Alt 19.09.20, 11:46
Standard So tickt die Börse: Grenke, Wirecard und Steinhoff: Die Schwachstelle im System
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Nach Steinhoff und Wirecard spekuliert Fraser Perring nun auf betrügerische Machenschaften bei Grenke Leasing. Über seine Researchfirma Viceroy (Vize-König) hat er eine 64 Seiten lange Analyse zu Grenke veröffentlicht, die den Aktienkurs um über 50% hat einbrechen lassen. Das pikante daran: Perring selbst ist im Vorfeld der Veröffentlichung der Vorwürfe massiv short gegangen, verdient sich also eine goldene Nase an dem Kurseinbruch.

Inzwischen hat Firmenpatriarch Wolfgang Grenke zu den Vorwürfen Stellung bezogen. Heute wird eine weitere Stellungnahme des Unternehmens erwartet. Wir befinden uns meiner Einschätzung nach erst am Anfang einer Auseinandersetzung, die in den kommenden Wochen und Monaten mit immer neuen Details Anleger verunsichern wird. Ausgang ungewiss.

Da es sich um eine Masche handelt, die sich zu wiederholen scheint, habe ich mich ein wenig dahinter geklemmt, was nun wirklich das Problem ist. Stark geholfen hat mir dabei ein Kunde, der bei einem US-Unternehmen vor vielen Jahren entsprechende Machenschaften aufgedeckt hatte. Das System ähnelt sich immer wieder. Ich will versuchen, die Schwachstelle im System zu identifizieren, damit wir als Anleger das Risiko besser einschätzen können.

Es gibt verschiedene Wege, immaterielle Vermögensgegenstände zu Geld zu machen. Ich denke mir hier mal ein eigenes Beispiel aus: Die Software, die ich zum Betrieb des Heibel-Tickers entwickeln ließ, hat mich viel Geld gekostet. Da ich ohne die Software meinen Laden nicht betreiben könnte und ich sehe, was ich dadurch verdiene, ist die Software für mich subjektiv ein Vielfaches dessen wert, was ich dafür ausgegeben habe. Doch niemand möchte mir einen entsprechenden Geldbetrag dafür geben, denn für Dritte ist meine individuelle Software nahezu wertlos. Daher laufen Entwicklungskosten bei mir als Kosten und nicht als Investition. Einen Wert erschaffe ich damit nicht.

Wenn man nun hohe Wachstumsziele verfolgt und jeden Cent locker machen möchte, um ihn zu investieren, dann ärgern einen diese Kosten. Ich kann den Wert meiner Software nicht als Sicherheit hinterlegen, weil es niemanden gibt, der der Software einen in meinen Augen auch nur annähernd fairen Wert bemisst. Also könnte ich doch eine Auslandsgesellschaft gründen und diese kauft mir meine Software für meinen Wunschpreis ab. Das Geld für den Kauf erhält die Auslandsfirma aus einer anderen Abteilung meines Unternehmens und so fließen meinem Unternehmen Bargeld zu, während irgendwo anders eine Forderung entsteht. Die Forderung ist natürlich, und davon wäre ich als Unternehmensgründer überzeugt, durch den hohen Wert der Software sehr gut besichert.

Okay, hier verlassen wir meinen kleinen Heibel-Ticker als Beispiel, denn hier ist nun schon ein Konzern mit einer etwas komplexeren Struktur erforderlich.

Nun kommen die Wirtschaftsprüfer ins Spiel: Alle Gesellschaften, also sowohl die Konzernmutter in Deutschland als auch die Töchter in Luxemburg, Malta, Dubai und Brasilien (das sind nur zufällig Standorte von Grenke-Töchtern), werden dann von lokalen Wirtschaftsprüfern geprüft. Da kommen dann ein paar hochbezahlte und erfahrende Akademiker für mehrere Tage in die Räume des Unternehmens, drehen alles auf links und schauen nach, ob die jeweiligen nationalen Gesetze eingehalten wurden.

In Brasilien wird nicht geprüft, ob deutsche Gesetze eingehalten wurden. Es werden die jeweiligen Jahresabschlüsse nach den nationalen Gesetzen testiert.

