Alt 05.11.16, 02:33
Standard So tickt die Börse: Gründe für den Ausverkauf
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Ich kann's nicht mehr hören: Pest oder Cholera, Clinton oder Trump. Wer wird der nächste US-Präsident? Die Wahl findet am kommenden Dienstag statt, inzwischen rechnen jedoch immer weniger mit einer Entscheidung am kommenden Dienstag. Donald Trump hat schon angekündigt, eine knappe Wahlniederlage anzufechten. Warum sollte Hillary Clinton dieses Recht für sich nicht ebenfalls in Anspruch nehmen?

Im Herbst 2000 wurde die Wahl von Al Gore durch George Bush Jr. angefochten, in Florida wurden Stimmen nachgezählt und die hauchdünne Entscheidung kippte zugunsten von George Bush. Es dauerte vier Wochen, bis nach der Wahl Anfang November der nächste US-Präsident fest stand und in diesen vier Wochen stand die Welt, also auch die Wirtschaft, quasi still. Paralysiert. An den Aktienmärkten ging es abwärts, niemand investierte.

Diese Woche ist der DAX um 3,7% eingebrochen, an den Finanzmärkten weltweit sichert man sich gegen sämtliche Eventualitäten ab. Zu frisch ist noch die Erinnerung an die Brexit-Entscheidung, die so ziemlich alle auf dem falschen Fuß erwischt hat. Und die Parallelen der US-Präsidentschaftswahl zum Brexit sind frappierend. Eigentlich hat es niemand für möglich gehalten, dennoch ist der Abstand zwischen Trump und Clinton inzwischen auf 1,5% geschrumpft (realclearpolitics.com). Viel kleiner war der Vorsprung der für den Verbleib in der EU kämpfenden Briten vor dem Wahltag auch nicht.

An den Finanzmärkten gibt es etwas, das schlimmer ist als der schlimmste US-Präsident: Ungewissheit. Sollte Trump gewinnen, werden sich die Finanzmärkte schnell darauf einstellen. Man wird Aktien von Rüstungskonzernen und allem, was in die Verteidigung geht, kaufen. Auch die Pharma- und Immobilienbranche wird gefragt sein.

Sollte Clinton gewinnen, dürfte der Verteidigungsetat sinken, die meisten Szenarien für einen Sieg Clintons sind jedoch bereits eingepreist.

Was aus Sicht der Finanzmärkte nicht passieren darf, ist zum einen ein Kantersieg Clintons, der ihr die Mehrheit in beiden Kongress-Häusern verschafft, denn dann muss sie all ihre Versprechungen umsetzen. Was zum anderen auch nicht passieren darf, ist eben ein knappes Ergebnis, das anschließend vom unterlegenen Kandidaten angefochten wird, denn dann zieht sich die Hängepartie noch einige Wochen hin und die Märkte werden in dieser Phase seitwärts bis abwärts laufen.

Auf diese Szenarien bereiten sich institutionelle Anleger in diesen Tagen vor. Da man sich schon ewig auf einen Sieg Clintons vorbereitet hat, werden nun die eher negativen Szenarien in Folge eines Sieges von Trump abgesichert, entsprechend viel Druck ist auf den Märkten.

Doch es gibt noch eine ganze Liste von weiteren Belastungsfaktoren in diesen Tagen:

1. Ölpreis

Eine Einigung der OPEC auf eine Fördermengensenkung oder zumindest auf das Einfrieren der aktuellen Mengen erscheint inzwischen wieder unwahrscheinlich. Wie von mir aufgezeigt gibt es keine Chance darauf, dass der Iran sich in den Wiederaufbau seiner Ölindustrie reinreden lässt und daran scheitern sätmliche Gespräche. Die Hoffnung, die nach den letzten Gesprächen insbesondere seitens Saudi Arabien geschürt wurde, löst sich derzeit in Luft auf, der Ölpreis ist diese Woche um 8,7% gefallen.

2. Apple

Das neue iPhone 7, die neue Apple Watch, das neue MacBook Pro, nichts ist den eingefleischten Kritikern Apples innovativ genug und entsprechend wird Apple als Auslaufmodell heruntergeredet. Das weltweit größte börsennotierte Unternehmen zieht natürlich eine Reihe von Indizes direkt mit, aber auch Zulieferer und Partner von Apple leiden in diesen Tagen. Zu Unrecht, wie ich in der Wunschanalyse in der vergangenen Woche zeigte. Doch das hilft derzeit nicht, die Aktie fällt im Wochenvergleich um 5%.

3. Facebook

Gründer und CEO Mark Zuckerberg hat seine Aktionäre verschreckt. Die Zahlen waren wieder einmal überwältigend gut, doch Zuckerberg stellte schwere Zeiten in Aussicht. Die Wachstumsraten würden im laufenden Quartal sowie insbesondere im Jahr 2017 "deutlich" zurückgehen. Facebook werde "aggressiv" in den Ausbau der Angebote investieren und dadurch "substantiell" mehr Kapital binden. Deutlich, aggressiv und substantiell im Zusammenhang mit Kosten und nachlassendem Wachstum sind natürlich Schreckgespenster für jeden Anleger. Doch auch hier möchte ich Sie daran erinnern, dass Zuckerberg nicht zum ersten mal in die Zukunft seines Unternehmens investiert.

