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BIG 3.
Es geht ums nackte Überleben in diesen Tagen für die Autoindustrie der USA. 34 Mrd. USD an staatlichen Hilfen wollen die Big 3 inzwischen, vor zwei Wochen waren es „nur" 25 Mrd. USD. Der US-Kongress, der dieses Geld zur Verfügung stellen soll, möchte diesmal genauere Informationen haben. Denn beim letzten Mal als jemand mit herunter gelassener Hose vor dem Kongress stand, es war damals Hank Paulson, wurde der Druck für ein umgehendes Handeln so groß, dass man kaum Bedingungen an das Rettungspaket i.H.v. 700 Mrd. USD stellte. Paulson injizierte 25 Mrd. USD in jede Bank, und dennoch musste er letztlich die Citigoup mit weiteren Milliarden auffangen, der Immobilienmarkt hat sich entgegen dem Versprechen Paulsons nicht stabilisiert und eine Rezession ist inzwischen zur Gewissheit geworden. Verständlich also, dass der Kongress diesmal genau wissen will, warum die Kapitalspritze von 34 Mrd. USD den Big 3 das Überleben sichern soll. Vor zwei Wochen verlangte der Kongress daher, dass die Big 3 einen verlässlichen Plan vorlegen sollten, der die Befürchtung ausräumt, dass später nochmals Geld nachgeschossen werden müsse. Populär wurde natürlich die Kritik, dass die drei CEOs jeweils mit Privatjet eingeflogen wurden. Tipp: Wenn Sie einmal einen Offenbarungseid schwören müssen, fliegen Sie bitte nicht im Privatjet ein. Statt eines gemeinsamen Planes reichten die Big 3 jeder einen eigenen Plan ein. Statt gemeinsam mit einem Flieger, oder mit einem Linienflug einzufliegen, kam jeder mit einem eigenen Fahrzeug: Eine 10-stündige Anreise von Detroit nach Washington. Auch für uns in Deutschland ist das Ergebnis der Verhandlungen extrem wichtig. Es ist erschreckend, wie viele der DAX Unternehmen mittelbar an der Automobilindustrie hängen. Würde General Motors beispielsweise nicht gerettet werden, so könnte der Reifenhersteller Continental 3,25 Euro je Aktie abschreiben: Das ist fast der gesamte für 2009 prognostizierte Gewinn. Eine Reihe von Zulieferern gingen Pleite, so dass es auch bei BMW, Volkswagen und Daimler zu Lieferausfällen käme. Und Produktionsprobleme bei unseren Autokonzernen würden natürlich auch die anderen Zulieferer beschneiden, wie BASF und Bayer für Kunststoffteile, Infineon für Autochips (oh man, als ob die eine weitere Hiobsbotschaft vertragen könnten!), SAP als Softwarelieferant, E.On und RWE würden weniger Strom liefern dürfen, wenn die Produktion zurück gefahren wird. Linde könnte keine Gase mehr liefern, die für die Produktion eingesetzt werden und ThyssenKrupp sowie Salzgitter (herzlich willkommen im DAX!) blieben auf ihren Autoblechen sitzen. Warum kommen die Big 3 nicht der Bitte nach und liefern ein gemeinsames Konzept ab? Nun, die drei haben vollständig unterschiedliche Standpunkte, symptomatisch für das Gezeter der Branche. FORD CEO Alan Mulally ist ein guter Mann. Er hat zuvor die völlig verfahrene Situation zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern bei Boeing gelöst: Als CEO hat er die Weichen auf Wachstum gestellt und Boeing erstmals wieder Gewinne beschert. Ähnlich verfahren war oder ist die Situation im Automobilsektor, und so war es keine schlechte Idee, Mulally vor anderthalb Jahren zu Ford zu holen. Er hat dort auch sofort begonnen, die Modellstrategie auf kleinere Fahrzeuge auszurichten, wobei er wohl die Großen nicht schnell genug abgestoßen hat. Aber er hat einen langfristigen Plan eingeführt und dieser Plan sieht vor, dass Ford im Jahr 2010 wieder kräftig Gewinne schreiben soll. So war Mulally auch der erste, der seinen Plan dem Kongress übermittelte. Darin gibt er ausdrücklich an, derzeit keine finanzielle Hilfe zu benötigen. Lediglich, falls sich die Autoindustrie im Jahr 2009 weiter verschlechtern sollte (und das ist