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Wie nah muss irgendeine europäische Bank wohl am Abgrund gestanden haben, damit die Notenbanken weltweit in einer konzertierten Aktion die Märkte mit Geld fluten? Welche Bank könnte das gewesen sein: Die Société Générale? Die BNP Paribas? Die Credit Agricole? Oder haben sich die Notenbanker der Welt aus freien Stücken überlegt, uns eine schöne Weihnachtszeit zu schenken?
Ich erinnere mich an die vehemente Reaktion des US-Finanzministers Tim Geithner Ende September auf die Frage, ob Europa ein Lehman II drohe: Er wischte diese Gefahr mit einer Handbewegung vom Tisch und sagte „Nein, das wird es nicht geben“. Es waren nicht die Worte, es war die selbstsichere Art, mit der er zu diesem Thema eine Position einnahm, wo er doch ohne weiteres die Entscheidung darüber den Europäern hätte überlassen können. Nein, er war sich sicher, und was wir diese Woche gesehen haben war wohl die Umsetzung der Verabredung für den Fall, dass eine Bank kurz vor der Pleite steht. Kurz vor der Pleite heißt: Sie kann sich nicht mehr refinanzieren. Die anderen Geschäftsbanken geben ihr nicht mehr das Kapital, das sie benötigt. Und aufgrund der inzwischen international angespannten Situation auf den Finanzmärkten sind auch die Refinanzierungsmöglichkeiten bei den Notenbanken für die Geschäftsbanken begrenzt und teuer. Und genau an dieser Stellschraube haben die Notenbanken angesetzt: International haben Japan, die Schweiz, Kanada, Großbritannien und natürlich die europäische Notenbank EZB und die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) vereinbart, Geschäftsbanken zu einem Kreditzins, der um ein halbes Prozent besser ist als am Markt in unbegrenztem Volumen Geld zu leihen. Zwei Aussagen also: erstens zu einem günstigen Zins und zweitens in unbegrenztem Volumen! Also: Ein Lehman II werden wir in Europa nicht erleben. Das internationale Finanzsystem steht und ist bereit, die wichtigsten Geschäftsbanken aufzufangen. Doch wie steht es um die verschuldeten Staaten? Bei aller Euphorie kann ich kaum etwas finden, das den überschuldeten Club Med Ländern helfen würde. Oder doch? Hilft ihnen vielleicht schon allein die bessere Stimmung an den Börsen? Immerhin haben spanische Staatsanleihen in den vergangenen Tagen den stärksten Kursanstieg erlebt, den jemals irgendwelche Euro-Anleihen gesehen haben. Nun, die Aktienmärkte jubeln. Ich kann mich nicht erinnern, wann der DAX jemals in nur einer Woche um 11% zugelegt hat. Schauen Sie selbst: WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES INDIZES (01.12.2011) | Diff Dow Jones: 12.020 | 6,8% DAX: 6.035 | 11,2% Nikkei: 8.643 | 5,9% Euro/US-Dollar: 1,348 | 1,6% Euro/Yen: 105,146 | 2,3% 10-Jahres-US-Anleihe: 2,12% | 0,2 Umlaufrendite Dt: 1,92% | 0,1 Feinunze Gold USD: $1.751,10 | 4,5% Fass Brent Öl USD: $109,85 | 2,4% Kupfer in US$/to: 7.890 | 10,5% Baltic Dry Shipping I: 1.862 | 2,6% Aber es war nicht nur die konzertierte Aktion der Notenbanken. Die Woche begann mit der Meldung über das erstaunlich gute Weihnachtsgeschäft am Black Friday und dem ersten Weihnachtswochenende. Sie müssen wissen, dass sich das Wohl des amerikanischen Einzelhandels so ziemlich an einem Tag des Jahres entscheidet: Am Black Friday, also am Freitag nach dem Thanksgiving Donnerstag, der wiederum am letzten Donnerstag im November stattfindet. In den USA der verschiedenen Kulturen ist Thankgsgiving für die Familien schon fast so wichtig wie Weihnachten für uns. Die Familien kommen aus dem ganzen Land zusammen. Und am Freitag werden die Weihnachtsgeschenke gekauft. Kein anderer Tag im Jahr ist so umsatzstark. Das geht dann über in ein Wochenende des Kaufrausches und am Sonntag zählen die Einzelhändler ihre Erfolge. Montag früh wird dann bekanntgegeben, wer wie viel umgesetzt hat, und diese Zahlen gelten als richtungsweisend für das weitere Weihnachtsgeschäft, das, wie Sie sicherlich wissen, in nur einem Monat soviel Umsatz beschert wie drei bis vier Monate im Rest des Jahres. Auch in Europa