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Verrückte Welt: Da floriert der Arbeitsmarkt in den USA, und in Folge dessen werden Aktien ausverkauft. Da flutet die OPEC die ganze Welt mit billigem Öl, was wie ein Konjunkturprogramm wirkt, und dennoch gehen die Aktienmärkte auf Tauchstation. Kann allein das 11 Mio. Einwohner zählende Griechenland mit dem zum fünfzehnten Mal drohenden Zahlungsausfall die Weltmärkte in den Abgrund reißen?
Wie immer ist es eine Frage der Perspektive. Wenn wir alle Vorgänge aus Sicht des US-Dollar betrachten, dann machen die auf den ersten Blick verrückten Kapriolen an den Finanzmärkten plötzlich Sinn. Gehen wir die Dinge einmal im Einzelnen durch: Der US-Dollar pendelt seit Mitte Januar in der Handelsspanne zwischen 1,05 und 1,15 USD/EUR. Zuvor galt seit 2004 die Handelsspanne zwischen 1,20 und 1,50 USD/EUR, mit einem vorübergehenden Ausbruch des Euros nach oben bis 1,60 USD/EUR in Folge der Immobilienkrise der USA im Jahr 2008. Zehn Jahre lang war der US-Dollar nicht mehr unter 1,20 USD/EUR gerutscht und entsprechend haben sich die US-Unternehmen darauf eingestellt. Nun wurde diese Handelsspanne verlassen, der US-Dollar ist stärker geworden denn je, und es stellt sich nun die Frage, wo das neue Niveau liegen wird. Findet der US-Dollar schon bald zurück in seine alte Handelsspanne bei 1,20-1,50? Oder ist der EURO so schwach und der US-Dollar so stark, dass wir bald schon die Parität sehen? An den US-Finanzmärkten wünscht man sich die alten Zeiten zurück, denn die gesamte Wirtschaft ist darauf eingestellt. Ein schwacher US-Dollar befeuert den Export. Dank niedriger Löhne und günstiger Energiepreise konnte das Land viel produzierendes Gewerbe im Land behalten. Der zur Zeit starke US-Dollar führt dazu, dass die inländischen Löhne und Energiekosten im weltweiten Vergleich an Vorteil einbüßen, US-Produkte sind auf den Weltmärkten preislich nicht mehr wettbewerbsfähig. Die Q1-Zahlen im April / Mai waren voll von entsprechenden Hinweisen, ich habe im Heibel-Ticker mehrfach darüber berichtet. Die US-Notenbank hat zwei Mandate und verfolgt dabei manchmal die Quadratur des Kreises. Zum einen muss die Geldwertstabilität gewährleistet werden, dieses Ziel deckt sich mit dem einzigen Ziel der EZB. Doch zusätzlich soll eine niedrige Arbeitslosenquote erzielt werden. Bei strukturellen Problemen muss also so viel Geld in die Märkte gepumpt werden, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, dass es zwangsläufig zu Fehlallokationen und Preisblasen kommen muss, die schließlich in eine steigende Inflation münden. Doch strukturelle Änderungen müssen durch die Politik vorgenommen werden. Wie politisch also darf die US-Notenbank sein? Der Vorgänger der aktuellen Notenbankchefin Janet Yellen, Ben Bernanke, hat hinsichtlich der Arbeitslosenzahlen ein klares Ziel ausgegeben: Bevor diese nicht unter 6,5% gesunken seien, so sagte er 2009, werde man den Leitzins nicht erhöhen. Heute ist die Arbeitslosenquote bei 5,5%, und viele fragen nun, wo bleibt die Leitzinserhöhung? Die Inflationsrate entwickelt sich derzeit um die Nulllinie, die Erwartung hingegen ist bereits für das zweite Halbjahr des laufenden Jahres deutlich nach oben geschnellt, da dann der "Basiseffekt" des Ölpreisverfalls zum Tragen kommt. Die Inflation wird immer im Vergleich zum vergleichbaren Vorjahreszeitraum betrachtet, und von Juni bis Dezember 2014 ist der Ölpreis eingebrochen. Allein das Ende des Ölpreiseinbruchs sorgt nun für ein Ende der Deflationsgefahr. Wenn dann in der zweiten Jahreshälfte die Inflation im Vergleich zu den im Vorjahr bereits gefallenen Ölpreis-Raten errechnet wird, dürften sich wieder steigende Inflationsraten ergeben... allein durch den rechnerischen Effekt und ohne