schwer nach dem Absatzrückgang von 47% im November), würde er finanzielle Hilfen benötigen. Kreditbürgschaften in Höhe von 9 Mrd. USD möchte Mulally in diesem Fall haben. Bargeld braucht er nicht. Mulally hat seine Hausaufgaben gemacht. Ford steht derzeit unter den Big 3 am besten da. GENERAL MOTORS Rick Wagoner ist schon ein alter Haudegen und seit ewigen Zeiten an der Spitze von GM. Ich kann ihn nicht leiden, denn er scheint vollkommen realitätsfern zu sein. Seit Jahren hält er die Umsätze hoch und verkauft Autos unter den Produktionskosten, schreibt pro verkauftem Auto einen Verlust von 2.000 USD. Dennoch hat er die grundsätzliche Strategie, dicke Autos und mit leistungsstarken Motoren, niemals in Frage gestellt. Vor einem Jahr wurde er gezwungen, über eine Fusion mit Renault nachzudenken. Seine Aktivitäten beschränkten sich darauf, die Verhandlungen, zu denen Renault-Chef Carlos Ghosn mit ernsthaften Vorschlägen erschien, ins Lächerliche zu ziehen. Es gelang ihm, dass Ghosn die Verhandlungen nach wenigen Wochen abbrach. Ein toller Erfolg für Wagoner: Bei einer Fusion wäre er überflüssig geworden, denn zwei CEOs braucht keine Firma. So konnte er seinen Stuhl retten. Als selbstherrlicher Herrscher ist er vermutlich auch wirklich davon überzeugt, dass nur er weiß, was am besten für GM ist. Nun, inzwischen ist ihm das Geld ausgegangen. Seine Autos werden gar nicht mehr gekauft und wenn er nicht bis zum Jahresende 4 Mrd. USD Soforthilfe vom Staat erhält, dann muss er Insolvenz anmelden. Weitere 4 Mrd. USD braucht er dann schon im Januar und bis 2010 kommen dann noch 11 Mrd. hinzu. Was mich am meisten ärgerte, war ein Interview, das ich gestern life sah, als er mit seinem Elektrofahrzeug (als wenn er von Detroit mit diesem Fahrzeug gefahren wäre) beim Kongress ankam. Seine Aussagen ließen nicht die Spur der Reue erkennen. Er machte die allgemeine wirtschaftliche Lage für die Probleme verantwortlich. Und er wünschte, die Wirtschaftskrise hätte GM nicht in diese Lage gebracht. Er sieht nicht den geringsten Fehler bei sich selbst. Also ehrlich, wenn ich im Kongress säße, würde ich als erstes einmal einen neuen Gesprächspartner von GM anfordern. Mag sein, dass die Krise die Probleme vergrößert hat. Doch ein umsichtiger Manager muss in der Lage sein, sein Unternehmen auf schwere konjunkturelle Zeiten vorzubereiten. Wagoner ist ein machtbesessener Sturkopf. Ihm traue ich den Wandel bei GM nicht zu. CHRYSLER Kommen wir zu Bob Nardelli von Chrysler: Er spielt seine „Geheimnis-Karte" voll aus. Während GM und Ford an der Börse notiert und damit öffentlich sind, ist Chrysler mehrheitlich in der Hand von privaten Investoren, die ihr Geld in Cerberus gesteckt haben. Cerberus hat Chrysler von Daimler abgekauft, als die Verluste ausuferten und die Schreckensnachrichten eigentlich nicht mehr schlimmer werden konnten, glaubte man. Daimler hält übrigens noch 19% der Chrysler-Anteile und hofft, diese noch an Cerberus verkaufen zu können. Doch diese Hoffnung schwindet so langsam. Chrysler profitiert schon seit Monaten von der Möglichkeit, keine Informationen an die Öffentlichkeit zu geben. Während Ford und GM von Absatzeinbußen berichten mussten, war von Chrysler nur zu hören, dass diese Probleme nicht auf das eigene Unternehmen zuträfen. Lächerlich! Nun, in seinem Plan, den er dem Kongress mit ausdrücklichem Verweis auf die Geheimhaltungspflicht übermittelte, stellte er seinen Restrukturierungsplan vor. Details sind, entsprechend der Geheimhaltungspflicht, nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Lediglich der Betrag: Bis Ende des Jahres möchte er 7 Mrd. USD. Ich weiß nicht, ob die US-Bevölkerung einem Unternehmen 7 Mrd. USD geben möchte, also pro Bürger 23 US-Dollar, das nicht einmal kund tut, was es damit vor hat. Und profitieren