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Ende 2015 tönte die Fed, bis Ende 2016 werde sie bis zu viermal den Leitzins erhöhen. Drei Gelegenheiten davon ließ sie inzwischen ungenutzt verstreichen, nun wird es maximal eine Zinserhöhung im Dezember geben. Ich habe zwei Erklärungsmöglichkeiten, keine davon ist positiv.
Entweder die Fed hat sich kolossal geirrt und die konjunkturelle Entwicklung völlig falsch vorhergesehen. Das wirft ein schlechtes Licht auf die Prognosefähigkeiten der Fed, was doch eigentlich die Kernkompetenz der Fed sein sollte. Nur durch verlässliche Prognosen kann die Fed frühzeitig mit ihrer Geldpolitik negativen konjunkturellen Entwicklungen gegensteuern. Und inzwischen hat die Fed längstens neben Zinspolitik und Liquiditätsflutung auch die Glaubwürdigkeit ihrer Beeinflussungsmöglichkeiten als Instrument am Markt etabliert. Wenn wir jedoch an der Prognosefähigkeit der Fed zweifeln, dann bleibt nicht mehr viel von der Glaubwürdigkeit übrig. Oder Fed-Chefin Janet Yellen hat sich vor einem Jahr hingesetzt und einen Masterplan ausgearbeitet, mit dem die Gewissheit im Markt verankert werden kann, dass es der Konjunktur eigentlich gut genug geht für eine Zinserhöhung, diese aber dann dennoch nicht erfolgen wird. Wenn sie also vor einem Jahr die Ausweglosigkeit der Konjunkturentwicklung vorhergesehen hat, dann wären zumindest die Prognosemodelle noch funktionstüchtig. An Glaubwürdigkeit hätte Sie jedoch dennoch verloren. Genau wie die Fed hat auch die Bank of Japan am Mittwoch dieser Woche den Leitzins unverändert belassen. Die Fed sieht eine sich verbessernde Konjunktur, möchte jedoch lieber noch ein wenig warten. Die Bank of Japan hat als nunmehr Dritte im Bunde die Geldpolitik neu definiert: Nun wird nicht mehr nur der kurzfristige Marktzins als Messlatte gesehen, sondern auch der langfristige Zins. Durch gezielte Liquiditätsmaßnahmen (sprich: ETF-Käufe) wird die Bank of Japan künftig die Zinskurve und eben den langfristigen Zins beeinflussen. Kuroda möchte gerne die flache Zinskurve etwas anschrägen: der kurze Zins kann ruhig negativ sein, solange der langfristige Zins deutlich höher steht. Nur eine steile Zinskurve, so Kuroda, wird auch die Inflation antreiben. Entsprechend wird die Bank of Japan diese Maßnahmen vollziehen, solange die Inflation unter 2% notiert. Starke Worte, die dem Nikkei zu einem Höhenflug verhalf. Dabei haben wir Ähnliches schon von Janet Yellen nach der Konferenz in Jackson Hole gehört, und auch EZB-Chef Mario Draghi hat vor zehn Tagen angekündigt, neue Wege bei der Beeinflussung des Zinsniveaus zu erforschen. Ach so, da war doch noch jemand: Die Briten. Auch die Bank of England hat sich weitere Lockerungsübungen vorbehalten, wenn es die britische Konjunktur erfordere. Wenn ich mir die vier Erklärungen anschaue, sehe ich einen roten Faden: Notenbanken sind mit ihrer Zinspolitik am Ende. Auch die Liquiditätsflutung der Märkte hat nicht zu dem gewünschten konjunkturellen Aufschwung geführt. Blumige Worte (im Notenbankenglisch genannt "forward guidance") sind nun seit Jahren genug verloren worden. Also macht man sich auf die Suche nach neuen Instrumenten, in Japan wird man bald schon die direkte Intervention in den Aktienmarkt (ETF-Käufe) austesten, quasi als Pilotprojekt. Immer, wenn der Zauberkasten der Notenbanken entzaubert wurde, wird ein neuer Zauberkasten aus dem Hut