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Was soll ich Ihnen schreiben: In einer Zeit, in der wir uns zweimal am Tag
auf völlig neue Rahmenbedingungen einstellen müssen, können nicht einmal Daytrader die Schwankungen am Markt für sich nutzen. Letzte Woche wurde die Euro-Schuldenkrise gelöst. Doch die Lösung funktioniert natürlich nur, wenn die verbindlich vereinbarten Bedingungen auch eingehalten werden. Es war nicht vorgesehen, die Lösung erst durch Referenden vom Volk zu bestätigen. Und wenn, dann hätten wir hier in Deutschland ein Referendum darüber verdient, ob wir einen Sack voll Geld nach Griechenland schicken wollen – nicht ein Referendum in Griechenland, ob sie das Geschenk annehmen. Nun, Merkel und Sarkozy haben diesen moralisch nachvollziehbaren, jedoch im Verhandlungsprozess unangemessenen Schritt des griechischen Premiers vereitelt und damit Papandreou so ziemlich an den Rand des Abgrunds geschickt. Heute Nacht findet im griechischen Parlament eine Abstimmung über die Vertrauensfrage Papandreous statt, und der Ausgang ist völlig offen. Ich kann also auch keine Prognose darüber machen, wie es nach diesem Wochenende weitergehen könnte. Eine Leiche im Keller Europas konnte inzwischen beseitigt werden – mal sehen, wo sie wieder auftaucht. Diese Woche haben BNP Paribas sowie die Commerzbank ihr Engagement in griechischen und den weiteren Club Med Staaten offengelegt, und die Überraschung war groß, als sich das Engagement inzwischen als sehr niedrig herausstellte. Die europäischen Banken haben offensichtlich endlich die Zeichen der Zeit erkannt und ihre faulen Staatsanleihen verkauft. Doch wohin? Die EZB kauft alles, was abgeheftet werden kann. Doch der Kurs der EZB war nicht besonders gut, und so haben sich meinen Informationen zufolge viele Banken geziert, den Verlust zu realisieren. Lieber wollte man noch ein wenig zocken und seit diesem Montag wissen wir auch mit wem: MF Global, ein für den Privatmann völlig unbekannter US-Broker, streckte am Montag die Waffen. Man habe sich verzockt, man habe nicht mit einer Abwertung der griechischen Staatspapiere um 50% gerechnet. MF Global ist an der Wallstreet so ziemlich jedem bekannt, denn der Broker ist ein bevorzugter Abwickler der institutionellen Anleger. Das Unternehmen hat ersten Informationen zufolge einen viel zu großen Hebel verwendet und zuletzt sogar Kundengelder verwendet, um die eigenen Spekulationen zu finanzieren. 700 Mio. US-Dollar werden vermisst, bislang weiß niemand, wo diese versickert sein könnten. Ich nehme an, es wird sich herausstellen, dass die mathematischen Risikomodelle, die verschiedene Papiere gegeneinander aufwiegen, irgendwo einen kleinen Fehler hatten. Doch man wird wohl niemals erfahren, wieso das Verschwinden von 700 Mio. US-Dollar dem CEO nicht aufgefallen ist. Ja, ja, werden Sie nun lächeln, in Deutschland können 55 Mrd. Euro verschwinden und niemandem fällt das auf. Es ist auch wirklich nicht fair, denn die Zahlen, mit denen Politiker hantieren müssen, gewinnen schneller an Nullen als man sich einen Taschenrechner mit einer entsprechend großen Anzeige kaufen kann. Bei all den Krisensitzungen müssen unsere Politiker schließlich nicht nur unser Geld im Auge behalten; sie müssen sich auch mit den persönlichen Befindlichkeiten der Verhandlungspartner beschäftigen. Doch nun, wo sich die Finanzwelt Berlusconi zuwendet, mussten Merkel und Sarkozy weitere Finanzmittel für ihre fortwährenden Rettungsmaßnahmen beschaffen. Der EFSF, so der Plan, solle sich für Investitionen aus den Reihen der anderen G20-Länder öffnen, insbesondere China wurde umworben. Doch heute Mittag verkündete Frau Merkel das Scheitern der Bemühungen. Andere G20-Länder wollen unserem Chaos nicht beitreten, sagte sie – oder nicht? Na, zumindest habe ich das ihrer Ansprache entnommen. Ohne frisches Geld von Dritten haben Merkel und Sarkozy keine Lust mehr. Sie haben heute auf dem G20-Treffen das Euro-Zepter an den IWF übergeben. Man macht sich