Beitrag gelesen: 1866 x |
||
2010 war überraschend - 2011 noch viel mehr!
Das Zinsrätsel ist zurück. Während sich die Anleger weltweit vor einer zu hohen Staatsverschuldung fürchten, kaufen sie den Staaten ihre neuen Schulden in Form von Anleihen ab. Paradox. Die Abstufung der USA hat nur kurzzeitig für Irritationen der Bondanleger gesorgt. Heute rentieren 10-jährige US-Staatsanleihen mit 1,94 % deutlich tiefer (!) als vor der Abstufung (2,65 %). 10-jährige deutsche Staatsanleihen rentieren heute auf dem tiefsten Stand aller Zeiten: 1,83 %! 2011 mit erneut riesiger Überraschung In meinem Rückblick auf 2010 zur Jahresprognose 2011 schrieb ich: Der deutliche Zinsrückgang in den großen Industrienationen gab den Anlegern weltweit Rätsel auf und wurde zur zentralen Überraschung des Jahres 2010. Kaum jemand konnte sich diese extrem tiefen Zinssätze erklären. Niemand sah diesen Zinsrutsch für 2010 voraus. Und deshalb gibt es auch keine vernünftigen Prognosen zur Zukunft der Zinsentwicklung. Für 2011 gingen erneut fast alle Banken und Privatanleger von einem recht deutlichen Zinsanstieg der 10-jährigen deutschen Bundesanleihen aus. Es kam - wie fast immer in den letzten Jahren - ganz anders. In der folgenden Grafik habe ich Ihnen die Ergebnisse unserer Umfrage vom Jahresanfang aufbereitet. Im Durchschnitt gingen die befragten Banken von einem Anstieg auf 3,24 % aus. Privatanleger sahen durchschnittlich sogar einen wesentlich deutlicheren Zinsanstieg auf 3,74 % voraus. Die Zwischenbilanz: Heute rentieren 10- jährige deutsche Bundesanleihen auf einem neuen Rekordtief von 1,83 %! Unsere Prognose war nicht optimistisch genug In unserer Jahresprognose für 2011 schrieben wir zur Zinsentwicklung: Wir gehen davon aus, dass die inflationären Tendenzen der sich weiter verbessernden Realwirtschaft in 2011 noch moderat sein werden. Die Kapazitätsauslastung in der Industrie hat noch längst keine kritischen Werte erreicht. Echter Inflationsdruck wird in diesem Umfeld – noch – nicht aufkommen. Die weiter verzweifelte Suche defensiver Anleger nach renditeträchtigeren Alternativen wird auch in 2011 die langen Laufzeiten stützen. Einen Anstieg bis an den rechten Rand der Prognosen von über 4 % halten wir nicht für wahrscheinlich. Wir gehen per Saldo von einem anhaltend niedrigen Niveau aus. Tatsächlich sind die Zinsen sogar noch einmal deutlich tiefer geworden. Die Zinsstrukturkurven sind zwar flacher geworden, das absolute Niveau ist aber deutlich gefallen. Umlaufrendite seit 1978 Das historische Ausmaß des jüngsten Renditerückgangs verdeutlicht der langfristige Kursverlauf der deutschen Umlaufrendite seit 1978. Mit 1,72 % wurde heute ein neues Rekordtief erreicht. Die Ursache dieser Entwicklung liegt in einer simplen Rechnung: Bei institutionellen Anlegern wie Pensionsfonds, Stiftungen oder Vermögensverwaltern, die ihren Anlegern laufende Erträge in einer bestimmten, vorher festgelegten Höhe erwirtschaften müssen, stellt sich allerdings die Frage nach der absoluten Höhe der Zinssätze gar nicht. Alternativen müssen her. Wenn eine Versicherung eine staatlich garantierte Mindestverzinsung einfahren muss, kommt hier die simple Finanzmathematik zum Tragen: Es muss ein Durchschnittszinssatz aller Anlagen und Laufzeiten erzielt werden, der über dem Garantiezins liegt. Dies führt zu einer verstärkten Nachfrage nach niedrig verzinslichen Langläufern. Als Beispiel: Ein Pensionsfonds möchte ein Anleihendepot im festverzinslichen Bereich mit Laufzeiten von zwei, fünf und zehn Jahren strukturieren. Als Mindestrendite auf das Gesamtvolumen sind zwei Prozent per anno als Vorgabe zu erzielen. Da jedoch die Zinssätze der zwei- und fünfjährigen Anleihen derzeit deutlich unter zwei Prozent notieren, ist eine starke Beimischung langfristiger, mindestens zehnjähriger Anleihen unbedingt erforderlich. Eine vordergründig paradoxe Situation entsteht: Je tiefer das langfristige Zinsniveau fällt, desto höher muss der Anteil an langfristigen Anleihen im Depot gewählt werden, um die angestrebte Gesamtverzinsung überhaupt erreichen zu können. Durch den Rückgang der Renditen - selbst im Bereich der zehnjährigen Laufzeiten unter 2 % - ist es in diesem Beispiel jetzt sogar erforderlich, Anleihen mit noch längerer Restlaufzeit verstärkt zu kaufen. In der Volkswirtschaftslehre ist diese „Aushebelung“ des normalen Verhältnisses von Angebot und Nachfrage auch als das „Giffen-Paradoxon“ bekannt: Trotz hoher – und ständig weiter steigender Preise der zehnjährigen Anleihen wird die Nachfrage in diesem Beispiel mit steigenden Preisen immer höher. Fazit Der starke Zinsrückgang in den westlichen Industrienationen ist eine der zentralen Überraschungen des Jahres 2011. Die große Mehrheit der Banken und Privatanleger ging von einem Zinsanstieg aus. Für langfristig orientierte Investoren, die auf laufende Erträge angewiesen sind, hat diese Situation den Anlagenotstand erneut verschärft. Dividendenstarke Aktien werden in den nächsten Jahren zunehmend wichtiger, um laufende Erträge erzielen zu können. Obwohl die globalen Aktienmärkte auch heute wieder in Turbulenzen sind, die simple Mathematik wird sich durchsetzen! | ||
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Thomas Grüner die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis) | ||
|