welchem anderen europäischen Land ist das der Fall? Der Brexit ist entschieden und wird kommen. In der Politik wird nun Schadensbegrenzung betrieben. Insbesondere Kanzlerin Merkel arbeitet sicherlich bereits an ihrer stärksten Waffe: Das Ereignis für irgendwelche unbeliebten Entscheidungen zu missbrauchen. So nutzte sie Fukushima für den Atomausstieg. So nutzte sie die Finanzkrise, um einen deutschen EZB-Chef zu verhindern. So könnte sie den Brexit zur Lösung der Flüchtlingsproblematik nutzen. So könnte ein Zaun in der Nordsee gebaut und das dadurch erworbene Knowhow dann für die Ägäis verwendet werden (ist nicht ernst gemeint, ich habe keine Ahnung, in welcher Form Sie sich den Brexit zunutze macht). WIRTSCHAFT Wenngleich heute alle nach Bestrafung schreien, so würde es mich stark wundern, wenn die Briten nicht die besten bilateralen Handelsabkommen mit Deutschland erhalten, die irgendein anderes Land hat. Die EU soll durch ihre Vorzüge überzeugen und neue Mitglieder anlocken und nicht ihre Mitglieder durch Strafandrohung zum Verbleib zwingen. Bestrafung erinnert mich an die DDR, die eine Mauer zum Schutz vor den Westlichen Neidern baute. Es wird keine Strafe für die Briten geben und der wirtschaftliche Schaden wird gering bleiben. GESELLSCHAFT Unter Gesellschaft verstehe ich weiche Faktoren wie Haushaltsdisziplin vs. Überschuldung, restriktive Geldpolitik vs. Liquiditätsflutung, Südländische Wirtschaftsförderung vs. Strukturreformen, Eigenverantwortung vs. Solidarität. Und hier habe ich kein gutes Bild von den Club-Med Ländern, deren Stimmen nun durch den Brexit an Gewicht gewonnen haben. Mag sein, dass Deutschland vom Status quo der EU stark profitiert, doch eine Verewigung einer Umverteilung kann nicht die Lösung sein. Italien ist schon unterwegs mit Forderungen, das Spardiktat weiter zu lockern und durch staatliche Investitionen die Konjunktur anzukurbeln. Insbesondere Deutschland könnte gigantische Konjunkturprogramme zu 0% auflegen, denn Schäuble muss derzeit für 10-Jahre laufende Staatsanleihen keine Zinsen zahlen. Doch wie schon im Heibel-Ticker vor einer Woche gezeigt führen so billige Investitionen zu niedrigen Renditen und hohen Ausfallquoten, so dass selbst die unverzinste Rückführung solcher Kredite fraglich ist - sofern die Gelder überhaupt bei Investitionen landen und nicht im Konsum. FAZIT Ich weiß nicht wie es Ihnen geht, aber ich wünsche den Briten alles Gute und habe keine Angst vor einem Domino-Effekt. Kurz- und mittelfristig dürften sich die Wogen also glätten. Doch langfristig ist der Brexit eine Schwächung der marktliberalen Kräfte in der EU, und ich fürchte, dass Deutschland noch mehr Transferzahlungen aufgebürdet werden, während Club-Med Länder ihre Strukturreformen schleifen lassen. Daher mein Pessimismus. Schauen wir einmal, wie sich die wichtigsten Indizes in der abgelaufenen Woche entwickelt haben: WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES INDIZES (30.06.2016) | Woche Δ Dow Jones: 17.878 | -0,3% DAX: 9.680 | -5,6% Nikkei: 15.575 | -4,1% Shanghai A: 3.066 | 1,3% Euro/US-Dollar: 1,11 | -2,7% Euro/Yen: 114,02 | -5,1% 10-Jahres-US-Anleihe: 1,49% | -0,24 Umlaufrendite Dt: -0,21% | -0,14 Feinunze Gold: $1.318 | 4,4% Fass Brent Öl: $49,58 | -1,6% Kupfer: 4.936 | 0,0% Baltic Dry Shipping: 660 | 12,8% Die USA wurden vom Brexit-Ausverkauf kaum getroffen, der Dow Jones gab "nur" 5% ab und konnte diesen Verlust im weiteren Wochenverlauf bereits wieder ausgleichen. Auch der Euro hat Federn gelassen und sank zwischenzeitlich sogar unter die Marke von 1,10 USD/EUR. Der Yen entwickelte sich zum Zufluchtsort und legte sogar um 5,1% zu, aus dem starken Yen können sie den Kurseinbruch im Nikkei ableiten (-4,1%). Das Exportland Japan leidet unter der starken Währung. Die Umlaufrendite in Deutschland ist nun negativ. Ein Warenkorb aus Anleihen mit Laufzeiten von bis zu 10 Jahren verzinst sich derzeit mit -0,21%, Sie müssen also draufzahlen, wenn Sie ihr Geld sicher anlegen wollen. kein Wunder, dass der Goldpreis um 4,4% angesprungen ist. 4,4% in US-Dollar. Gemessen in Euro, was für uns der relevante Wert ist, konnte das Gold sogar um 8% zulegen. Das Gold hat in dieser Woche seinen Stabilisierungen Wert für unser Portfolio bewiesen. Der Ölpreis pendelt nun zwischen 45 und 50 USD/Fass WTI. Ich betrachte das vorerst als gesunden Gleichgewichtspreis. Gegen die Konjunktursorgen sprechen gleich drei Indizes: Der Shanghai-Aktienindex, der um 1,3% angestiegen ist, Dr. Copper, der Kupferpreis, der um 3,6% angesprungen ist sowie der Baltic Dry Verschiffungsindex als Gradmesser der Import/Export-Tätigkeit Chinas, der um 12,8% angesprungen ist. Während also Europa aus Angst vor dem Brexit alle Schotten dicht macht, zeichnet sich in China ein deutlicher Aufschwung ab. | ||
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis) | ||
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