In der Telefonkonferenz sprach er ausführlich darüber, wie man künftig die Menschen dazu bringen werde, mehr Videos über die Smartphones zu schauen. Dadurch werde die durchschnittliche Verweildauer auf Facebook gesteigert, es kann dann mehr Werbung verkauft werden. Facebook hat nicht das Problem, Werbeeinnahmen zu generieren, sondern Facebook müsse mehr Plattformen anbieten, auf denen die nachgefragte Werbung ausgestrahlt werden kann.

Egal, ob der CEO Tim Cook, Jeff Bezos oder Mark Zuckerberg heißt und wiederholt auf das richtige Pferd gesetzt hat, Anleger mögen derzeit solche Pläne nicht und strafen die Aktie ab. Zu Unrecht, wie ich finde.

4. Preiskampf - Einzelhandel

Amazon hat hervorragende Zahlen abgeliefert und Gründer und CEO Jeff Bezos tut genau das, was er seit zwanzig Jahren am besten kann: Er investiert in die Zukunft. Viele Einzelhändler leiden unter dem nach wie vor aggressiven Wachstum von Amazon, in den vergangenen Wochen haben gleich eine ganze Reihe von Einzelhändlern enttäuschende Zahlen abgeliefert.

Einzelhändler treten aber auch gegeneinander in den Wettbewerb: Nike hat in seinem Quartalsbericht von steigendem Preisdruck berichtet, die Gewinnmarge sank. Adidas und Under Armour graben dem Marktführer das Wasser ab. Profiteur dieses heftigen Wettkampfes ist ein anderer Einzelhändler, den ich Ihnen in Kapitel 04 kurz vorstelle.

5. Pharma

Über Twitter hat Bernie Sanders bekannt gegeben, dass die Pharma-Branche zu gierig sei. Der Präsidentschaftskandidat ist zwar schon ausgeschieden, dominiert mit einer Reihe von Themen dennoch die Diskussionen. Gierige Pharma-Konzerne müssten an die Kandarre genommen werden, so Sanders. Diesem medialen Druck halten erste Pharma-Konzerne nicht mehr stand und traten diese Woche in einen Preiskampf ein: Preissenkungen in einem Oligopol wie es sie seit Jahrzehnten nicht mehr gab.

6. Flaute beim LKW-Absatz

Ich habe ein Interview mit Klaus Kleinfeld, CEO von Alcoa, nun Arconik, gesehen. Alcoa hat sich in zwei Gesellschaften aufgespalten, den Rohstoffkonzern für Aluminium auf der einen Seite und den Zulieferer der Automobil- und Flugzeugindustrie Arconic auf der anderen Seite. Im Interview lobte Kleinfeld die Stärke der Flugzeugbranche. Auf die Frage, wie es um die LKW-Produktion in den USA stehe, antwortete er, indem er von Stärken in anderen Branchen sprach. Die USA sind ein Automobilland und eine Schwäche in diesem Sektor verheißt nichts Gutes.

7. Wachstumsaktien

Nicht nur Apple befindet sich unter Druck, auch Home Depot, Starbucks, Under Armour, Alphabet, Amazon, Facebook, etc. wurden in den vergangenen Tagen ausverkauft. Hier bereitet man sich auf die anstehende Zinsanhebung durch die Fed vor: Da dies ja derzeit sehr wahrscheinlich ist, geht man von einer Verbesserung der Konjunktur aus. Insbesondere China hat in den vergangenen Wochen übrigens unzählige positive Konjunkturdaten veröffentlicht, der Shanghai A-Aktienindex konnte diese Woche gegen den internationalen Trend um 0,6% zulegen.

Sollte China die weltweite Konjunktur aus dem Sumpf ziehen, dann stehen exorbitante Gewinne von zyklischen Unternehmen an. Also wird umgeschichtet von Dividenden- und Wachstumsaktien in die volatilen zyklischen Aktien, die am Tropf der Konjunkturentwicklung hängen. Haben Sie sich mal Siemens angeschaut? Die notieren nur wenige Euro unter ihrem Hoch.

8. Prognosen

Die Quartalszahlen waren überwiegend positiv, dennoch konnten die Aktienmärkte nicht nach oben ausbrechen. Die Erwartungen waren offensichtlich im Vorfeld diser Berichtssaison zu hoch. Mir persönlich ist jedoch aufgefallen, wie verhalten die Prognosen von den CEOs formuliert wurden. Direkt vor der Präsidentschaftswahl in den USA und vor den Brexit-verhandlungen in Europa lehnt sich kaum jemand aus dem Fenster und verspricht blühende Landschaften. Es gab extrem wenige Prognoseanhebungen, bestenfalls wurden die Prognosen bestätigt. Häufig genug hingegen kam es zu Prognosesenkungen.

