Alt 30.10.11, 15:55
Standard So tickt die Börse: Euroland wird leben
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Möchten Sie, dass ich Ihnen heute eine intellektuell anspruchsvolle Ausarbeitung über all die möglichen Probleme, die von den gefundenen Lösungen in den nächsten zehn Jahren aufgeworfen werden könnten, präsentiere? Da könnte ich Bücher drüber schreiben! Geld würde dafür aber niemand zahlen. Oder sollen wir nicht lieber zur Kenntnis nehmen, dass die Welt heute eine bessere ist als gestern und der DAX daher richtigerweise 5% angesprungen ist?

Man klingt so unglaublich intelligent, wenn man die EU-Resolution in Minutenschnelle als faulen Kompromiss entlarvt. Ihrem Gesprächspartner steckt noch der Schrecken des August/September-Crashs in den Knochen und jede Erklärung, warum die Welt so schlecht ist, und insbesondere warum jeder Rettungsversuch scheitern muss, wird wissbegierig mit Nicken bestätigt.

„Die Banken werden sich niemals das notwendige Kernkapital beschaffen können“, „Frankreich wird als nächstes sein Tripple-A-rating verlieren, weil man den Banken unter die Arme greifen muss“, „Nach Athen wird man sich nun auf Rom stürzen“ – und tatsächlich hat CNBC bereits ihren Starreporter von Athen nach Rom versetzt. „Eine Hebelung des EFSF vergrößert nur die Probleme“ und „ein Schuldenschnitt für Griechenland motiviert die anderen Club-Med Länder zur Nachahmung“,... all das ist richtig, aber der DAX ist dennoch in dieser Woche um 10% gestiegen! Ich kann mich nicht erinnern, jemals einen solchen Kursanstieg binnen einer Woche gesehen zu haben.

Noch am Dienstag schockte die Meldung, dass Berlusconi kein Sparprogramm nach Brüssel liefern könne, die Finanzmärkte. Ich würde sagen, die EU-Lösung hing zu diesem Zeitpunkt an einem seidenen Faden. Und jeder Hedgefonds dieser Welt MUSSTE vor dem EU-Sondergipfel short gehen, denn genau dafür sind Hedgefonds da: Sie sollen die dicken Aktiendepots der Reichen gegen plötzliche Katastrophen absichern. Ein Hedgefonds, der long in den EU-Sondergipfel gelaufen wäre, hätte am Donnerstag seine Pforten schließen müssen, wenn die Verhandlungen gescheitert wären. Es war doch so absehbar, dass die 17 Nationalstaaten nicht mit einer Stimme sprechen würden, oder? Das hatte sich doch in den vergangenen Monaten bereits mehrfach bewahrheitet und Berlusconi gab noch die letzte Gewissheit, dass sich mindestens ein verstrahlter Lokalpatriot Extravaganzen leisten wird, oder?

Niemand widersprach dieser Argumentation, und so ist es heute ein Leichtes für Hedgefonds, die EU-Resolution als faulen Kompromiss zu entlarven. Da die gesamte Branche falsch lag, ist heftig bestätigendes Nicken vorprogrammiert, wenn man warnend den Zeigefinger hebt und auf Italien als nächstes Opfer zeigt.

Aber das wichtigste: Dank des Verständnisses der Branche muss kein Hedgefonds schließen, obwohl er dicke Verluste einfährt. Wer hingegen vor dem EU-Sondergipfel long ging, der riskierte nicht nur seinen Job sondern die Existenz seiner Firma.

Erwarten Sie also nicht, dass die Finanzbranche nun die gefundenen Lösungen loben wird. Man wird auf den enthaltenen Problemen, auf den verbleibenden offenen Punkten herumreiten, bis der DAX bei 6.800 Punkten steht. Und man wird Recht haben, denn die Situation ist ernst, und eine schöne Lösung für alle Probleme gibt es nicht. Aber diese Schwarzmalerei wird viele Privatanleger wieder einmal verunsichern und aus den Märkten fernhalten während institutionelle Anleger kaufen, was sie kriegen können.

Denn egal, ob die gefundenen Lösungen nachhaltig sind oder nicht, der DAX steht heute 10% höher als noch vor einer Woche und short positionierte Hedgefonds, die seit der Rettung von Dexia vor vier Wochen ihren Kunden 20% Kursverlust präsentieren müssen, werden nun nicht mehr angehört von ihren Kunden, wenn sie weiter auf den Untergang Europas setzen.

Sie müssen unterscheiden mit wem institutionelle Anleger sprechen. In den Medien kann man so ziemlich alles ungestraft sagen, was man möchte. Kein Fernsehsender und keine Zeitung wird Sie dafür bestrafen, wenn Sie die Risiken des faulen Kompromisses in den Vordergrund kehren, denn es klingt ja ziemlich intelligent und befriedigt die Angst, die vielen Privatanlegern nach dem jüngsten Crash noch innewohnt.