Nun kommt der Konzernbilanzbuchhalter ins Spiel. Er übernimmt die Zahlen der einzelnen Landesgesellschaften und "konsolidiert" sie in die Konzernbilanz. Bei diesem Vorgang würde dann der obige Softwarekauf herausgerechnet, da es sich um ein internes Geschäft handelt. Doch bei der Konsolidierung befinden wir uns in einem Bereich, den ich als anfällig bezeichnen würde: eine Schwachstelle.

Denn selbst im SAP-System gibt es noch kein ausgereiftes Modul, das diese Problematik zufriedenstellend gelöst hat. Bei meinen Recherchen habe ich in Erfahrung gebracht, dass SAP mit einem Partnerunternehmen derzeit ein solches System entwickeln möchte. Bis heute ist im SAP-System noch viel Handarbeit erforderlich, um die Konsolidierung umzusetzen. Viele Unternehmen haben an dieser Stelle eigene Lösungen entwickelt, die inzwischen vollautomatisch laufen, aber einen internationalen Standard gibt es noch nicht. Zu komplex sind die Anforderungen durch die Vielzahl der Geschäftsmodelle und die Vielzahl der beteiligten Länder bis hin zur Vielzahl an Interpretationsmöglichkeiten bzw. Handlungsspielräumen.

Wir haben es hier also mit testierten Zahlen zu tun, die im Zuge der Konsolidierung in einer Art verwendet werden, die nicht internationalen Gesetzen unterliegen. Es gibt Best Practice Vorschriften für Buchhalter, es gibt Empfehlungen und Leitlinien, aber meines Wissens riskiert ein Buchhalter, der im Rahmen der Konsolidierung "Fehler" macht, nicht Kopf und Kragen, sondern erst einmal nur eine Rüge, sollte es auffliegen. "Hoppla, da ist mir wohl ein Fehler unterlaufen".

Auch die Konzernbilanz wird natürlich geprüft. Doch ist es dem Prüfer nicht zuzumuten, sämtliche oben genannten Feinheiten zu überblicken. Er muss die konsolidierten Zahlen als gegeben hinnehmen und prüft deren Konsistenz, nicht aber Herkunft. Fragen über die Herkunft wird der Konzernbilanzbuchhalter beantworten und da können Sie von ausgehen, dass er eine plausible Erklärung hat, denn er kennt das Geschäft ja wesentlich besser als der Prüfer.

Auch die Herkunft wird jedoch geprüft. Der oben genannte Kunde erzählte mir aus seiner Erfahrung, dass alle 5-6 Jahre zwei Hochschulabgänger von der Konzernzentrale in einzelne Landesgesellschaften geschickt wurden, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Erfahrene Prüfer wurden kaum eingesetzt, da es sich hierbei um einen Pflichtbesuch handelte, nicht jedoch um eine Pflichtprüfung: Zur Pflichtprüfung würde es nur werden, wenn falsche Ergebnisse teuer würden. Mangels entsprechender internationaler Sanktionsmechanismen in diesem komplexen Umfeld ist es für Prüfungsgesellschaften ökonomisch sinnvoll, dort ein paar günstige Arbeitskräfte hinzuschicken. Diese Frischlinge hören sich dann vor Ort mit stauenden Augen die Hintergründe zu den Zahlen an und glauben letztlich alles, was ihnen erzählt wird.

Nach einigen Jahren könnte der Konzern dann die 100%ige Softwaretochter aus Brasilien wieder übernehmen und in den Konzern eingliedern. Die Softwarefirma hat eine Software im Bestand, die über Jahre einen stabilen Wert ausgewiesen hat. Der entsprechende Kredit der Firma wird dann vom Konzern unter gleichen Bedingungen mit der gleichen Bescherung weitergeführt. Über die Zeit bläht sich die Bilanz des Unternehmens auf.

Grenke nutzt eine Partnerfirma im Ausland, CTP, um Leasingfirmen im Ausland zu betreiben. Diese Leasingfirmen werden nur dann zu Töchtern (also gekauft), wenn sie sich als erfolgreich zeigen. So werde das Risiko ausgelagert, sagt Patriarch Wolfgang Grenke. Viceroy Research behauptet, diese Auslandstöchter würden keinen Gewinn abwerfen, sondern nur über immer höhere Kredite einer anderen Konzerntochter, Grenke Finance, subventioniert.

