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In den USA wurde gestern Thanksgiving gefeiert, das größte überkonfessionelle Fest, zu dem die Geschäftswelt innehält und jeder, ob Moslem, Jude oder Christ, bei seiner Familie feiert. Die Ruhe von drüben strahl nach Europa aus. Unsere Finanzmärkte segeln gestern und heute moderat vor sich hin. Zeit, um die Börse aus einem etwas höheren Blickwinkel zu betrachten.
Die Jahrhunderthausse zur Jahrtausendwende führte den DAX auf 8.000 Punkte. Die anschließende Baisse fand ihr Tief Anfang 2003 knapp über 2.000 Punkten. Es folgte der Immobilienwahn, der 2007 beim erneuten Erreichen der 8.000 Punkte in die große Finanzkrise mündete. Der DAX tauchte diesmal binnen eines Jahres auf 3,700 Punkte ab. Seit 2009 befinden wir uns nun in einer Hausse, die nur zweimal unterbrochen wurde: 2011 durch die EU-Schuldenkrise mit Griechenland, Portugal und Irland in den Hauptrollen. 2015 dann sorgten der Dieselskandal, China-Wachstumssorgen und ein erneutes Aufflammen der Griechenlandkrise für eine zweite Unterbrechung der Hausse. Beide Unterbrechungen führten den DAX um 22-23% unter sein vorhergehendes Hoch. Legen wir diesen Maßstab auf die aktuelle Korrektur an, so hat der DAX noch "Luft" nach unten bis 10.800 Punkte. Mit der Charttechnik kommen wir aktuell leider aber nicht sehr weit, denn neben der von mir genannten Marke bei 11.050 Punkten und den hier aufgezeigten 10.800 Punkten gibt es weitere, gut begründete Marken bei 10.500, bei 10.100 und dann sogar bei 8.900 Punkten. Der Ausverkauf entwickelt sich in Stufen über solche Marken, doch wann der Ausverkauf vorüber ist und eine nachhaltige Erholung einsetzt, das kann aus der Charttechnik nicht abgeleitet werden. Da müssen wir uns die geopolitischen Entwicklungen anschauen. Ich habe dazu zur Wochenmitte ein Update geschrieben, in dem ich einmal die Schwarzmalerei-Brille aufgesetzt habe und auflistete, was alles schief gehen könnte. Je tiefer die Märkte fallen, desto günstiger werden in der Regel die Aktien. "In der Regel", weil das nicht immer stimmt. Die Aktienmärkte fallen derzeit parallel zu sinkenden Zukunftserwartungen. Unternehmen werden auf Basis der erwarteten Gewinne bewertet und wenn die Gewinnerwartungen gesenkt werden, dann steigt die Bewertung. Die fallenden Aktienkurse sorgen also lediglich dafür, dass die Bewertung konstant bleibt. Wie tief werden die Erwartungen, und damit also auch die Kurse, noch fallen? Nun, die Gründe für die Erwartungssenkung liegen aktuell in der Konjunkturerwartung, und die wiederum wird maßgeblich von der Geopolitik beeinflusst. Sollten sich Trump und Xi auf einen Kompromiss einigen, dann sind die in den vergangenen Wochen gesenkten Erwartungen bereits viel zu niedrig für das, was wir 2019 erwarten dürfen. Kommt es hingegen zu keinem Kompromiss, dann könnten die konjunkturellen Auswirkungen noch immer nicht vollständig eingepreist sein. Eine Korrektur entwickelt mit der Zeit eine eigene Dynamik, die sich selbst immer wieder verstärkt, weil in Schieflage geratene Spekulanten durch Zwangsliquidationen immer wieder den Druck auf die Aktienmärkte erhöhen. Ein Boden bildet sich immer dann, wenn es mehr Käufer als Verkäufer gibt. Aus dem hier aufgezeigten Betrachtungswinkel ist eine Umkehrung des Ungleichgewichts zugunsten der Käufer nicht allein durch das Erreichen einer charttechnischen Unterstützung möglich. Auch die fundamentale Bewertung spielt nur eine untergeordnete Rolle, wenn die von mir beschriebene, sich selbst verstärkende Abwärtsdynamik eingesetzt hat. Vielmehr braucht es meines Erachtens ein Ereignis, das diejenigen, die an der Seitenlinie abwarten, für Aktienkäufe motiviert. Hoffnung allein reicht inzwischen nicht mehr aus, wie wir in den vergangenen Tagen gesehen haben. Die Hoffnung auf einen Brexit-Deal ist zu wenig, Anleger wollen Gewissheit. Die Hoffnung auf einen Kompromiss zwischen China und den USA ist zu wenig, Anleger wollen auch hier Gewissheit. In diese Ungewissheit hinein droht noch eine Zinsanhebung der US-Notenbank im Dezember und das Auslaufen der Anleihenzukäufe der EZB Ende des Jahres. Ganz zu schweigen von der italienischen Starrköpfigkeit. Obwohl wir diesmal, anders als bei der Systemkrise 2008, Menschen ausmachen können, die für jede dieser Krise einen Kompromiss vereinbaren könnten, scheint die Politik starrköpfiger geworden zu sein, so dass ein solcher Kompromiss als sehr unwahrscheinlich angesehen wird. Schauen wir mal wie sich die wichtigsten Indizes im Wochenvergleich entwickelt haben. WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES INDIZES (22.11.2018) Woche Δ Σ '18 Δ Dow Jones 24.465 -3,3% -1,5% DAX 11.138 -1,9% -13,8% Nikkei 21.647 -0,7% -4,9% Shanghai A 2.770 -0,9% -20,0% Euro/US-Dollar 1,14 0,4% -4,9% Euro/Yen 128,87 -0,1% -4,5% 10-Jahres-US-Anleihe 3,06% -0,06 0,64 Umlaufrendite Dt 0,21% 0,01 -0,07 Feinunze Gold $1.227 1,0% -5,9% Fass Brent Öl $62,54 -6,4% -6,1% Kupfer 6.241 2,2% -12,8% Baltic Dry Shipping 1.018 -0,2% -25,5% Bitcoin 4.318 -22,4% -68,9% Sämtliche Aktienindizes sind nun auf Jahressicht im roten Bereich. Die Gewinne in Folge der Unternehmenssteuerreform wurden durch den Handelsstreit wieder ausradiert. In Deutschland belasten Brexit und Italien, so dass der DAX mit -13,8% ziemlich stark unter die Räder gekommen ist. Auch in China wird Geld von den Kapitalmärkten abgezogen, das Jahresminus dort beträgt 20%. Japan hat die Liquiditätsflutung zur Spitze getrieben und konnte dadurch das Minus auf 5% begrenzen. Das Kapital wird aus Europa abgezogen, entsprechend ist der Euro schwach und verlor gegenüber dem US-Dollar auf Jahressicht 5%. Während in den USA die Rendite langsam steigt (+0,6% seit Jahresanfang), verharrt das Zinsniveau in Deutschland nahe der Nulllinie (-0,1%). Das Gold hält sich stabil in dieser chaotischen Marktphase (+1%). Das Öl hingegen wird weiter ausverkauft (-6,4%). Der Bitcoin fällt ins Bodenlose. Mit -22,4% allein in dieser Woche erreicht der Bitcoin das niedrigste Niveau seit einem Jahr. Von seinem Hoch bei 20.000 USD ist die Kryptowährung nun 80% entfernt. Ich habe den Eindruck, dass viele Öl/ Gas-Spreadspekulanten auch im Bitcoin unterwegs waren und nun liquidieren müssen. | ||
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis) | ||
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