würden von dieser Hilfe nicht zuletzt die Eigentümer, also die Millionäre, die ihr Risikokapital an Cerberus gegeben haben. Der Kauf von Chrysler seitens der Private Equity Firma Cerberus war eine Spekulation. Cerberus hat keinen Schimmer, wie die Automobilindustrie funktioniert. Man sah nur, dass alles am Boden liegt und wollte den Laden billig einkaufen und teuer verkaufen. Das ist misslungen. FINANZIERUNG Unabhängig davon, ob die Hilfe überhaupt fließen wird, gibt es schon Streit, welcher Topf damit belastet werden soll: Der 700 Mrd. USD Rettungsfonds von Hank Paulson? Oder ist es nicht eine Investition in umweltfreundliche und damit zukunftsträchtige Fortbewegungsmittel, so dass das Energieministerium das Geld aufbringen könnte? Oder könnte nicht Bernanke einfach ein paar US-Dollarscheine mehr drucken? Nun, greift man auf Bernanke zurück, so wird der US-Dollar fallen, da die Geldmenge weiter steigt. Greift man auf Paulson zurück, so wird das Rettungspaket weiter zweckentfremdet, sofern in den wilden Aktionen Paulsons überhaupt ein Zweck zu sehen war. Und warum sollte das Energieministerium die US-Autowirtschaft vor dem Untergang retten müssen? Ist das nicht eine Aufgabe für alle, also die Regierung? Bush jedoch hält sich raus aus der Geschichte. Er versteht die Implikationen ohnehin nicht. Bleibt zu hoffen, dass sich Obama mit einem guten Konzept zu Wort meldet. POLITISCHE REIBUNGEN Härtester Gegner einer Rettung der Big 3 ist Senator Shelby aus Alabama. Wussten Sie, dass Toyota und Honda riesige Produktionsstandorte in Alabama unterhalten? Unterstützt wird Shelby von Senator Graham aus South Carolina – ja, das ist, wo BMW seine Fabrik gebaut hat. Na, und so lässt sich natürlich die Interessenlage der Senatoren auf individuelle Vorlieben für den Heimatstaat zurückführen. Da ist es schwer, eine ökonomisch und sozial sinnvolle Lösung zu stricken. MEINE LIEBLINGSLÖSUNG AUS VOLKSWIRTSCHAFTLICHER SICHT Chrylser wurde mit Risikokapital gekauft, das war nichts weiter als ein Zock. Chrysler kann daher in meinen Augen abgewickelt werden, so leid mir das für die 19% Anteile im Daimler-Bestand tut. Es gibt zu viele Autos in den USA und Chrysler ist das Paradebeispiel für eine Modelpolitik, die am Kunden vorbei zielte. Sie brauchen sich nur die Schlachtschiffe von Chrysler anschauen! GM kann nicht mit einem Sturkopf an der Spitze weitermachen, Wagoner muss weg. Um Arbeitsplätze zu sichern, sollte GM sodann tatsächlich Konkurs nach Chapter 11 anmelden. Es wird damit Gläubigerschutz beantragt und GM bekäme zur Neustrukturierung seiner Geschäfte Kredite vom Staat. Die Aktien würden wertlos verfallen, die Unternehmensanleihen könnte man abwerten (ich habe im Kongress schon den Vorschlag von 30% Restwert gehört) und die Arbeitsverträge könnten zu deutlich günstigeren Konditionen neu geschlossen werden. Dieser Prozess sollte im Vorfeld ausgearbeitet und sofort veröffentlicht werden, inklusive Endtermin der Restrukturierung und inklusive einer Staatsgarantie, dass die inzwischen gekauften GM-Autos weiter ihren Garantieanspruch behalten. Solange dies nicht garantiert wird, kauft niemand mehr ein Auto von GM und dann nutzen die ganzen Anstrengungen nichts. Ford hat keine Hilfe beantragt, also braucht Ford auch nichts. Höchstens kurzfristige Kreditlinien im Falle von Marktverwerfungen bei der Neustrukturierung von GM sollte man Ford zusagen. Mit diesem Weg würde die ewige Subventionierung kranker Wirtschaftszweige vermieden werden. Chryslers Auflösung würde die Überkapazitäten beseitigen und Chancen für Wachstum in ein paar Jahren eröffnen. Leider würde jedoch ein Teil der Ausfallkosten von Zulieferern in aller Welt, also auch in Deutschland, getragen werden. DIE WAHRSCHEINLICHE LÖSUNG Keine Ahnung. Es geht wohl leider nicht um eine sinnvolle