gezogen. Wenn bislang also ein niedriges Zinsniveau die Investitionstätigkeit von Unternehmen ankurbelte, und somit für Wachstum sorgte, so ist nun in erster Linie eine steile Zinskurve für Investitionen erforderlich. Nun muss es dem Bankensystem ermöglicht werden, mit Krediten Geld zu verdienen, sonst werden keine Kredite vergeben - egal wie niedrig das Zinsniveau ist. Ich finde diese geldpolitische Wendung sehr interessant. Interessant, denn vor dem Hintergrund des weltweit nach wie vor strauchelnden Bankensystems, insbesondere in Europa, sind viele Banken noch immer schwach auf der Brust. Es ist endlich ein in meinen Augen guter Ansatz, den Banken durch die Vergabe von Krediten auch das Geldverdienen zu ermöglichen. Sie müssen wissen, Banken vergeben gerne lang laufende Kredite, refinanzieren sich aber kurzfristig. Wenn ein Unternehmen also eine neue Fabrik baut und dafür einen 10-Jahre laufenden Kredit für 1,9% aufnimmt, muss die Bank diese Summe "gegenfinanzieren". Sie muss also ausreichend Spareinlagen haben, die sie wiederum verzinsen muss. Je kürzer die Laufzeit dieser Spareinlagen, Sie kennen das vom Termingeld, desto niedriger der Zins, den die Bank ihren Kundenzahlen muss. Deswegen werden Kredite zu einem großen Teil über kurzfristige Termineinlagen gegenfinanziert, wo kaum ein Sparzins anfällt. Die Zinsdifferenz zwischen derzeit bspw. 0% und 1,9% ist der Gewinn der Bank. Diese Zinsdifferenz war in der Zeit vor der Finanzkrise von 2008 deutlich größer als heute. Früher, in der guten alten Zeit, haben Banken durch diese Zinsdifferenz zwischen lang laufenden Investitionskrediten und kurz laufenden Termingeldern den Löwenanteil ihres Gewinns erwirtschaftet. Es ist das klassische Bankgeschäft, mit dem Banken über Jahrzehnte groß geworden sind. Dieses Geschäft gibt es heute so nicht mehr, stattdessen springen die Notenbanken wild im Dreieck um die Geschäftsbanken herum und drängen zur Vergabe von mehr Krediten. Doch einen finanziellen Anreiz liefern die Notenbanken bislang nicht. Das soll sich nun ändern, so Kuroda. Spannend finde ich den Hinweis, das man das Ziel der höheren Zinsen für lang laufende Kredite über den Kauf von ETFs erreichen möchte. Ich überlege seit zwei Tagen, welche ETFs durch ihren Kauf zu einem Anstieg der langfristigen Zinsen führen. Weltweit kaufen Notenbanken alle Anleihen, die nicht rechtzeitig im Tresor versteckt werden. Durch diese Käufe werden die Kurse der Anleihen nach oben getrieben, was entsprechend zu niedrigeren Zinsen führt - über die gesamte Laufzeit. Denkt Kuroda daran, noch mehr Anleihen zu kaufen? Denkt er daran, nur noch sehr kurzläufige Anleihen zu kaufen, während lang laufende Anleihen vielleicht sogar verkauft oder über ETFs geshortet werden? Egal wie er es bewerkstelligt: Die Marktverzerrung, die schon seit vielen Jahren als maximal bezeichnet wird, wird nochmals "maximaler". Was ist die Ursache des Problems? Japan kämpft bereits seit 1990, seit 26 Jahren, mit den niedrigen Zinsen. "Die verlorene Generation" heißt es in Japan inzwischen schon. Vor einigen Jahren war die Diagnose klar: Japan sei zu reformscheu, hieß es. Heute wird die Bevölkerungsentwicklung als Begründung angeführt: Überalterung, die dazu führt, dass die arbeitende Bevölkerung die Renten von immer mehr Menschen tragen muss. So sei Wachstum nicht möglich, heißt es. Wir können aber Deutschland als Gegenbeispiel anführen: Auch unsere Bevölkerungsstruktur leidet an Überalterung. Dennoch wächst Deutschland nach wie vor recht robust. Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass Deutschland inzwischen 50% seines BIPs über Exporte erwirtschaftet. Also wächst Deutschland nur aufgrund des Wachstums anderer Länder? Nein, das würde ich so nicht sagen. Zum einen ist auch Japan ein Exportland, daher greift diese Erklärung nicht. Zum anderen haben wir mit der Agenda 2010 frühzeitig einschneidende Änderungen in unserer Struktur vorgenommen. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie es fast unmöglich war, in Deutschland Lohnerhöhungen durchzusetzen, während in vielen anderen europäischen Ländern privater Wohlstand ausbrach. Womit wir beim großen, eigentlichen Problem sind: Strukturreformen. Selten zuvor habe ich einen Wandel in der Gesellschaft gesehen, der so tiefgreifend unseren Alltag umwirft. Der Heimarbeitsplatz wird salonfähig, die jüngere Generation arbeitet verstärkt in Projekten und nicht mehr für feste Arbeitgeber. Kollege Computer übernimmt inzwischen nicht mehr nur niedere Tätigkeiten, sondern immer mehr Managementaufgaben. Klar, die Entscheidung trifft das Management noch selbst, aber die dafür notwendige Informationsgrundlage wird heute durch Software viel besser vorbereitet, als dies durch Manager der zweiten Reihe geschehen kann. Gefragt ist also die Politik, die unsere Gesellschaft auf diese Änderungen umgestalten muss. Doch statt mutiger Entscheidungen sehe ich derzeit bei den meisten Politikern ein überbordendes Besitzstandsdenken. Vorhandene Industrien werden gestützt, Lobbyismus ist einflussreicher denn je. Wir bauen also einmal mehr auf die Notenbanken, die unsere Entwicklungsprobleme lösen soll. Viele Instrumente haben die Notenbanken nicht mehr. Entscheidungen wie die der Fed in dieser Woche, den Leitzins erneut nicht anzuheben, untergraben langsam aber sicher die Glaubwürdigkeit in die Notenbanken und damit auch das Vertrauen. Unser Geldsystem ist jedoch auf Vertrauen aufgebaut, daher kann diese Entwicklung nicht ewig so weitergehen. Wie lange also noch? Och, das ist eine andere Geschichte. Niemand kann vorhersagen, wann das Vertrauen dann schwindet. das kann noch Monate, Jahre oder auch Jahrzehnte dauern. Die Notenbankpolitik wird schon seit Jahrzehnten mit guten Argumenten in Frage gestellt, aber passiert ist noch nichts. Ich setze also auf die Notenbanken, bis ich eines besseren belehrt werde. Was heißt es nun, auf die Notenbanken zu setzen? Nun, ganz einfach: der langfristige Zins wird steigen, dadurch werden Dividendentitel weniger attraktiv sein. Dividendenaktien werden also verkauft, stattdessen dürften Wachstumsaktien eine verstärkte Nachfrage erfahren. Ich habe gestern eine neue Wachstumsaktie in unser Portfolio geholt. Die Notenbankpolitik verläuft auf des Messers Schneide und entsprechend gefährlich sind Investments in den Aktienmarkt. Es ist weiterhin ratsam, eine ordentliche Absicherung im Portfolio zu haben. Wir sind mit Gold und zwei ordentlich verzinsten Unternehmensanleihen gut aufgestellt. Sollte etwas schief laufen, dann verlieren diejenigen Aktien am meisten, die zuvor am stärksten gestiegen sind. Oder umgekehrt: Diejenigen Aktien verlieren am wenigsten, die zuvor schon schlecht gelaufen sind. Es lohnt sich also, Turnaround-Aktien zu suchen. Unternehmen, die in den vergangenen