***Einschub in letzter Minute: In der gerade laufenden Telco wurde Grenke nach den Eigentümern von CTP von VOR 2020 gefragt und ist einer Antwort ausgewichen, was von Perring über Twitter sofort mit Wirecard verglichen wurde, die auch lange Zeit Fragen zu Verhältnissen zwischen Partnergesellschaften nicht beantworten wollte. Mann Oh Mann, echt spannend! ***

Natürlich dürften Unternehmensteile Verluste erwirtschaften, das macht das ganze System noch nicht korrupt. Beispielsweise könnte so strategisches Wachstum verfolgt werden.

FAZIT: Ich würde die Situation derzeit so beschreiben: Es ist durchaus möglich, über ein Netz von Auslandsgesellschaften Zahlen vorzutäuschen, die nicht der Wirklichkeit entsprechend. Es gibt deutliche Schwachstellen in unserem System und es gab immer wieder Unternehmen, die diese Schwachstellen betrügerisch ausgenutzt haben. Viceroy hat nun bei Grenke viele Elemente entdeckt, die auch Unternehmen ausgewiesen haben, die diese Schwachstellen betrügerisch genutzt haben. Das allein reicht jedoch noch nicht, um Grenke den Betrug nachzuweisen.

Wer jetzt in Grenke investiert, weil die Aktie "günstig" ist, der sollte sich der Gefahr bewusst sein. Sollten sich die Vorwürfe als richtig herausstellen, ist die finanzielle Basis des Leasing-Anbieters gefährdet. Grenke ist nun gefordert, die Vorwürfe vollumfänglich zu entkräften. Das ist, sofern Grenke sauber wirtschaftet, ärgerlich, weil es ein Riesenaufwand bedeutet! Auf der anderen Seite ist es natürlich auch sehr riskant, wenn Grenke tatsächlich die oben genannte Schwachstelle das ein oder andere Mal genutzt haben sollte.

Wer also in Grenke spekulieren möchte, der sollte forensische Blanzprüfungsfähigkeiten haben, um sich eine Meinung zu bilden. Andernfalls gilt meine alte Regel: Bilanzierungsunregelmäßigkeiten = Finger weg! Warten wir's ab, denn der Ausgang ist einmal mehr ungewiss.

Einer, der öffentlich darauf spekuliert, dass an den Vorwürfen nichts dran ist, ist Fondsmanager Hendrik Leber von Acatis. Mindestens genauso wichtig wie das, WAS gesagt wird, ist, WER sagt es. Acatis ist mit 5,02% Anteilen an Grenke einer der Großaktionäre des Konzerns. In der Situation, wie sie ist, hat Leber keine andere Wahl, als die Vorwürfe als haltlos zu bezeichnen. Er hatte drei Möglichkeiten: Viceroy zustimmen, dann wäre seine Beteiligung schon morgen wertlos. Das kann er seinen Anlegern nicht antun, in diesem schlimmsten Fall müsste er zumindest versuchen, die Beteiligung noch irgendwie mit Verlusten loszuschlagen. Möglichkeit zwei wäre "nichts sagen". Das kann ein so wichtiger Aktionär nicht ewig tun, sein Schweigen würde ihm irgendwann negativ ausgelegt. Möglichkeit 3 ist, die Vorwürfe als haltlos zu erklären. Entweder er trennt sich nun von seiner Beteiligung unter Verlust, oder aber er hat recht und steht am Ende als Fels in der Brandung da. Ungeachtet dessen, ob Leber tatsächlich weiß, was los ist, ist seine Aussage damit ziemlich wertlos, schade.


BÖRSENGÄNGE ENTZIEHEN LIQUIDITÄT

Der Anlagenotstand begünstigt Börsengänge. Wir kennen das aus dem Jahr 2014, auch damals begann es mit den besten, bis dann am Ende auch zweitklassige Unternehmen den Weg an die Börse fanden und für viele Anleger zu einem teuren Vergnügen wurden.

Mittwoch dieser Woche war Snowflake an die Börse gegangen: CEO Frank Slootman kennen wir noch von ServiceNow, dem Cloud-Anbieter für die IT-Verwaltung, die kürzlich exSAP-Chef Bill McDermott zum CEO gemacht hat. Slootman zog zu Snowflake, einem Unternehmen, das cloudbasierte künstliche Intelligenzauswertungen (KI) in Echtzeit anbietet. KI erhält Einzug in immer mehr Unternehmensbereiche und erobert inzwischen sogar Entscheidungsebenen. Sowohl das Produkt (Cloud & KI) als auch das Management (Slootman) haben die Wallstreit begeistert, zudem stimmen die Wachstumszahlen: Über 100% im Vorjahr sowie auch dieses Jahr. Warren Buffet, der sonst nicht als tech-affin gilt, hat 735 Mio. USD in Snowflake investiert. Das ist mehr als ein Schlag zum Ritter.

