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Was, wenn die zweite Coronawelle in Deutschland zu einem zweiten Lockdown führt? Diese Befürchtung sorgte diese Woche für einen weltweiten Ausverkauf, der in Deutschland seinen Ursprung hat. Denn, wenn Deutschland seinen vermeintlichen Reichtum nutzen muss, um die eigene Wirtschaft zu unterstützen, wer soll dann die Rechnungen der anderen europäischen Länder bezahlen?
Erschwerend kamen zum Wochenbeginn Meldungen von Johnson & Johnson sowie Eli Lilly hinzu, dass deren klinische Tests von Corona-Medikamenten ausgesetzt wurden. Im Fall von Johnson & Johnson gab es einen Patienten unter den über eintausend Teilnehmern der Corona-Impfstoffstudie, der aus bislang ungeklärten Gründen krank wurde. Es ist eine Standard-Prozedur, dass der Test in einem solchen Fall so lange pausiert wird, bis dieser eine Fall geklärt ist. Das kommt wohl, wie wir inzwischen gelernt haben, alle Nase lang vor, ist also nichts Dramatisches. Trotzdem haben einige Trader mit nervösem Zeigefinger schnell den Verkaufsknopf gedrückt. Im Fall von Eli Lilly ist die Sache nicht so einfach: Die US-Gesundheitsbehörde FDA moniert fehlende Sicherheitsstandards bei der Produktion des Corona-Behandlungsmedikaments und hat die Testphase aus diesem Grund pausiert. Die Probleme seien schon über ein Jahr bekannt, hört man inzwischen. Das scheint also nicht so einfach zu beheben zu sein. Eli Lilly forscht nach einer Behandlungsmethode die der von Regeneron ähnelt. Präsident Trump war mit dem Medikament von Regeneron behandelt worden und hatte sich erstaunlich schnell von seiner Infektion erholt. In der abgelaufenen Woche waren außerdem noch einige Verhaltensmuster zu beobachten, die seit vielen Jahren bekannt sind: Apple hat das neue iPhone 12 vorgestellt. Im Vorfeld wurde die Aktie auf neue Hochs gejubelt. Die Reaktion auf die Vorstellung war sodann ein gelangweiltes Gähnen, einhergehend mit einer Liste von unerfüllten Träumen. Die Aktie brach also am Tag nach der Präsentation ein. Das ist seit vielen Jahren so und es scheint sich nicht unter den Anlegern herumzusprechen. In einigen Wochen werden dann alle "überrascht" sein, wie viele iPhones vorbestellt werden und die Aktie beginnt wieder zu klettern. Amazons Prime Day wurde im Vorfeld ebenfalls bejubelt, die Aktie kletterte in Richtung Allzeithochs, doch während der Prime-Tage kursierten Berichte darüber, dass die Sonderangebote gar nicht so sensationell seien, und dass damit sicher keine Bäume ausgerissen würden. Und so gab auch die Aktie von Amazon im weiteren Wochenverlauf nach. Jedes Jahr gibt es ein neues iPhone-Modell und jedes Jahr gibt es nun seit einigen Jahren den Prime Day. Diese Ereignisse sind keine Überraschungen, dürften also kaum einen Einfluss auf die Kursentwicklung haben. Dennoch ist das hier beschriebene Muster Jahr für Jahr aufs Neue zu beobachten. Ich habe in den vergangenen Jahren gelernt, dass solche wiederkehrenden Muster von institutionellen Anlegern ausgenutzt werden. Für uns Privatanleger gibt es kaum Möglichkeiten, nennenswert davon zu profitieren. Doch das scheint sich nun geändert zu haben. Vielleicht gibt es eine neue Generation von Anlegern, die den alten Fehlern verfallen. Vielleicht haben Finanzkrise und Eurokrise tatsächlich dazu geführt, erfahrene Anleger von solchen