Alt 20.06.21, 22:33
Standard So tickt die Börse: Geldwertstabilität irrelevant für Geldpolitik
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Nachdem die Modern Monetary Theory die geldpolitische Aufgabe der Notenbanken in die Hand der Politik transferiert hat, suchen Notenbanken nach neuen Zielen. Die EZB hat das Klima für sich entdeckt. Die Fed kümmert sich um den Arbeitsmarkt. Der Begriff der Geldwertstabilität wird jedoch überall neu definiert.

In einem Punkt haben jedoch Christine Lagarde und Jay Powell Recht: Die derzeit zu beobachtende Inflation ist "transitory", vorübergehend. Corona hat für Turbulenzen in den weltweiten Lieferketten gesorgt, die sich an den verschiedensten Ecken zeigen. Nachdem die Rohstoffpreise in den vergangenen Wochen angesprungen waren, brachen sie in Folge der Aussagen nach dem Fed-Meeting ein (Kupfer -8%).

Gleichzeitig ist jedoch der Baltin Dry Verschiffungsindex diese Woche um 22% angesprungen. Seit Jahresbeginn beträgt der Preisanstieg 140%. Wenn Sie etwas von China nach Deutschland verschiffen möchten, zahlen Sie nicht etwa den exorbitanten Preis, sondern Sie müssen derzeit rund 6 Wochen warten, bis Sie den exorbitanten Preis zahlen dürfen. Es gibt nicht genügend Container, um die Nachfrage zu bedienen.

Freie Märkte werden wieder ein Gleichgewicht herstellen. Mag sein, dass es vorübergehend zu Preisanstiegen kommt. Doch wenn Angebot und Nachfrage ins Gleichgewicht kommen, wird auch die Inflation wieder zurückgehen.

Wenn die Finanzpresse jedoch das Thema Inflation aufgreift, werden schnell Bilder der Hyperinflation aus der Weimarer Inflation 1923 gezeigt, um die Dramatik der Entwicklung zu veranschaulichen. Doch zwischen einer Inflation von 3%, 5% oder gar 8% bis zu einer Hyperinflation ist es ein weiter Weg. Dazu muss einiges zusammen kommen.

Insbesondere eine Komponente wird dabei in der öffentlichen Diskussion völlig vernachlässigt: Die Lohnspirale. Hyperinflation kann sich ja nur dann entwickeln, wenn gleichzeitig das Geld in den Händen der Menschen entsprechend wächst. Wir hatten das nun weltweit einmalig aufgrund der Corona-Pandemie. Doch das hat ja noch lange keine Lohnspirale losgetreten, im Gegenteil: die Arbeitslosigkeit ist noch immer hoch, insbesondere in den Club-Med Ländern Europas.

Und wer mich kennt, der weiß, dass mir das Lohnniveau in Deutschland bereits seit Jahren, seit Jahrzehnten zu niedrig ist - insbesondere bei den immer wieder zitierten Krankenschwestern und Kindergärtnern.

Mit diesen einleitenden Worten schauen wir nun einmal, was wir unlängst von den Notenbanken gehört haben. Christine Lagarde sagte folgendes:

"We expect underlying price pressures to increase somewhat this year owing to temporary supply constraints and the recovery in domestic demand. Nevertheless, the price pressures will likely remain subdued overall, in part reflecting low wage pressures, in the context of still significant economic slack, and the appreciation of the euro exchange rate."

Frei übersetzt: "Wir erwarten Inflationsdruck aufgrund von Angebotsengpässen. Die Inflation wird schwach bleiben, weil auf der anderen Seite niedrige Löhne vor dem Hintergrund der noch immer schwachen Konjunktur ein Gegengewicht bilden. Außerdem wird Inflationsdruck über den Wechselkurs, über einen starken Euro abgebaut."

Und Jay Powell hat den folgenden Satz in sein Statement eingebaut: "...joblessness continues to fall disproportionately on lower-wage workers in the service sector and on African Americans and Hispanics."