Wie soll man ein solches Unternehmen bewerten? Man hat es sich einfach gemacht und gesagt, wir setzen das Bewertungsniveau des bislang am höchsten bewerteten Börsenunternehmens an: Zoom. Der Umsatz wächst im laufenden Jahr um 286% (dank Corona) auf 2,4 Mrd. USD, das Unternehmen wird mit 108 Mrd. USD bewertet. Das Kurs/Umsatz-Verhältnis steht also bei 45.

Für Snowflake erwarten Analysten im laufenden Jahr eine Umsatzverdopplung auf 400 Mo. USD. Wenn wir ein KUV von 45 anlegen, kommen wir auf eine Marktkapitalisierung von 18 Mrd. USD. Bei dieser schwindelerregenden Bewertung ergab sich ein Preis je Aktie von 120 USD, dabei liegt das Wachstum von Snowflake (100%) deutlich unter dem von Zoom (286%). Gewinne sind bei Snowflake nicht in Sicht, Zoom ist hingegen bereits profitabel.

Nun, die Aktie startete mit einem Kurs von 260 USD, stieg bis auf knapp 300 USD, um dann in Richtung 230 USD zu fallen. Zwischenzeitlich notierte die Aktie also schon auf einem KUV von 120! Abenteuerlich.

4,5 Mrd. USD an frischem Anlegerkapital sammelte Snowflake durch den Börsengang ein. Eine gigantische Summe, die zu heftigen Verwerfungen am Aktienmarkt, insbesondere im Technologiesektor führte. Denn Anleger, die in Snowflake investieren wollten, mussten andere Technologieaktien dafür verkaufen. Und so gab die Nasdaq gestern 1,3% ab, während das Minus im Dow Jones bei 0,5% stoppte.

Eine Kritik an Börsengängen, die ich in der Vergangenheit öfter geübt habe, kann ich diesmal nicht platzieren: Manchmal werden Börsengänge so gestaltet, dass nur ganz wenige Aktien in den Handel gegeben werden, um durch die vorhandene Nachfrage eine möglichst große Kurssteigerung zu erzielen. die wenigen verfügbaren Aktien werden dann in die Höhe gejubelt und zu einem späteren Zeitpunkt wird dann in einer Zweitplatzierung ein viel größerer Anteil an Aktien platziert. Ein Lukratives Geschäft für den Börsenaspiranten sowie für die Banken.

Doch mit einem Platzierungsvolumen von 4,5 Mrd. USD ist das hier bei Snowflake nicht der Fall, die Banken haben alles richtig gemacht. Falsch ist die ungezügelte Nachfrage seitens der institutionellen Anleger, die Snowflake um jeden Preis in ihrem Portfolio haben wollen. "Um jeden Preis" heißt, sie sehen die aktuelle Notierung um 250 USD, schauen in ihre Bücher und stellen fest, dass sie die Hälfte der beabsichtigten Positionsgröße bereits zu 120 USD, dem Platzierungspreis, zugeteilt bekamen. Nun wird die beabsichtigte Positionsgröße als wichtiger eingestuft als ein vernünftiger Kaufpreis, denn am Ende wird nur ein durchschnittlicher Kaufpreis ausgewiesen. Und wenn man die Hälfte zu 120 und die andere zu 240 USD erhält, beträgt der durchschnittliche Kaufpreis 190 USD, die Position notiert dann aktuell noch immer dick im Plus.

Ein solches Verhalten ist ein Zeichen von mangelnder Disziplin, oder vielleicht auch Verzweiflung. Ich fürchte, da werden viele Tech-Aktien verkauft, die eigentlich bereits fair bewertet sind.