Berücksichtigung etwaiger konjunktureller Entwicklungen. Unter'm Strich entwickelt sich in den USA alles so, wie es die US-Notenbank für eine erste Leitzinserhebung wünscht. Niedrige Arbeitslosigkeit bei steigender Inflationserwartung. Es wurde viel darüber diskutiert, wann denn die erste Leitzinsanhebung kommen solle, als Termine werden Juni, September oder erst das Jahr 2016 gehandelt. Janet Yellen hat stets betont, man werde die erste Zinsanhebung abhängig von den jeweiligen Konjunkturdaten vornehmen. Vizepräsident Fischer hat zuletzt die Erwartungen dahingehend befeuert, dass der Leitzins bei der nächsten positiven Konjunkturzahl angehoben werden könne. Heute haben wir nun positive Arbeitsmarktdaten erhalten und entsprechend steht nun die erste Leitzinserhebung nach der nächsten US-Notenbanksitzung am 17. Juni an. Der Absturz des Euros von 1,40 auf 1,05 USD/EUR begann im vergangenen Juli, als die Diskussion um den Termin für die erste Leitzinserhöhung der US-Notenbank begann. Damit ist die Sache nun eigentlich durch, sollte man meinen, doch die eingangs erwähnten negativen Währungseffekte für die Gewinnentwicklung der US-Unternehmen sind inzwischen so groß geworden, dass man an den Finanzmärkten von einer Diskrepanz der Arbeitsmarktentwicklung zum konjunkturellen Ausblick spricht. Die Gewinne brechen schon auf dem aktuellen Niveau dramatisch ein. Eine verführte Zinsanhebung, so die Argumentation, würde den US-Dollar gegenüber dem Euro noch attraktiver machen und somit den Wechselkurs an der Parität vorbei unter 1:1 USD/EUR drücken. Der zarte Konjunkturaufschwung der USA würde dadurch vereitelt. In einem überraschenden und einmaligen Akt hat sich gestern sogar die IWF-Chefin Christine Lagarde direkt an die US-Notenbank gewandt mit der Bitte, die erste Leitzinsanhebung nicht zu übereilen. Ein einmaliger Vorgang, der die Komplexität des Anliegens verdeutlicht. Denn das eigentliche Mandat der US-Notenbank, Preisstabilität gemessen an der Inflationserwartung sowie eine niedrige Arbeitslosenquote, hat mit dem Wechselkurs überhaupt nichts zu tun. Die EZB wiederholt gebetsmühlenartig, dass sie sich nicht um den Wechselkurs des Euros kümmert. Ähnliches sollte auch für die US-Notenbank gelten. Doch Christine Lagarde sieht das anders, ihrer Ansicht nach hält die US-Notenbank mit ihrer Zinspolitik den Schlüssel zur Weltkonjunktur in der Hand. Hintergrund ihrer Bitte, oder sollte ich besser sagen "Warnung", sind die Finanzierungsstrukturen der Schwellenländer. In der Niedrigzinsphase sind insbesondere Schwellenländer und große Unternehmen aus Schwellenländern hohe Finanzierungen über den US-Finanzmarkt eingegangen. Wenngleich die Verzinsung dieser Anleihen fest sein mag, so wird es dennoch schwer für die Schuldner, Zins und Tilgung in US-Dollar aufzubringen, wenn der US-Dollar immer teurer wird. Der bisherige Anstieg des US-Dollars um 25% hat viele Schuldner bereits in Schwierigkeiten gebracht (siehe Vale). Ein weiterer Anstieg könnte zu Kreditproblemen bei vielen Schuldnern führen und somit das gesamte Finanzsystem destabilisieren. Also zurück zu unseren drei Finanzpressethemen: Die starken US-Arbeitsmarktdaten von heute früh erhöhen das Risiko einer verfrühten ersten Leitzinsanhebung durch die US-Notenbank, daher der Ausverkauf an den Märkten im Vorfeld zu den Zahlen. Ein Zahlungsverzug Griechenlands würde den Euro kurzfristig ebenfalls weiter schwächen und könnte den Wechselkurs unter die Parität drücken. Nun, Griechenland hat die Deadline nun erstmal bis auf den 30. Juni verschoben, wir dürfen weiter zittern. Und die Flutung der Ölmärkte durch die OPEC hält den Ölpreis auf einem niedrigen Niveau. Hier fürchten die US-Amerikaner eine weitere Belastung für die heimische Konjunktur, da viele