Lösung, sondern darum, seine eigene Machtposition zu demonstrieren. Demzufolge müsste ich für die uneingeschränkte Rettung der Big 3 votieren, damit unsere Zulieferer nicht auf ihren offenen Rechnungen sitzen bleiben. WOCHENRÜCKBLICK Die täglichen Kursschwankungen bleiben extrem. Hier der Blick auf die Wochenbewegung der wichtigsten Indizes: INDIZES (04/12/2008) Dow Jones: 8,376 | -4.0% DAX: 4,564 | -2.2% Nikkei: 7,924 | -5.4% Euro/US-Dollar: 1.279 | -1.2% Euro/Yen: 117.95 | -4.3% 10-Jahre-US-Anleihe: 2.57% | -0.4 Umlaufrendite Dt: 2.81% | -0.3 Feinunze Gold USD: $770.80 | -5.3% Fass Crude Öl USD: $43.67 | -19.8% Ja, der Ölpreis ist eingebrochen. Nochmals. Er nähert sich nun meinem Extrem-Szenario von 40 USD/Fass. Werde ich mit Ihnen noch über einen Ölpreis von 20 USD/Fass diskutieren müssen? Also, ich will inzwischen gar nichts mehr ausschließen. Das Deleveraging von Positionen führt zu Übertreibungen, die ich mir zuvor zwar theoretisch vorstellen konnte, deren Eintreten ich aber nie für möglich gehalten hätte. Die EZB hat den Leitzins um 0,75% gesenkt. Das ist der größte Zinsschritt in der noch jungen Geschichte der EZB. Im Vorfeld wurde an der Börse die Einstellung vertreten, dass 0,5% zu wenig wäre, sondern dass man sich 1% wünschte. Mit den 0,75% lag die EZB in der Mitte und der Markt wusste nicht so recht, ob er sich freuen sollte oder nicht. Ich habe es an dieser Stelle schon oft gesagt: Die EZB ist, anders als ihre US-Kollegen, technokratisch ausgerichtet. Es werden die Geldmengenindikatoren beobachtet und wenn die Indikatoren aus den Zielbändern laufen, dann wird reagiert. Ich wiederhole: „re"agiert. Es ist nicht die Aufgabe der EZB, Entwicklungen zu antizipieren und zu vermeiden. Es ist die Aufgabe, auf Entwicklungen mit einer passenden Geldmengensteuerung zu reagieren. Es ist hier in Europa also gar nicht gewollt, heute mit einem riesigen Zinsschritt das Zinsniveau so günstig zu machen, dass morgen die Konjunktur angekurbelt würde. Um die Konjunktur soll sich die Politik kümmern. Die EZB wird jedoch im nächsten Jahr weitere Zinssenkungen vornehmen, wenn sich die Konjunktur nicht stabilisiert hat. Und so wie es zur Zeit aussieht, können Sie sicher sein, dass der europäische Leitzins im Januar nochmals gesenkt wird. Somit ist auch das langfristige Zinsniveau auf ein historisches Niedrigzinsniveau gesunken: 2,81% verdienen Sie derzeit an einer 10-Jahre laufenden Bundesanleihe. Da wundert es mich nicht, dass der Bund sogar im Fernsehen mit Hilfe einer ziemlich gut gemachten Schildkröte Werbung dafür macht. So günstig konnte sich der Bund noch nie refinanzieren. Doch wenn Sie auf dem Tagesgeldkonto 4,8% bekommen, warum sollen Sie sich dann 10 Jahre für 2,81% Zinsen festlegen? Irgendwas stimmt da doch nicht, oder? Lassen Sie bitte derzeit die Finger von langfristigen Anleihen. Tagesgeld ist das richtige, wenn Sie feste Zinsen haben wollen. VERHEERENDE ARBEITSMARKTDATEN IN DEN USA Wenn Sie daran zweifeln, dass die Wirtschaft den schlechten Börsenvorgaben folgt, dann können Sie sich die heutigen Arbeitsmarktdaten anschauen: Über 500.000 Arbeitsplätze sind im November verloren gegangen. Da müssen die Statistiker in die 70er Jahre zurückgehen, um eine vergleichbare Entlassungswelle zu finden. Und da ist die Autoindustrie noch nicht enthalten, die zucken ja noch. Ich will es damit für heute einmal dabei belassen. Ich könnte wieder einmal eine ewig lange Liste an Hiobsbotschaften, an Schreckensmeldungen und an Chaostheorien auflisten, aber am Ende ist nur eine Frage interessant: Sind diese Dinge schon im aktuellen Kursniveau berücksichtigt, oder ist noch ein weiterer Ausverkauf des DAX zu befürchten. | ||
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis) | ||
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