Ganz ähnlich sah es bei Amwell aus, der Telemedizin-Anbieter der ebenfalls diese Woche an die Börse ging. Kürzlich sind Teladoc Health und Livongo zusammengegangen, damit war der einzige Telemedizin-Anbieter vom Börsenparkett verschwunden. Mit Amwell gibt es nun eine neue Aktie, die von Anlegern gerne aufgegriffen wurde. 4 Mrd. USD wurden hier eingespielt, eine weitere gigantisches Summe. Amwell wuchs 2019 mit 36%, Corona sorgte für einen erwarteten Umsatzsprung von 77% im laufenden Jahr. Genau wie Snowflake ist auch Amwell meiner Ansicht nach ein tolles Unternehmen, doch ich würde auf günstigere Kurse warten.

In den kommenden Wochen und Monaten stehen weitere Kandidaten an, die IPO-Pipeline ist so voll wie seit Jahren nicht mehr. Darunter Namen wie Palentir, dem Anbieter von Datenanalysen (ja: KI) für Geheimdienste. Peter Thiel ist Gründungsmitglied und Aufsichtsrat bei Palentir, das zuletzt mit 20 Mrd. USD bewertet wurde. Und auch AirBnB möchte dieses Jahr noch an die Börse. Ein weiteres Schwergewicht (zuletzt mit 42 Mrd. USD bewertet, das ist aber schon ein Jahr her) und ein - auf den ersten Blick unsichtbarer - Profiteur der Corona-Pandemie: Reisende übernachten derzeit lieber in der überschaubaren Privatsphäre eines kleinen Apartments als in großen Hotels. Doordash möchte ebenfalls vor Jahresende noch an die Börse, zuletzt wurde Doordash mit 16 Mrd. USD bewertet - Delivery Hero wird dies mit großem Interesse beobachten.

Gestern gab Facebook um 3,3% nach, Amazon um 2,2% und Apple um 1,6%. Ich kann keinen anderen Grund für die Kursrückgänge finden als den, dass institutionelle Anleger sich Geld für Snowflake, Amwell und die anstehenden weiteren Börsengänge besorgen möchten. Ich werde in den kommenden Wochen vorsichtiger mit Tech-Aktien umgehen.

ÜBERNAHMEKARUSSELL: GILEAD/IMMUNOMEDICS, NVIDIA/ARM, ORACLE/TIOTOK, GM/NIKOLA, MERCK/SEATTLE GENETICE

"Merger Monday" heißt es in den USA: Montags werden Übernahmen und Fusionen bekannt gegeben. Es ist einfach häufig der Montag, weil die letzten Verhandlungen häufig am Wochenende finalisiert werden. Diese Woche gab es am Montag eine ganze Reihe von Übernahmen, die in meinen Augen eine wichtige Aussage in sich tragen: Viele Aktien sind noch nicht zu teuer.

Graphikkartenhersteller Nvidia möchte die britische ARM Holding für 40 Mrd. USD kaufen. ARM lizenziert die Chiparchitektur für so ziemlich alle Smartphones auf der Welt. Damit hat das Unternehmen Intel verdrängt, die bei Computern Marktführer waren. Seit Graphikchips Rechenoperationen übernehmen können, also nicht mehr ausschließlich für die Graphikdarstellung verantwortlich sind, schickt sich Nvidia an, Intel vom Thron zu stoßen. In Sachen Marktkapitalisierung (Nvidia 300 Mrd,. USD vs. Intel 210 Mrd. USD) ist das bereits gelungen, beim Umsatz (Nvidia 13 Mrd. USD vs. Intel 78 Mrd. USD) ist es noch ein weiter Weg.

Kartellbedenken gebe es nicht, so Nvidia CEO Jen-Hyun Huang. Beide Geschäfte seien komplementär. Das ist zwar richtig, doch die offene Systemarchitektur ARMs in den Händen des Graphikherstellers Nvidia könnte missbraucht werden, fürchte ich. Aber das ist hier nicht mein Thema.

Für mich ist die Aussage wichtig, die diese Übernahme aussendet: Trotz der exorbitanten Rallye in den Aktienkursen der Chipindustrie ist ARM Holding noch immer nicht zu teuer. Das Unternehmen wird der japanischen Softbank abgekauft, die sich derzeit von vielen ihrer Beteiligungen trennt und selber von der Börse gehen möchte (Management Buyout).