Fracking-Projekte bei niedrigem Ölpreis nicht wirtschaftliche sind. Für uns Europäer sind diese Entwicklungen überaus positiv: Die guten US-Arbeitsmarktdaten sprechen für eine gesunde Nachfrage seitens der USA nach unseren Exportgütern. Dank des gestiegenen US-Dollars sind unsere Produkte preislich wettbewerbsfähig, die US-Dollareinnahmen im Gegenzug bedeuten einen Gewinnsprung in der G&V deutscher Unternehmen. Griechenland ist inzwischen in Europa zu einem psychologischen Faktor geworden, realwirtschaftlich sind die Auswirkungen jeglicher Lösungen des griechischen Dramas aber inzwischen überschaubar. Und da wir kaum Ölindustrie in Deutschland haben, profitieren wir überwiegend von einem niedrigen Ölpreis. Dennoch ist der DAX im Kielwasser der US-Sorgen ebenfalls ausverkauft worden. Was, wenn die Leitzinserhöhung nun doch verzögert wird? Und zudem ist die Ungewissheit beim Griechenland-Drama ebenfalls belastend. Wer nach 20% Kursgewinn im DAX Gründe suchte, um sein Engagement vor den Sommerferien deutlich zu reduzieren, wird fündig. Schauen wir einmal, wie sich diese Entwicklungen in den wichtigsten Indizes im Wochenvergleich niederschlagen: WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES INDIZES (04.06.2015) | Woche Δ Dow Jones: 17.906 | -1,2% DAX: 11.341 | -2,9% Nikkei: 20.459 | -0,5% Euro/US-Dollar: 1,12 | 2,3% Euro/Yen: 139,80 | 2,9% 10-Jahres-US-Anleihe: 2,31% | 0,18 Umlaufrendite Dt: 0,55% | 0,11 Feinunze Gold: $1.177 | -1,1% Fass Brent Öl: $62,46 | -1,1% Kupfer: 5.921 | -3,0% Baltic Dry Shipping: 603 | 2,6% Da ist nun ausgerechnet der DAX diese Woche am stärksten gefallen (-2,9%). Ich kann das nur darauf zurückführen, dass viele internationale Anleger vor dem Hintergrund dieser durchaus wirren Nachrichtenlage einfach ihre Engagements verkleinert haben, und da fällt die Verkleinerung beim in den vergangenen Monaten so erfolgreichen DAX nun einmal größer aus als anderswo. Der Euro war diese Woche stark, sowohl gegenüber dem US-Dollar, als auch gegenüber dem japanischen Yen. Im Vorfeld der heutigen Arbeitsmarktdaten hatten viele Anleger auf eine spätere Zinsanhebung durch die US-Notenbank spekuliert und ihre Euro-Short-Spekulationen entsprechend zurückgefahren. Nun dürfte der Euro bis zum 17. Juni starken Schwankungen ausgesetzt sein. Kurzes Gedankenspiel: Was passiert eigentlich, wenn Euro-Shortpositionen aufgelöst werden? Institutionelle Anleger, die den Euro geshortet (also leerverkauft) haben, schulden ihrem Vertragspartner also die Lieferung einer bestimmten Menge von Euros. Sie haben Euro verkauft, die sie nicht haben. Als Sicherheit kann man verschiedene Vermögensgegenstände hinterlegen, unter anderem natürlich auch Aktien. Ich gehe davon aus, dass auch Institutionelle Anleger die Verbindung zwischen einem schwachen Euro und dem starken DAX gesehen haben. Sie werden also kräftig in DAX-Aktien investiert haben und diese Aktien als Sicherheit für ihren Euro-Short hinterlegt haben. Nun, da Zahltag ist, müssen die DAX-Aktien verkauft werden, damit der Euro-Betrag geliefert werden kann. So erklärt sich der heftige Ausverkauf im DAX als Folge der Währungsspekulation. Die Zinsen steigen weiter an. Bis auf Weiteres können wir uns von den Null Prozent Anleihen hier in Deutschland vorerst verabschieden. Lediglich der befürchtete Grexit würde nochmals einen Run auf deutsche Staatspapiere auslösen. Vor dem Hintergrund des diese Woche schwachen US-Dollars ist der Preisanstieg bei den Rohstoffen leicht nachvollziehbar. Rohstoffe werden in US-Dollar gehandelt. Wenn der US-Dollar plötzlich weniger wert ist, müssen die Käufer mehr davon auf den Tisch legen. | ||
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis) | ||
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