einfachen Mustern fern zu halten. Aber diese Muster sind zurück: Vielleicht gibt es neue Anleger, angezogen durch die Langeweile der Lockdown-Zeit, die an den Aktienmärkten so agieren, wie ich es zuletzt vor 15 Jahren gesehen habe. Es ist gar nicht so schwer, deren Argumentationskette nachzuvollziehen: Diese Woche haben die großen US-Banken - wie jedes Quartal - als erste Unternehmen ihre Quartalszahlen veröffentlicht. Oh Wunder, überall gab es hohe Risiko-Vorsorgen, die das Ergebnis verhagelt haben. Während Corona in der Großindustrie durch politische Hilfen gemildert wird, trifft es die Gastronomen, die Künstler und die Reisebüros in voller Härte. Und die großen Banken sind die Kreditgeber dieser Corona-Verlieren. Kein Wunder also, dass die Risikovorsorge mit zunehmender Dauer der Reisebeschränkungen und vor dem Hintergrund der zweiten Coronawelle ansteigen. Nun wurden natürlich die großen Banken verkauft. Wo fließt das Geld hin? Ganz einfach: zu den Finanzaktien, deren Unternehmen keine Kredite ausgeben: die FinTechs! Paypal und Square. Manchmal denke ich, wenn Zusammenhänge so einfach und offensichtlich sind, Muster so bekannt sind, dann habe ich keinen Vorsprung vor anderen Anlegern. An der Börse verdient man Geld, wenn man ein wenig besser ist als die anderen. So offensichtliche Muster sind doch weithin bekannt und liefern mir, der ich diese Muster kenne, keinen nennenswerten Vorteil... doch damit scheine ich derzeit einem anderen Börsensprichwort zu unterliegen: Don't "overintellectualize" - Denk nicht zu kompliziert, denn die meisten Marktteilnehmer sind einfach gestrickt. Trade Republic und Robinhood haben eine neue Generation von Anlegern an die Börse gebracht. Die niedrigen Transaktionsgebühren werden dadurch realisiert, dass Aktien direkt aus dem eigenen Bestand des Brokers zu Marktpreisen an ihre Kunden verkauft werden. Anschließend gehen die Broker an die Börse und decken sich mit den erforderlichen Aktien ein. Der Gewinn des Brokers liegt darin, kleine Schwankungen zum eigenen Vorteil auszunutzen: Meist kann er sich günstiger eindecken, als er dem Kunden die Papiere verkauft hat. Aber bei Paypal und Square gibt es keine Schwankungen. Die Aktien steigen kontinuierlich an, ohne Pause. Broker, die auf eine Verschnaufpause warten, blicken auf immer schneller anwachsende Leerpositionen (sie haben Aktien an ihre Kunden verkauft, die sie noch gar nicht besitzen). Und so wird der Kaufdruck der Kunden innerhalb eines Brokers verstärkt an die Börse übermittelt. Ein letztes Verhaltensmuster, das uns noch eine Weile begleiten wird: Egal, ob die zweite Coronawelle in ihrer Bedrohung zunimmt, oder ob Johnson & Johnson oder Eli Lilly Probleme bei ihren klinischen Tests melden, umgehend werden wie bei einem pawlowschen Reflex Aktien von Peloton, Zoom Video, Roku oder Docusign gekauft. Clever? Hmm, nun, dafür Mus man kein Einstein sein, aber es funktioniert trotzdem. Schauen wir abschließend auf ein Verhaltensmuster, das sich wohl in den kommenden Wochen zeigen dürfte: Die Reaktion auf die Wahlprognosen für die US-Präsidentschaftswahl. Wofür steht Joe Biden? Es ist schwer, während des lauten Wahlkampfgetöses belastbare Überzeugungen herauszufiltern. Bezüglich China hat Joe Biden seit Jahrzehnten jede US-Politik mitgetragen: Sei es Schmusekurs, sei es Härte. Er ist gut