wird dieser erste offizielle Verkaufstag des Weihnachtsgeschäfts immer wichtiger, und auch in Europa waren die Zahlen besser als erwartet – oder sollte ich sagen besser als befürchtet? Arbeitslosigkeit, strauchelnde Konjunktur, Zukunftssorgen, Schuldenkrise (wer soll das bezahlen?) – die Erwartungen waren gedämpft, und um so größer war die Freude, als die ersten Umsatzzahlen nunmehr jegliche Sorgenfalten von der Stirn vertreiben: Der Umsatz des Vorjahres konnte nicht nur gehalten sondern vielfach um 5-6% gesteigert werden. So begann die Börsenwoche mit einer positiven Note, wohl auch begleitet von den ausbleibenden erneuten Hiobsbotschaften unserer Politiker. Am Mittwoch früh war es dann China, das einen neuen Impuls gab: Der Mindestreservesatz in China wurde um ein halbes Prozent gesenkt (auf 21%). Sie werden es nirgendwo nachlesen können, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass wir hier erstmals China mit an Bord einer konzertierten Aktion haben. Die Banken zu retten allein reicht nicht aus, wir brauchen Wirtschaftswachstum, um aus den Problemen herauszuwachsen. Und Wachstum kommt in unserer heutigen Welt nun einmal in erster Linie aus China. Doch China hat nun monatelang auf die Zinsbremse gedrückt, um die überschäumende Konjunktur im Land zu drosseln. Insbesondere auf den Immobilienmärkten war es zu extremen Auswüchsen gekommen, die nur schwer wieder in den Griff zu bekommen waren. Und so hielt die restriktive Geldpolitik des chinesischen Zentralkomitees wesentlich länger an, als sich das irgendjemand gedacht, erwartet oder gewünscht hätte. Inzwischen machten die Befürchtungen die Runde, China werde seine Konjunktur abwürgen, „hard landing“ heißt es im Englischen, wenn das Wirtschaftswachstum abrupt zum Erliegen kommt. Wir kennen den Teufelskreis, der sich sodann anschließen kann: Investitionen werden gedrosselt, Bestellungen werden storniert, Rechnungen werden verspätet oder gar nicht gezahlt, und sehr schnell liegt der Fokus darauf, Bargeld zu halten und ja nichts auszugeben – der Wirtschaftskreislauf kommt zum Erliegen. Nun, es ist nicht geschehen und der jüngste Schritt zeigt mir, dass dies auch nicht zu befürchten ist. Das Timing hätte besser nicht mit der westlichen Welt abgestimmt sein können. Also: Brummender Einzelhandel, Wirtschaftswachstum aus China und geflutete Geldmärkte – kein Wunder, dass die Börsen feiern. Schauen wir uns einmal die Stimmung unter den Anlegern an: SENTIMENTDATEN Analysten Empfehlungen (Anzahl Empfehlungen): Kaufen / Verkaufen 11.11.- 18.11. (519): 54% / 9% 18.11.- 25.11. (427): 51% / 10% 25.11.- 02.12. (469): 57% / 9% Kaufempfehlungen der Analysten K+S, BHP Billiton, BMW Verkaufsempfehlungen der Analysten Holcim, Electrolux, Wacker Chemie Privatanleger 46. KW: 63% Bullen (160 Stimmen) 47. KW: 55% Bullen (139 Stimmen) 48. KW: 59% Bullen (150 Stimmen) Kaufempfehlungen der Privatanleger Technicolor, Gigaset Verkaufsempfehlungen der Privatanleger Soitec S.A., Belvedere S.A., Commerzbank Die Sentiment-Daten wurden in Zusammenarbeit mit Sharewise erstellt: http://www.sharewise.com?heibel Nach dem Stimmungseinbruch der Vorwoche schauen die Anleger nun wieder zuversichtlicher in die Zukunft. Selten sinkt das Bullenlager unter 50%, sodass die Werte der Vorwoche schon ein Indikator für den großen Stress unter den Anlegern waren. Entsprechend heftig war nun auch die Auflösung des Stresses: Viele pessimistisch denkende und daher wohl falsch positionierte Akteure mussten sich diese Woche eindecken. Diese Deckungskäufe wurden umso panischer, je höher die Indizes bereits gestiegen waren, und so befeuerte sich die Rallye selbst. Reicht es aus, um die Finanzmärkte zu stabilisieren, um den verschuldeten Staaten günstige Refinanzierungskonditionen zu bescheren und somit ein Ende der Krise einzuläuten? Oder handelt es sich nur um ein Strohfeuer, das nächste Woche schon verpufft sein könnte? | ||
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis) | ||
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