Alt 17.05.09, 07:00
Is it true? - geschönte Zahlen sind keine schönen Zahlen!
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Alle Blicke waren gestern Abend auf Moskau anlässlich des Grand Prix Eurovision bzw. Eurovision Song Contest 2009 gerichtet. „Is it true?“ war der Titel aus Island, der übrigens damit überraschend den zweiten Platz belegte und mir persönlich am besten gefiel. In Moskau spielte auch die Hauptmusik unter den Weltbörsen (+50% seit Jahresbeginn!). Der Titel „Is it true?“ könnte auch an die USA gerichtet sein. In den letzten Monaten wurden die Anleger vor allem wegen besser als erwarteten Zahlen und Zahlen-Interpretationen rasant nach oben befördert.

Erst machten die Quartalszahlen bei einigen US-Großbanken wie vor allem bei der Citibank den Anlegern Mut, dann schien ein US-Bankenstresstest für Erleichterung an den Weltbörsen. Sogar die US-Arbeitsmarktdaten wurden trotz einer Rekordarbeitslosenquote von 8,9% positiv aufgenommen, weil die Zahlen zumindest nicht schlechter ausfielen als erwartet worden war. Die US-Arbeitslosenzahlen betrugen im April „nur“ 530.000 anstelle der erwarteten 600.000. Zusätzlich sorgten einige Stimmungsindikatoren für eine Stimmungsbesserung auch an der Börse. So drehte zuletzt auch der im Handelsblatt veröffentlichte KID-Indikator kräftig nach oben. Schließlich meldeten sich einige Börsengurus wie George Soros und Warren Buffet zu Wort, die beide der Auffassung sind, dass das Gröbste überstanden sei und es im nächsten Jahr wieder bergauf gehe. Rein in die Krise und punktum raus aus der Krise? So einfach ist es leider nicht!

Ohne nun den Anlegern wieder den Mut zum Investieren nehmen zu wollen, sollte sich alle Anleger vor allem das US-Zahlenwerk kritisch überprüfen, ob die „schönen Zahlen“ zu sehr geschönt sind nach dem Motto: „Enron lässt grüssen!“ Die USA haben de facto die schwerste Rezession seit 1929 zu verkraften: das Minus von 6% beim BSP im 1. Quartal ist noch geschönt. Die US-Lohnsummen fallen, was später auch auf den Konsum sich bemerkbar machen wird. Leider reagieren viele Anleger auf Börsennachrichten immer wieder zu schnell ohne die Zahlen abzuwägen und zu hinterfragen. Jedem Anleger sollte klar sein, dass die jetzt vorgelegten Quartalszahlen durch die äußerst gewagte Bilanzierungs-Wahlfreiheit nicht dem tatsächlichen wirtschaftlichen Bild entsprechen. Vor allem das Thema „Altlasten im Derivate-Bereich“ ist nicht aus der Welt. Im Gegenteil: bei einem Volumen von über 700 Billionen USD (!) im Derivate-Bereich tickt hier nach wie vor eine gewaltige Zeitbombe. Das Thema „bad bank“ wird uns noch eine ganze Weile beschäftigen. Sicherlich müssen die Bankvorstände jetzt wegen Konkursverschleppung nicht mehr ins Gefängnis, aber vieles, was früher unter „Bilanzmanipulation“ lief und verboten war, ist jetzt erlaubt, damit ein Bankenrun vermieden wird. Den USA droht auch bei Staatsanleihen das ohnehin nicht gerechtfertigte AAA-Rating zu verlieren, womit die Risikoprämien steigen würden. Gerechtfertigt wäre eher „Junk Bond-Niveau für so manche US-Anleihen, die noch ein „AAA-Rating“ hat.

Ich möchte beim US-Bankenstresstest nicht zu sehr ins Detail gehen: ich kann aber nicht erkennen, dass der US-Bankenstresstest „gute Nachrichten“ für die Anleger erbrachte. Es sei einmal dahingestellt, ob die Parameter BSP, Arbeitslosenzahlen und Immobilienpreise alleine über das Wohlergeben und Überleben der US-Großbanken entscheiden, was ich bezweifele. Ich kritisiere aber schon seit Jahren, dass zumindest die BSP-Zahlen, auch die Inflationszahlen und erst recht die US-Arbeitsmarktdaten nicht die tatsächliche, reale Entwicklung wiedergeben. Immer wieder werden diese Zahlen nachträglich nachkorrigiert, weil sie auf groben Schätzungen beruhen. Die BSP-Zahlen werden annualisiert berichtet, bei den Inflationszahlen ist der gewählte Warenkorb sehr fragwürdig und bei den US-Arbeitslosenzahlen werden auch sehr fragwürdige Schätzungen auf Basis von Geburts- und Sterbetabellen benutzt, die sich im Nachhinein immer wieder als falsch erweisen. So setzt die US-Rezession bekanntlich wesentlich früher ein als zuvor vom Zahlenwerk ablesbar war. Sie sollten auch wissen, dass die US-Inflation wesentlich höher und vor allem die US-Arbeitslosigkeit wesentlich höher ist als berichtet. Die Börse ist also kein Spiegel der wirtschaftlichen Entwicklung, auch wenn die US-Arbeitsmarktdaten gerade jetzt für Stimmung an den Weltbörsen sorgen. Sie werden dann im Nachhinein immer nachadjustiert, was auch eine Strategie des „Plunge protection teams“ sein könnte, das bisher ganze Arbeit geleistet hat. Einige Shortseller wurde zwar in den Monaten März/April aus dem Markt gejagt, aber sie werden wieder kommen, wenn sich die US-Wirtschaftsdaten nicht wirklich verbessern. Sorgen bereitet zudem die ausufernde Verschuldung in den USA. Die US-Bahnfrachtraten nahmen weiter um 18,2% in den ersten vier Monaten ab, was kein Anzeichen für einen Aufschwung ist.