Merck gab am Montag bekannt, 1 Mrd. USD in Seattle Genetics zu investieren. Seattle Genetics forscht nach Antikörpern für Krebstherapien. Die Investition Merck bewertet Seattle Genetics mit 200 USD/Aktie, obwohl der aktuelle Aktienkurs vor der Übernahme bei nur 150 USD stand: 25% Preisaufschlag auf die Börsenbewertung. Auch hier zeigt sich, dass Brancheninsider wie Merck ihre eigene Branche für zu günstig bewertet halten.

Gleiches gilt für Gilead, das Biotech-Unternehmen, das Hepatitis-C von der Liste der unheilbaren Krankheiten genommen hat. Für 21 Mrd. USD kauft das Unternehmen Immunomedics, ein Preisaufschlag von 100% zum Aktienkurs vom Vortag. Immunomedics forscht ebenfalls nach einer Krebsbehandlung, hat aber nur ein Medikament in der Pipeline.

Aber nicht nur Immunomedics und Seattle Genetics werden mit höheren Preisen versehen, auch Merck und Gilead konnten nach der Bekanntgabe der Übernahme/ Investition steigen. Anleger sind also der Meinung, dass diese Übernahmen vorteilhaft sind. Das ist nur sehr selten der Fall, denn in der Regel werden die kaufenden/ investierenden Unternehmen ausverkauft, weil sie sich mit einer solchen Entscheidung ein neues Risiko in die Bücher holen. Hier wird das neue Risiko also als vernachlässigbar bewertet, da der Preis aus Sicht der Anleger günstig war.

Dann ist da noch General Motors, der einst weltweit größte Automobilkonzern, der 2 Mrd. USD für 11% der Anteile von Nikola investiert. Diese Meldung hat für Furore gesorgt. Nikola akzeptiert ein Investment, das nur in Form von nicht-monertären Zuwendungen besteht, wie bspw. Entwicklungsarbeit, die Elektroauto-Plattform von GM oder auch das Vertriebsnetz. Ich frage mich, was genau GM für die 2 Mrd. USD bekommt? Oder anders herum gefragt: Was macht den Wert von Nikola aus, wenn es alles von GM holt?

Nikola war auf ungewöhnlichem Weg dieses Jahr erst an die Börse gegangen. Das Unternehmen hat eigenen Angaben zufolge bereits Bestellungen für 14.000 Hybrid-LKWs. Es wird der Brennstoffzellenantrieb beworben, der die Batterie eines Fahrzeuges lädt und somit für LKW-Reichweiten jenseits der 1.000 Km sorgen soll. Also nicht Hybrid im Sinne von Batterie und Verbrenner, sondern im Sinne von Batterie und Wasserstoff. Die Branche ist begeistert, insbesondere ein Werbevideo, in dem ein Nikola-LKW an einer Kamera vorbei fährt, überzeugt die Wallstreet.

Nun hat eine Research-Firma herausgefunden, dass der Nikola-Hybrid-LKW auf dem Video nur den Berg herunter gerollt war (https://hindenburgresearch.com/nikola/). Der eigene Hybrid-Antrieb von Nikola, der mit 12 Mrd. USD an der Börse bewertet wird, existiert in diesem LKW gar nicht.

Nikola-CEO Trevor Milton hat zu dem Vorwurf Stellung genommen: "Man habe niemals behauptet, der LKW in dem Video fahre unter eigenem Antrieb". Na, ich weiß nicht, ob das ein Dementi ist, das General Motors sich gewünscht hat. Technologiepartner von Nikola ist Bosch. Zeige mir Deine Freunde und ich sage Dir, wer Du bist: Wenn Bosch tatsächlich Partner von Nikola ist, dann könnte die revolutionäre Technologie tatsächlich vor dem Durchbruch stehen, oder? Bosch hat einen guten Ruf in der Branche.

Obige Research-Firma hat mehrfach bei Bosch nachgefragt, ob denn schon ein erster LKW mit der revolutionären Technologie fahre: Fünf LKWs befänden sich in Produktion, so die Antwort. Es gibt bis heute also noch nicht einmal einen Prototypen und dennoch wird Nikola bereits mit 12 Mrd. USD bewertet. Nicht schlecht.