Monaten schon eine harte Rosskur durchlaufen haben und deren Aktie nicht mehr weiter fallen kann, wenn etwas Negatives passiert. Auch eine solche Aktie habe ich gestern in unser Portfolio geholt. Aktien also, die weitgehend unabhängig vom Zinsniveau und von den Rohstoffmärkten sind. Rohstoffmärkte? Mehr dazu nach der folgenden Tabelle. WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES INDIZES 22.09.2016 Woche Δ Dow Jones 18.404 1,1% DAX 10.674 2,3% Nikkei 16.807 2,5% Shanghai A 3.184 1,3% Euro/US-Dollar 1,12 -0,3% Euro/Yen 112,98 -1,5% 10-Jahres-US-Anleihe 1,63% -0,07 Umlaufrendite Dt -0,19% -0,07 Feinunze Gold $1.338 1,8% Fass Brent Öl $47,45 1,6% Kupfer 2.157 -0,2% Baltic Dry Shipping 937 22,6% Die weiterhin lockere Geldpolitik zeigt ihre Wirkung: Sämtliche Indizes sind diese Woche kräftig angesprungen. Dabei zeigt der Euro gegenüber US-Dollar (0,3%) sowie Yen (1,5%) Stärke. ein starker Euro lastet in der Regel auf dem Exportindex DAX, doch diesmal machte die Euro-Stärke dem DAX nichts aus. Die langfristigen Zinsen sind sowohl in den USA als auch in Deutschland nochmals gesunken, die Nachfrage nach lang laufenden Anleihen stieg nach der Fed-Entscheidung deutlich an. Eine Verlängerung der Nullzinspolitik treibt Anleger wieder in Anleihen. Der von mir oben beschriebene in Japan beabsichtigte Effekt, den langfristigen Zins anzuheben, ist in dieser Reaktion noch nicht enthalten ... so weit haben Anleger bislang nicht gedacht. Das Öl ist wieder um 1,6% angestiegen. Zum Wochenbeginn wurden die Gerüchte weiter angeheizt, eine Einigung der OPEC auf niedrigere Ölfördermengen sei in Sicht. Das Treffen an diesem Wochenende in Algerien wird sogar auch von den Russen besucht. Venezuela hat sich klar geäußert, das man alles tun werde, um den Ölpreis nach oben zu bringen. Der Iran nimmt an der Versammlung teil. Was will ein Gerücht mehr? Unterm' Strich werden wir meiner Einschätzung nach am Montag hören, dass man sich doch nicht einigen konnte. Denn, wenn irgendein Land der Welt seine Ölförderung drosselt und der Ölpreis ansteigen sollte, wird in den USA ein Bohrloch aufgemacht, um das zu kompensieren. Fracking und Seitwärts-Bohrungen sind bei einem Ölpreis über 40 USD/Fass profitabel, entsprechend kann der Ölpreis natürlich kurzfristig immer wieder mal nach oben getrieben werden, doch langfristig dürfte es schwerlich über 50 USD/Fass gehen. So unberechenbar der Ölpreis auch sein mag, so wichtig ist er als Grundlage für den Einkauf vieler Unternehmen der Welt - nicht zuletzt auch der Deutschen Lufthansa, wie in der Wunschanalyse in Kapitel 05 ausgeführt. Ich habe in den vergangenen zwei Jahren oft genug falsch gelegen mit meinen kurzfristigen Ölpreisprognosen. Entsprechend wäre es unsinnig, Aktienspekulationen einzugehen, die am Ölpreis hängen. Und was für den Ölpreis gilt, stimmt für viele andere Rohstoffe derzeit ebenfalls. Daher meine Aussage: ich suche Aktien, die unabhängig vom Zinsniveau und vom Rohstoffmarkt sind. Der Baltic Dry Verschiffungsindex ist diese Woche weiter angesprungen, diesmal um 22,6%! Auf der einen Seite spricht das natürlich immer für eine gesunde chinesische Wirtschaft. Doch ein so heftiger Preisanstieg ist noch immer auf die Pleite der südkoreanischen Reederei Hanjin zu schieben. | ||
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis) | ||
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