9. Zinsen

Ja, das ist altbekannt und wurde bereits mehrfach angesprochen. Dennoch lastet die Diskussion über eine Zinsanhebung im Dezember noch immer auf den Finanzmärkten. Ursprünglich wurden ja bis zu sechs Zinsanhebungen für das Jahr 2016 erwartet - geschehen ist bislang nichts. Die Wachstumsprognosen wurden gesenkt und die Zinsanhebungen wurden eins ums andere verschoben. Man bereitet sich an den Finanzmärkten auf die Zinserhöhung vor - das hat man inzwischen ja schon häufig genug getan. Doch solange die Entscheidung noch aussteht, wird das Thema belastend wirken.


LICHTBLICKE

Es gibt natürlich auch positive Bereiche, denn die Quartalszahlen fallen durchweg gut aus und aufgrund der aktuellen Marktstimmung fällt halt die Interpretation der Daten durchweg negativ aus. Hier einige positive Ausnahmen:

Henry Schein beliefert Zahnärzte mit Verbrauchsmaterialien, Medikamenten und Geräten. Das Unternehmen ist nun auch in den Bereich der Veterinärmedizin (Tierarzt) expandiert und zählt auch eine Reihe von Krankenhäusern zu seinen Kunden. Mittwoch ist die Aktie in Folge guter Quartalszahlen um 7,5% angesprungen.

Zoetis, das von Pfizer ausgegliederte Unternehmen für Haustierbedarf, konnte mit seinen Zahlen ebenfalls überzeugen. Die "Humanisierung" von Haustieren (Menschen pflegen ihre Vierbeiner teilwese besser als ihre Verwandten) hilft sowohl Zoetis, als auch Henry Schein. Zudem verzeichnete Zoetis mit einem neuen Medikament gegen den Juckreiz von Hunden große Erfolge. Die Aktie ist in Folge der Quartalszahlen um 9% angesprungen.

Electronic Arts profitiert vom Trend, immer mehr zu Hause zu bleiben. Spiele werden inzwischen so realistisch, dass mehr und mehr Menschen lieber RealRacing3 spielen, anstatt zur Kartbahn zu fahren. Die Aktie ist um 5% in Folge der Zahlen angesprungen. Auch Wettbewerber Take Two Interactive lieferte gute Zahlen mit Grand Theft Auto V sowie den Spielen der NHL und NBA. Take Two sprang um 7,5% an.

Der Trend, es sich zu Hause gemütlich zu machen, hilft auch Lebensmittelhändlern wie Kroger. Die Kunden kaufen nach komplexen Rezepten ein und kochen sich zu Hause ein leckeres Menue. Kroger sprang nach Zahlen um 5% an.

Ich kann hier einen neuen Trend erkennen: Die Menschen bringen ihr direktes Umfeld in Ordnung, machen es sich also gemütlich. Ob mit Haustieren oder Spielen oder ob durch Kochen von eigenen Fünf-Sterne-Menues, Hauptsache zu Hause fühlt man sich wohl - und gesund, wie wir dem Erfolg von Henry Schein ablesen können.

Schlecht gelaufen sind stattdessen GoPro (-20%) und Fitbit (-30%), die ihre Kunden nach draußen ziehen wollen. Auch Gamestop (-15%), wo man Spiele physikalisch auf CD kaufen kann, inklusive Beratung, meldete enttäuschende Zahlen. Spiele werden inzwischen einfach Online gekauft.

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES

INDIZES 03.11.2016 Woche Δ

Dow Jones 17.931 -1,6%
DAX 10.326 -3,7%
Nikkei 16.905 -2,5%
Shanghai A 3.276 0,6%
Euro/US-Dollar 1,11 2,0%
Euro/Yen 114,68 0,1%
10-Jahres-US-Anleihe 1,81% -0,04
Umlaufrendite Dt -0,01% 0,01
Feinunze Gold $1.297 2,3%
Fass Brent Öl $46,39 -8,7%
Kupfer 2.244 3,1%
Baltic Dry Shipping 849 6,4%



Ups, der Euro ist um 2% angesprungen. Was ist da passiert? einen Grund kann ich kaum finden, ich kann mir nur selbst zurechtlegen, dass Anleger aus dem US-Dollar fliehen, bzw, sich gegen einen US-Dollarverlust absichern, weil dieser unter einem protektionistischen US-Präsidenten Donald Trump sicherlich leiden würde. Aber mit 2% in nur wenigen Tagen gleicht dieser US-Dollarverlust einem Erdrutsch.

Kupfer steigt weiter an, der Baltic Dry Verschiffungsindex zeigt eine weiter anziehende Export- und Import-Tätigkeit Chinas an. Wie oben angesprochen unterstützen diese Daten die Hoffnung auf einen chinesisch getriebenen Aufschwung.

Der Goldpreis ist um 2,3% angesprungen, natürlich auch als Zeichen für die Unsicherheit vor den US-Wahlen.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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