Alt 26.01.19, 13:54
Standard So tickt die Börse: Gegenbewegung könnte in zweite Phase treten: Gier
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Wir befinden uns noch immer in der bloßen Gegenbewegung zum Ausverkauf im Dezember. Bislang haben viele Aktien zugelegt, die gerade Ende des abgelaufenen Jahres besonders viel verloren haben. Die größten Gewinner sind derzeit Dividendenaktien, da Anlegern noch die Angst in den Knochen steckt und sie nun nach den vermeintlich sicheren Alternativen suchen.

Hat sich die geopolitische Situation maßgeblich verändert? Ich stelle mit großer Freude fest, dass die Börsenbewegung nicht mehr von den tagespolitischen Meldungen dominiert wird. Denn die schwelenden Krisen sind alles andere als gelöst.

Ich wurde von einigen Lesern kritisiert, weil ich der EU mangelndes Entgegenkommen bei den Brexit-Verhandlungen unterstellt habe. Das Gegenteil ist der Fall: Die derzeitige Verhandlungslinie der EU als auch von Theresa May hat eindeutig den Verbleib der Briten in der EU zum Ziel, anders kann ich den Plan B von May, der sich nicht von Plan A unterscheidet, nicht interpretieren. Wenn die EU und May an ihrer harten Linie festhalten, wird es keine Einigung geben und eine Verschiebung, dann ggfls. ein neues Referendum und letztlich die Rücknahme des Brexit werden folgen. Reisende soll man ziehen lassen. Die Briten gehen aber nicht, wenn wir ihnen nicht noch ein paar Geschenke hinterher werfen.

Der Handelsstreit zwischen den USA und China bringt täglich widersprüchliche Meldungen hervor. Ob dort nennenswerte Fortschritte erzielt wurden, ist völlig offen. Gleichzeitig rücken die nächsten Eskalationsstufen - weitere Zölle - immer näher.

Der Shutdown in den USA ist der längste der US-Geschichte und droht mit jedem Tag, den er andauert, ernste Auswirkungen auf die US-Konjunktur zu haben. Wie wir Trump inzwischen kennengelernt haben, ist ein Einlenken seinerseits nur schwer vorstellbar. Gleichzeitig steigt der Druck auf ihn wegen der Russland-Affäre, eine Anklage mit folgendem Amtsenthebungsverfahren wird in diesen Tagen einmal mehr öffentlich diskutiert.

Und dann hat der IWF diese Woche, pünktlich zum Weltwirtschaftsforum in Davos, seine Wachstumsprognose für die globale Wirtschaftsentwicklung gesenkt. Als Gründe werden vor allem die jüngsten Entwicklungen in den USA angeführt. Der Donald ist nicht einmal nach Davos gereist und hat dies auch seinen Mitarbeitern untersagt.

Die Situation in Italien ist für mich weiterhin undurchsichtig: "Italien will Defizitziel ohne Sparmaßnahmen erreichen" ist in den Medien zu lesen. Rechnerisch ist das nicht möglich, Italien kommt mir vor wie das ungezogene Kind, das umherhüpft und schreit "Ich will aber!". Weil Frankreich Italien nicht unterstützt, spekuliert Salvini bereits über einen vorzeitigen Abgang Macrons.

All diese schwelenden Krisen halten Anleger nicht davon ab, die Aktienmärkte weiter nach oben zu jubeln. Gestern wurde die nächste Phase eingeläutet: Xilinx und Lam Research haben optimistische Prognosen abgegeben, so dass dem Halbleitermarkt wieder Leben eingehaucht wird.

Xilinx baut Chips für 5G-Kommunikation, die in unzählige elektronische Endgeräte eingebaut werden kann. Das Internet der Dinge! In der Telefonkonferenz, die der Veröffentlichung der Q-Zahlen folgte, schwärmte CEO Victor Peng davon, dass die guten Zahlen des Q4 darauf zurückzuführen seien, dass 5G nun anlaufen würde. Es sei nur das erste von sehr vielen Quartalen, in denen 5G für ordentliches Wachstum sorgen werde. In der Telefonkonferenz wurde 32 mal der Begriff 5G genannt!

Xilinx sprang gestern um 18% an. Doch die Aktie ist mit einem KGV 2019e von 30 bei erwarteten 15% Gewinnwachstum schon recht hoch bewertet.

Und dann hat Lam Research einmal mehr schwache Q-Zahlen veröffentlicht. Doch in der anschließenden Telefonkonferenz sprach CEO Tim Archer mehrfach davon, dass es das letzte schwache Quartal sei. Lam Research ist Maschinenbauer für die Produktion von DRAMs und Flash-Memory, also den Produkten, mit denen Micron unterwegs ist: SSD-Festplatten und Arbeitsspeicher. Micron notiert auf einem KGV von 5 bei erwartetem Gewinnwachstum von 25%. Die Aktie ist völlig ausgebombt, weil man von Überkapazitäten im Markt spricht. Wenn nun aber LAM Research davon ausgeht, dass neue Maschinen bestellt werden, dann kann die Überkapazität nicht so groß sein, oder?