vernetzt in China und ich kann mir schwer vorstellen, dass der das Poltern des Donald Trump weiterführen wird. Entsprechend gehe ich davon aus, dass sich das Verhältnis zwischen China und den USA unter einem US-Präsident Joe Biden verbessern würde: Entweder Schmusekurs, oder aber zumindest verlässliche Fronten - was gegenüber der Unberechenbarkeit Trumps schon eine Verbesserung darstellen würde. Wenn sich also unter einem potentiellen US-Präsidenten Joe Biden das Verhältnis zu China verbessert, dann profitieren insbesondere diejenigen Unternehmen, die unter der harten Politik Trumps gelitten haben. Das ist insbesondere die US-Chipindustrie, die in China stark vernetzt ist: Nvidia, Skyworks Solutions, Marvell, ... aber auch Apple, deren Produkte in China teilweise boykottiert wurden. Außerdem fallen mir eine Menge einzelner Unternehmen ein, mit jeweils besonderen Gründen: Die Freizeit Parks von Walt Disney sind in China nicht nur wegen Corona vorübergehend leer gewesen, sondern sie werden nach wie vor von einem Teil der Bevölkerung gemieden. Der Anti-Amerikanismus wächst. Nike und Starbucks fallen in die gleiche Kategorie wie Disney. Boeing hat in den vergangenen Jahren keine einzige Neubestellung aus China erhalten. Mastercard hat eine Zulassung für den chinesischen Markt erhalten, dennoch geht der Prozess nur sehr schleppend voran. Microsoft wird durch chinesische Produkte ersetzt, genau wie Android von Alphabet. Es gibt also eine ganze Reihe von Unternehmen, deren Aktien vermutlich anziehen dürften, wenn Joe Biden seinen Vorsprung in den kommenden Wochen ausbaut. Auf der anderen Seite steht Donald Trump für Aktien alter Industrien, die ohnehin bereits mit dem Rücken zur Wand stehen: Öl und Gas werden von Trump gefördert. Unternehmen, in die ich schon ewig nicht mehr investiere, weil die Musik in erneuerbaren Energien spielt. Wenn Sie glauben, solche Verhaltensmuster sind zu einfach: Lesen Sie sich das Kapitel ein zweites mMl durch. Don't overintellectualize. Schauen wir mal, wie sich die wichtigsten Indizes im Wochenvergleich entwickelt haben: WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES INDIZES (15.10.2020) Woche Δ Σ '20 Δ Dow Jones 28.737 0,5% 0,3% DAX 12.909 -1,1% -2,6% Nikkei 23.411 -0,9% -1,0% Shanghai A 3.497 2,0% 9,8% Euro/US-Dollar 1,17 -1,0% 4,6% Euro/Yen 123,48 -1,1% 1,0% 10-Jahres-US-Anleihe 0,75% -0,03 -1,19 Umlaufrendite Dt -0,62% -0,07 -0,39 Feinunze Gold $1.899 -1,6% 25,6% Fass Brent Öl $43,00 0,4% -37,5% Kupfer 6.683 -0,8% 7,6% Baltic Dry Shipping 1.561 -17,5% 43,2% Bitcoin 11.428 1,9% 56,7% Der Baltic Dry Verschiffungsindex sticht mit seinem großen Minus heraus. Der Einbruch ist leicht zu erklären: Sollte die zweite Coronawelle zu weiteren Lockdowns führen, wird der globale Handel erneut leiden - es würde weniger verschifft und die Verschiffungsraten würden fallen. Das nimmt der Baltic Dry nun schon vorweg. Während in der westlichen Welt die Börsenmärkte Federn ließen, konnte der Shanghai A Aktienindex zulegen. China hat durch das Abriegeln von Wuhan und den autoritär durchgesetzten Maßnahmen Corona am besten verarbeitet und wird nun, wenn wir den Statistiken glauben dürfen, auch die mildeste zweite Welle haben. | ||
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis) | ||
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