"Die Arbeitslosigkeit ist überproportional hoch bei Arbeitern des Niedriglohnsektor, der von Afro-Amerikanern und Latinos dominiert wird."

Sowohl Lagarde, als auch Powell betonen, dass der Arbeitsmarkt noch keinen Inflationsdruck verspürt. Die Äußerungen von Jay Powell zeigen erneut, dass es ihm wichtig ist, dass auch im Bereich der Afro-Amerikaner und Latinos die Arbeitslosigkeit noch immer viel zu hoch sei. An anderer Stelle hatte er bereits angedeutet, dass er mit seiner Geldpolitik auch auf diese Entwicklung Rücksicht nehmen werde.

Also: Wenn Lagarde sagt, die Inflation sei nur vorübergehend, dann hat sie gute Gründe dafür.

Nach den Äußerungen von Jay Powell haben die Aktienmärkte eine Achterbahnfahrt vollzogen. Er hat den Inflationsdruck bestätigt und die Bereitschaft gezeigt, entsprechend zu handeln. Doch vor Ende 2022 ist mit keiner Zinserhöhung zu rechnen. Er hat damit zwar das Ende der mega-laxen Geldpolitik eingeleitet, doch die wird eher langsam auslaufen und mit Sicherheit nicht die Konjunktur abwürgen.

Präsident Wilson hatte 1929 eine restriktive Fiskalpolitik eingeläutet und damit die Weltwirtschaftskrise verschlimmert. Ich kann in den Äußerungen von Jay Powell, von Joe Biden oder anderen Verantwortlichen in den Industrienationen nichts Restriktives finden.

Dennoch gibt es auch schon Berichte, die vor der Gefahr einer weiteren Weltwirtschaftskrise warnen, wenn die Liquiditätsflutung enden sollte.

Es hat den Anschein, die Finanzpresse kenne nur die Hyperinflation 1923 und die Weltwirtschaftskrise 1929. Inflationsraten, die vorübergehend leicht negativ oder auch leicht erhöht sind, werden als sicherer Vorbote des Chaos interpretiert ... was in den vergangenen 90 Jahren jedoch stets falsch war. Mag sein, dass die Entwicklung in die eine oder andere Richtung irgendwann eine Eigendynamik gewinnt, doch noch sind wir sehr weit entfernt davon.

Damit schließe ich das Thema Panik vor dem Zinsmarkt nun erst einmal ab und stelle mich auf eine Zeit mit etwas erhöhter Inflation bei niedrigem Zinsniveau ein. Unser Portfolio werde ich in Kapitel 04 vor diesem Hintergrund entsprechend ausrichten.

Werfen wir abschließend noch einen Blick auf die Wochengewinner und -verlierer: Die rote Laterne trägt die Woche ThyssenKrupp (-16%), der Stahlkocher, der von dem einbrechenden Rohstoffmarkt erfasst wurde. Auch Klöckner (-14%) und Salzgitter (-9%) gehören zu den größten Verlierern dieser Woche. Der Stahlsektor ist eines der Epizentren des Einbruchs am Rohstoffmarkt. China hat bekannt gegeben, inflationäre Tendenzen im Stahlsektor durch eine Ausweitung des Stahlangebots zu bekämpfen.

Wacker Chemie verlor diese Woche 11%, das Unternehmen ist Vertragspartner von CureVac für den Corona-Impfstoff, dessen Studienergebnisse diese Woche jedoch nicht überzeugten.

Economy hat 9% verloren: Im Streit mit dem Großaktionär Kellerhals zeichnet sich eine Lösung ab, die ist aber teuer.

Zu den Wochengewinnern gehören Coronagewinner wie TeamViewer (+10%), New Work/ Xing (+8%) und die Shop Apotheke (+9%).