nur Feinde innerhalb der EU, wenn man Feuerwehr spielt und vergisst darüber, sich um die eigenen Finanzen zu kümmern, wie wir am HRE- Schäuble-Beispiel gesehen haben. Insofern eine weise Entscheidung. Leider. Denn es ist das Eingeständnis, dass die deutsche Linie von Frau Merkel nicht nach Europa getragen werden konnte. Ihr Autor hat mehrfach kritisiert, dass es gar keine deutsche Linie gab, Merkel hat mehr reagiert denn agiert. Und so haben Papandreou und Berlusconi mitgespielt und ebenfalls reagiert, wie es der aktuellen Situation stets angemessen schien. Eine mutige Vision, wie wir zu einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik für Europa kommen könnten, das fehlende Bindeglied im Euroland, läßt leider bis heute auf sich warten. Mit dem IWF an Bord wird auch in den nächsten Jahren die Haushaltskonsolidierung im Vordergrund stehen. Das wird zu empfindlichen Schmerzen in den Club Med Ländern führen, was eine weitere europäische Integration erschwert. Chance vertan. Die deutsche Linie ist auch in der EZB weiter zurückgedrängt. Super Mario, wie der neue EZB-Chef Mario Draghi bereits genannt wird, hat überraschend den Leitzins um 0,25% auf 1,25% gesenkt. Und das nur drei Tage nach seinem Amtsantritt. Das ist mutig. Erst im April und Juli hatte sein Vorgänger Trichet den Leitzins um je 0,25% auf 1,5% angehoben, weil man aufgrund der starken Konjunktur in Deutschland und Frankreich auf die Club Med Länder keine Rücksicht nehmen wollte. Nun ist ein Bürger eines der Club Med Länder am Ruder, und das Erste was er macht ist eine Leitzinssenkung. „Fühlen Sie sich der deutschen Stabilitätskultur verpflichtet?“, war denn auch eine Frage, die Super Mario in der anschließenden Pressekonferenz beantworten musste. Er habe mit Tietmeyer und Schlesinger zusammengearbeitet und habe großen Respekt für die Beiden, war seine Antwort. Ob er die deutsche Stabilitätskultur würdig vertrete, solle man in den kommenden Jahren anhand seiner Arbeit beurteilen. Super Mario war auch voll des Lobes für seinen Vorgänger Trichet, dessen jüngste Entscheidungen er als erste Amtshandlung revidierte. Wir dürfen also skeptisch bleiben. In den USA ist man hingegen voll des Lobes für Super Mario. Endlich jemand, der die Bedeutung der Wirtschaft verstehe. Kein Wunder, genau das war nämlich der große Unterschied bis heute zwischen der US-Notenbank FED und der EZB. Die Fed hat schon immer das Mandat, auch das Wirtschaftswachstum und die Arbeitslosigkeit im Blick zu behalten. Die EZB war bisher als technokratischer Hüter der Geldmenge und Geldwertstabilität aufgestellt, der nicht über diese Aufgabe hinaus wirken durfte. So war es für Ihren Autor tatsächlich alarmierend, dass Super Mario in seiner Erläuterung zur Zinsentscheidung sehr ausführlich auf die wirtschaftlichen Herausforderungen der EU-Länder einging, bevor er in einem Nebensatz bemerkte, dass die Geldmengensteuerung und die Inflationserwartung die Zinssenkung zuließe. Ist nun alles, was anders ist, gleich schlecht? Oder sollen wir uns einfach damit abfinden, dass die EZB künftig permanent, und nicht wie ursprünglich versprochen nur vorübergehend, die Fehler der Politik ausgleicht? Was ist daran denn so schlimm? Nun, unser System ist auf Geldwertstabilität aufgebaut, und unsere Rentner vertrauen seit Jahrzehnten darauf, sich für ihren Altersspargroschen auch noch ein verträgliches Leben leisten zu können. Mit höheren Inflationsraten ist dies nicht mehr möglich. Doch zunächst wird eine lockere EZB-Politik das Wirtschaftswachstum fördern, und vielleicht lernen wir Deutschen dann, endlich mal mehr in Immobilien und Aktien zu investieren, als stets nur auf Sparpläne zu vertrauen. Na, ich höre jetzt auf. Soweit mein Blick in die Glaskugel, die uns in dieser Woche geschenkt wurde. Schauen wir einmal, was die Indizes in dieser Woche gemacht haben: WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES INDIZES 03.11.11 DIFF Dow Jones 12.044 -1,3% DAX 6.133 -3,2% Nikkei 8.640 -4,5% Euro/US-Dollar 1,383 -2,3% Euro/Yen 107,9055 0,5% 10-Jahres-US-Anleihe 2,07% -0,3 Umlaufrendite Dt 1,66% -0,2 Feinunze Gold USD $1.756,30 1,0% Fass Brent Öl USD $111,27 -0,4% Kupfer in US$/to 7.981 -0,7% Baltic Dry Shipping I 1.817 -13,1% Die heftigen Schwankungen sind in der Wochenübersicht kaum zu sehen. In Kapitel 05 habe ich in der Monatsübersicht die Schwankungsbreite der Indizes mit berücksichtigt. Ein Tagesplus oder Minus von 5% ist eine absolute Seltenheit. Mehr als 2% Kursveränderung im DAX sind schon extrem volatile Tage. Doch in diesem Chaos müssen wir uns wohl eher an die 5% Sprünge gewöhnen. BÖRSENGANG VON GROUPON Kaum zu glauben, aber auch in diesen Börsenzeiten gibt es noch einzelne Unternehmen, die es in die Nachrichten schaffen. So heute beispielsweise Groupon, der Börsengang der Schnäppchenplattform in den USA. Lassen Sie sich nicht vom vermeintlichen Erfolg des Börsengangs blenden: Nur 5% des Unternehmens werden an die Börse gegeben, der Rest bleibt bei den Investoren. Je höher der Kurs bei den wenigen handelbaren Aktien getrieben werden kann, desto „reicher“ fühlen sich die Investoren. Ich kann mich erinnern, zu Zeiten der Internetblase (Jahrtausendwende) wurden Internetbuden ohne nennenswerte Gewinne, teilweise sogar ohne nennenswerten Umsatz, an die Börse gebracht. Die Kritik damals: Nur 10% der Aktien wurden am ersten Tag ausgegeben, damit wurde das Angebot künstlich klein gehalten, und Anleger jubelten die wenigen verfügbaren Aktien nach oben. Die meisten der Internetbuden sahen in den ersten drei Tagen nach ihrem Börsengang ihr Allzeithoch, danach ging es nur noch bergab. Ich halte es daher für eine Frechheit der Finanzbranche, heute nur 5% der Groupon Aktien auszugeben. Jeder Portfoliomanager, der eine Entscheidung für Groupon trifft, muss die Aktie mit einem Mindestgewicht in sein Portfolio holen – sonst lohnt sich der Aufwand nicht. Und so reißen sich die wenigen Interessenten um die wenig verfügbaren Aktien, bis der Kurs sich verdoppelt oder verdreifacht hat, ungeachtet etwaiger fundamentaler Bewertungskriterien. Gleichzeitig hat Groupon bekanntgegeben, in den jüngsten Quartalen die Investitionen drastisch zurückgefahren zu haben. Nur so konnte man Gewinne ausweisen. Nun werden diese Gewinne als Grundlage für eine fundamentale Bewertung genommen, obwohl absehbar ist, dass die Investitionen schon bald wieder nach oben geschraubt werden müssen. Mag also sein, dass Groupon tolle Angebote hat und vielleicht sogar langfristig im Internet eine ernstzunehmende Größe wird. Doch die Aktie sollten Sie bitte nicht mit der Kneifzange anfassen – die ist zu heiß für Sie. Schauen wir einmal, was die Stimmung unter den Anlegern macht: SENTIMENTDATEN Analysten Empfehlungen (Anzahl Empfehlungen): Kaufen / Verkaufen 14.10.- 21.10. (1.374): 53% / 10% 21.10.- 28.10. (768): 52% / 10% 28.10.- 04.11. (554): 50% / 7% Kaufempfehlungen der Analysten Fresenius SE, Fresenius Medical Care, Adidas Verkaufsempfehlungen der Analysten Vestas, Generali, Sandvik Privatanleger 42. KW: 58% Bullen (189 Stimmen) 43. KW: 69% Bullen (174 Stimmen) 44. KW: 54% Bullen (166 Stimmen) Kaufempfehlungen der Privatanleger Société Générale, Commerzbank, BNP Paribas Verkaufsempfehlungen der Privatanleger Solar Millennium, Solarworld, Bank of America Die Sentiment-Daten wurden in Zusammenarbeit mit Sharewise erstellt: http://www.sharewise.com?heibel Ich würde sagen, die Stimmung unter den Privatanlegern sowie den institutionellen Anlegern zeigt eine ziemliche Verwirrung. Analysten halten sich sowohl mit Kauf- als auch mit Verkaufsempfehlungen zurück. Die Zuversicht bei den Privatanlegern ist nach den Erfahrungen der vergangenen Woche eingebrochen. Eigentlich ein guter Ausgangspunkt für eine Erholung an den Aktienbörsen. Doch in diesen Krisentagen möchte ich dafür meinen Hund nicht ins Feuer legen. | ||
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis) | ||
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