Aber wie würden wohl weltweit die Anleger reagieren, wenn die USA von einer Arbeitslosenquote von realistischen 15-16% berichten würde. Oft sind es Beruhigungspillen ebenso wie die Statements des Notenbank-Chefs Bernanke, der sich bei Wirtschaftsprognosen lieber zurückhalten sollte, da er mit seiner damaligen Schätzung von 50 Mrd. USD Abschreibungsbedarf infolge der Immobilenkrise völlig falsch lag.

Ich bin immer wieder verwundert, wie sehr die Akteure an den Finanzplätzen auf diese zwar wichtigen Konjunkturdaten und Meinungen des US-Notenbankchef reagieren. Nun ist es immer so, dass die reale Entwicklung immer wieder die Börse einholt und auf den Boden der Tatsachen holt. Was viele Anleger bisher auch nicht registriert haben, ist, dass es bereits einen Anleihen-Crash in den USA gab ohne dass dies eine Auswirkung auf die Börse hatte. So stiegen die Anleihenzinsen in den USA von 2 auf über 4%. Ich kann mir sogar vorstellen, dass wir weiter steigende Zinsen in den USA bekommen, damit auch alle US-Bonds platziert werden können. Ähnliche Entwicklungen kommen dann mit einer gewissen Zeitverschiebung auch in Europa. Achten Sie also schon jetzt auf den Bund-Futures. Wenn dieser unter 119 fällt, könnte es zu steigenden Zinsen kommen.

Demnächst werden einige Schicksalsfragen gestellt, wo geschönte Bilanzen nicht mehr ausrichten können wie bei General Motors. Dort zählt nur der Satz. „Nur Bares ist Wahres“. Das gleiche gilt für Opel in Deutschland, die wiederum von GM abhängig sind. Anleger sind auf ein Chapter 11 von General Motors noch nicht vorbereitet. Dahinter steckt aber auch eine Schicksalsfrage für die USA, was Arbeitslosenzahlen angeht. Die nächsten Wochen werden einige in Erinnerung rufen, dass diese Krise wirtschaftlich noch nicht überwunden ist. Allerdings macht China ordentlich Dampf, um seinen Ruf als neue Welt-Konjunkturlokomotive gerecht zu werden. Von der Rohstoffnachfrage in China und Indien hängen viele Rohstoffmärkte und mittelbar damit auch viele Rohstoffexporteure und damit auch Russland ab. China geht weiter auf Einkaufstour, nicht nur zur Aufstockung der Goldbestände. In den USA sind immer noch 8 Billion USD geparkt und werden früher oder später nach neuen Anlagemöglichkeiten suchen. Auch sind die meisten Börsen-Stimmungsindikatoren noch am Boden, so dass ein neuer Crash so schnell nicht zu erwarten ist.

Die Anleger in Moskau dürften sich über eine Korrektur nach einem Plus von 50% seit Jahresbeginn nicht wundern. In den nächsten Tagen sollten die Anleger weiter auf die Markttechnik achten. Die 200-Tagaeslinie ist nach wie vor fallend und wurde noch nicht überschritten. Der DAX schloss am Freitag fast auf Vortagsniveau bei 4702 Indexpunkten, der Dow Jones mit einem Minus von 0,75% bei 8268 Indexpunkten und der S&P mit einem Minus von 1,14% bei 882 Indexpunkten. Bearish wird es erst, wenn der DAX unter 4650, der S&P unter 850 (erst recht unter 820 Indexpunkte) oder der Dow Jones unter 7700 Indexpunkte fällt. Zunächst ist aber nur eine Korrektur auf die Trading-Rang , die sich im April gebildet hatte und die Anfang Mai nach oben verlassen wurde, wahrscheinlich. Danach kommt auch marktechnisch die Stunde der Wahrheit. Entweder nehmen die Weltbösen dann einen neuen Anlauf auf die 200-Tageslinie (beim DAX sind wir mit 5000 Indexpunkten schon sehr knapp dran, bei S&P und Dow noch einiges entfernt). In jedem Fall ist der kurzfristige Haussetrend seit März beim DAX schon nach unten gebrochen, was eher ein bearishes Zeichen ist. Von daher sollten Sie auch an den Ostbörsen jetzt die Stop-loss-Marken sehr knapp nachziehen bzw. mehr in Liquidität gehen.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Andreas Männicke die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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