Schauen wir zuletzt noch auf die TikTok-Geschichte: Im Juni sprach Donald Trump im Rahmen einer Wahlkampfveranstaltung in Tulsa vor teilweise leeren Rängen. Über TikTok wurde im Vorfeld aufgerufen, Ticket für die Veranstaltung zu reservieren und nicht hinzugehen. 700.000 mal wurde ein entsprechendes Video einer TikTok-Oma ausgestrahlt. Die Schlappe wurden von Trump-Gegnern natürlich reichlich ausgekostet: Eine Trump-Rede vor leeren Rängen ist ein willkommenes Fressen.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses Erlebnis hinter dem Erlass Donald Trumps steckt, TikTok zum 15. September in den USA zu verbieten, immerhin hat sich Trump in seiner Amtszeit niemals als dünnhäutig gezeigt (ja, Sie hören Sarkasmus). Microsoft und Oracle buhlen nun um das Us-Geschäft von TikTok. Trump-Freund Larry Ellison, Gründer von Oracle, scheint derzeit die besseren Karten zu haben. Inzwischen hat ByteDance, die chinesische Mutter von TikTok, das Angebot von Microsoft abgelehnt und einen Vorschlag eingereicht, demzufolge Oracle Technologiedienstleister von TikTok USA werden könnte, während gleichzeitig das Eigentum mehrheitlich in den USA verbliebe. Dieses wurde inoffiziellen Berichten zufolge gestern von US-Finanzminister Mnuchin abgelehnt, inzwischen sei ein modifizierter Vorschlag mit einer Mehrheitsbeteiligung durch Oracle auf dem Tisch.

Vor dem Hintergrund der Tulsa-Geschichte klingt das Ganze wie ein schlechter Scherz. Beim genauen Hinschauen kommt jedoch zu Tage, dass Trump das chinesische Unternehmen ByteDance nicht anders behandelt als US-Unternehmen in China behandelt werden: Mehrheitseigentümer muss bis heute fast immer ein chinesisches Unternehmen bleiben - es gab in den vergangenen Monaten nur wenige medienwirksame Ausnahmen, die vor dem Hintergrund des Handelsstreits platziert wurden.

Auch hier dürfen wir gespannt sein, wie das Ganze ausgeht. Was wird Oracle mit TikTok anstellen? Warum wirft sich Walmart, die sich zuvor Microsoft an die Brust geworfen hatten, nun nicht Oracle an die Brust? Für Walmart wäre TikTok eine willkommene Plattform, um seinen Online-Handel in jüngere Generationen zu treiben. Nach Amazon ist Walmart in den vergangenen Jahren zum zweitgrößten Online-Händler der USA aufgestiegen.

Während Merck und Nvidia meiner Einschätzung nach zwei günstige Perlen auflesen konnten, sind Gilead und GM eher getriebene Käufer: Sie müssen irgendwas vorweisen, was nach Zukunft aussieht. Für Oracle gilt: Hier wird ein völlig neues Abenteuer eingegangen.

WAS SONST NOCH LOS WAR

Die US-Notenbank hat diese Woche das Zinsniveau unverändert belassen und die Dauer der Niedrigzinsphase verlängert. Wenn man die Worte von Jay Powell mit den Notenbankprognosen in Einklang bringt, dürfte es bis 2023 in den USA keine Zinserhöhung geben.

Im US-Präsidentschaftswahlkampf kommen so langsam Zweifel am Gegner Trump auf: der 78-jährige Joe Biden könnte Ansätze einer Demenz zeigen, behaupten einige Mediziner. Ich halte das für eine schlechte Kampagne der Trump-Befürworter und habe daher meinen Freund, der seit 30 Jahren Psychiater ist, gefragt, ob eine solche Ferndiagnose zulässig ist. Zugegeben, Biden hat des öfteren Ausfälle, die jeden Mediziner in Sorge versetzen. Doch Demenz will mein befreundeter Psychiater nicht diagnostizieren, es gibt noch eine Reihe anderer, wesentlich harmlosere Gründe, die dieses Verhalten hervorrufen können. Ungeachtet dessen stimmten wir beide überein, dass Biden ein schwacher Gegner für Trump ist - wir hätten uns jemand stärkeren gewünscht. Je näher die Wahl rückt, desto schwächer sieht die demokratische Seite aus. Während ein erneuter Wahlsieg Trump in Deutschland für völlig ausgeschlossen gehalten wird, schaue ich mir den Gegner an, der ihn besiegen soll. Und da kommen mir große Zweifel auf.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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