Schauen wir mal, wie sich die wichtigsten Indizes im Wochenvergleich entwickelt haben:

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES


INDIZES (17.06.2021) Woche Δ Σ '21 Δ

Dow Jones 33.431 -2,8% 9,7%
DAX 15.448 -1,6% 12,6%
Nikkei 28.964 0,1% 5,5%
Shanghai A 3.695 -1,8% 3,2%
Euro/US-Dollar 1,19 -1,9% -3,5%
Euro/Yen 130,82 -1,4% 3,2%
10-Jahres-US-Anleihe 1,47% 0,01 0,53
Umlaufrendite Dt -0,28% 0,02 0,28
Feinunze Gold $1.776 -5,5% -5,7%
Fass Brent Öl $73,67 1,1% 43,4%
Kupfer $9.187 -7,9% 17,2%
Baltic Dry Shipping $3.267 22,4% 139,2%
Bitcoin $36.373 -1,0% 29,2%




Während EZB-Chefin Christine Lagarde die lockere Geldpolitik fortschreibt, hat Fed-Chef Jay Powell vorsichtig die Möglichkeit eines Endes in ferner Zukunft formuliert. Der DAX (-1,4%) konnte sich entsprechend stabil halten, während der Dow Jones (-2,7%) Federn ließ.

Auch der Wechselkurs wurde von den Aussagen Jay Powells bewegt: die Aussicht auf eine Rückführung der lockeren Geldpolitik stärkt den US-Dollar (+1,7% ggü. dem Euro).

Der Bitcoin setzt seine Bodenbildung fort. Diese Woche gab es eine leichte Erholung, die jedoch zum Wochenschluss schon wieder unter Druck kam. In Deutschland wurde ein Konzept bekannt, in dem die Regierung den Bitcoin wie eine Aktie besteuern möchte, nicht wie eine Währung. Die Haltefrist für einen steuerfreien Verkauf solle 10 Jahre betragen, statt bislang 1 Jahr.

Ich habe den Eindruck, dass der Bitcoin und dessen korrekter Platz in unserer Gesellschaft in den kommenden Jahren ein Thema sein wird. Solche Auseinandersetzungen dauern gerne mal 8-10 Jahre, bis sämtliche Instanzen durch sind.

Tatsächlich überrascht hat mich ein Kommentar von Jens Weidmann, den ich sehr schätze. Er hat den Bitcoin mit den folgenden Worten als überflüssig abgetan: "Mich beeindrucken Bitcoin als Zahlungsmittel nicht. Fragen Sie mal Freunde oder Bekannte, ob sie ihre Einkäufe mit Bitcoin bezahlen! Die Transaktionen sind langwierig und verbrauchen viel Strom. Aufsehen erregen vor allem die starken Kursschwankungen. Genau deshalb ist dieser Krypto-Token nicht zur Wertaufbewahrung geeignet. Was bleibt, sind spekulative Motive."

Weidmann hat richtig erkannt, dass der Bitcoin kein Zahlungsmittel ist. Aber auch als Wertaufbewahrungsmittel sei der Bitcoin ungeeignet, da er zu sehr schwanke. Hmm, das Argument ist nachvollziehbar, wenn man sich die Kursschwankungen innerhalb von Monaten oder weniger Jahre anschaut. Doch in einem so kurzen Zeitraum erfolgt doch auch durch Inflation keine nennenswerte Abwertung der Fiat-Währungen. es geht doch um längere Zeiträume, und da hat sich der Bitcoin immerhin schon eine 10 jährige, solide Performance ausgebaut.

Wie kann er also den Bitcoin für kurzzeitige Kursschwankungen kritisieren, wenn die Wertaufbewahrung doch langfristig angelegt ist?

Ich vermute, dass er es als Notenbanker für seine Pflicht hält, die Nerven der Anleger zu schonen, selbst wenn das über längere Zeit einen schleichenden Wertverlust zur Folge hat.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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