Taten sagen mehr als Worte: Archer kündigte ein Aktienrückkaufprogramm mit einem Volumen von 5 Mrd. USD an. Lam war gestern gerade mal 21 Mrd. USD wert. Da möchte der CEO also knapp ein Viertel des Unternehmens zurückkaufen. Diese Ankündigung zeigt gleich zwei Dinge: Zum einen glaubt CEO Archer, dass er die Barreserven (3,6 Mrd. USD Nettocash) nicht mehr benötigt, um die Durststrecke durchzustehen. Zum anderen hält er den Aktienkurs seines Unternehmens für günstig genug, um nennenswert Aktien einzusammeln.

Lam ist gestern um 16% angesprungen, auch Micron konnte um 7% zulegen.

Damit könnte die Rallye der vergangenen Wochen, die ich bislang als Gegenbewegung bezeichnet habe, in die nächste stufe eintreten: Gier! Nachdem in den vergangenen Wochen Portfolios dahingehend umstrukturiert wurden, um gegen den nächsten Ausverkauf gewappnet zu sein, könnten Anleger schon bald nach Chancen auf überproportionale Kursgewinne setzen. Zyklische Unternehmen, die statt unter einer Rezession zu leiden nun frisches Wachstum versprechen, könnten in den Fokus der Anleger rücken.

Das wird nicht von heute auf morgen passieren, dazu ist die Situation noch nicht klar genug. So hat beispielsweise auch Texas Instruments gestern früh Zahlen veröffentlicht, die waren aber nicht sonderlich schön. Und gestern Abend hat Intel schwache Q-Zahlen veröffentlicht. Das Geschäft leide unter einem schwachen iPhone-Absatz und einem sich verlangsamenden Wachstum der Cloud, so die Meldung. Das dürfte genug sein, um die Chip-Bullen von gestern heute ein wenig zurückzudrängen.

Schauen wir mal, wie sich diese Entwicklung in den wichtigsten Indizes niedergeschlagen hat:

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES


INDIZES (24.01.2019) Woche Δ Σ '19 Δ

Dow Jones 24.553 0,8% 6,5%
DAX 11.130 1,9% 5,4%
Nikkei 20.774 0,5% 3,8%
Shanghai A 2.724 1,7% 4,3%
Euro/US-Dollar 1,13 -0,6% -1,0%
Euro/Yen 124,31 -0,3% -1,5%
10-Jahres-US-Anleihe 2,71% -0,04 -0,02
Umlaufrendite Dt 0,07% -0,01 -0,03
Feinunze Gold $1.284 -0,6% 0,3%
Fass Brent Öl $61,65 0,7% 18,1%
Kupfer 5.920 0,2% -1,6%
Baltic Dry Shipping 939 -12,8% -26,1%
Bitcoin 3.597 -1,5% -8,3%



Die Gegenbewegung an den Aktienmärkten hat diese Woche insbesondere den DAX weiter nach oben gespült (+1,9%). Wie oben erwähnt wird hier die Hoffnung auf eine Rücknahme des Brexits gespielt. Außerdem hat EZB-Präsident Mario Draghi gestern eine ganze Reihe von Gefahren für die Konjunktur Europas aufgelistet und daraus gefolgert, dass die erste Zinserhöhung seit 8 Jahren nicht vor Herbst erfolgen könne - wenn nicht erst in 2020. Anhaltend niedrige Zinsen werden von den Aktienmärkten stets positiv eingeordnet.

An den Zinsmärkten werden die gestiegenen Gefahren für das weltweite Wachstum mit sinkenden Renditen beantwortet. Anleger suchten in den vergangenen Tagen die Sicherheit der Zinspapiere. Der andere sichere Hafen hingegen, das Gold, gab ein wenig nach.

Besondere Aufmerksamkeit sollten wir dem Öl schenken, denn der Ölpreis diktiert derzeit die Richtung an den Märkten. Sinkt der Ölpreis über Nacht, so starten die Aktienmärkte im Minus. Zu viele automatische Handelssysteme sind inzwischen darauf programmiert, aus einem rückläufigen Ölpreis drohende Konjunkturschwäche abzuleiten, es folgt der Verkauf konjunktursensibler Aktien. Umgekehrt führt ein leichter Ölpreisanstieg umgehend zu Aktiengewinnen. Nicht nur zufällig hat der Ölpreis zum Jahreswechsel am gleichen Tag sein Tief gesehen wie die Aktienmärkte.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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