Die Kunden dieses institutionellen Anlegers hören dem Geschwafel aber kaum zu. Sie schauen sich den Erfolg oder Misserfolg der vergangenen Wochen an und entscheiden dann, wohin sie ihr Geld transferieren. Sollte der Hedgefonds-Kunde gut gelaunt sein, dann fragt er noch, was der Hedgefonds-Manager für die nächsten Wochen erwartet und wie er sich darauf vorbereitet.

Na, und wer nun vier Wochen lang falsch gelegen hat, der kann nicht die gefundene EU-Lösung verteufeln. Denn der Pessimismus ist inzwischen schon teuer genug gewesen. Hier geht es nicht um die Befriedigung eines Angstgefühls wie in den Medien, sondern hier geht es ausschließlich um Performance.

Zum Ende Oktober werden die Statistiken der Fonds erstellt. Es wird den Kunden gezeigt, was man im Portfolio hat. Und da die gesamte Branche die EU-Resolution in dieser Form nicht erwartet hat, können Sie davon ausgehen, dass das gestrige Kursfeuerwerk noch bis zum Monatsende anhalten wird, damit die Long-Quote noch kräftig heraufgefahren werden kann.

Vier Tage vor Monatsende wendet sich das Blatt zum Guten und binnen vier Tagen muss nun das Portfolio vieler Hedgefonds umgekrempelt werden.

Schauen wir uns also noch einmal unsere Checkliste an:

10-PUNKTE-CHECKLISTE:
1. Panik: Ja, gestern gab es Kaufpanik.
2. Ferienende: ja, keine Änderung
3. Rekapitalisierung: Ja, 9% Kernkapitalquote sind beschlossen
4. Finanzmarktregulierung: unverändert international keine Übereinstimmung.
5. Schuldenproblem: Ja, 50% Schuldenschnitt für Griechenland. Weitere nationale Schritte sind unterwegs.
6. Goldpreiseinbruch: unverändert
7. Ölpreiseinbruch: nein, lässt noch immer auf sich warten
8. China lockert die Zügel: ich denke bald, denn Brasilien hat bereits begonnen (am 19.10. von 12% auf 11,5%) und Indiens Börse sprang an, als ob es sich um die letzte Anhebung handelte (am 25.10. von 8,25% auf 8,5%).
9. Dow Jones Einbruch: Hmmm, etwas...
10. Wachstumstitel führen den DAX an: Ja

Okay, der Ölpreis ist für meinen Geschmack nicht ausreichend eingebrochen. Vielleicht ist es aber ein Zeichen dafür, wie stark die Weltkonjunktur trotz der Probleme ist. Und der Goldpreis ist nicht eingebrochen. Vielleicht ist das ein Zeichen dafür, dass die Probleme eben nur vorübergehend gelöst sind. Aber immerhin.

Und genau das ist der Unterschied nach der EU-Resolution vom Mittwoch: Wer bislang nur sah, was alles schief gehen kann, der sieht nun aufgrund der Einigung der 17 EU-Länder plötzlich, was alles richtig laufen könnte.

Was also, wenn Euroland auch die noch offenen Probleme in den nächsten Wochen lösen kann? Was, wenn die Banken ausreichend Kapital auftreiben können, hie und da von ihren Regierungen unterstützt werden und schlimmstenfalls Frankreich sein AAA-Rating verliert? Könnte es sein, dass es die Finanzmärkte nicht kümmert und sie trotzdem die Anleihen von Frankreich kaufen, wie sie es auch mit den Anleihen der USA tun?

Was wenn China zusagt, einige hundert Milliarden in den EFSF einzuzahlen? Die Chinesen profitieren von einem stabilen Europa, und mit einem Investment in den EFSF könnten sie doppelt profitieren: Zum einen durch einen verlässlichen Handelspartner Europa und zum anderen, wenn der Plan funktioniert, durch ordentliche Zinsen.

Schauen wir einmal, was die Indizes in dieser Woche gemacht haben:

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES

INDIZES (29.09.2011) | DIFF

Dow Jones: 12.209 | 5,8%
DAX: 6.338 | 9,9%
Nikkei: 9.050 | 4,3%
Euro/US-Dollar: 1,416 | 3,0%
Euro/Yen: 107,3995 | 1,9%
10-Jahres-US-Anleihe: 2,40% | 0,2
Umlaufrendite Dt: 1,85% | 0,0
Feinunze Gold USD: $1.738,65 | 6,9%
Fass Brent Öl USD: $111,68 | 1,6%
Kupfer in US$/to: 8.035 | 15,9%
Baltic Dry Shipping I: 2.091 | -3,2%



Kupfer +15,9%! Sieht das nach Rezession aus? Sieht das nach einem Kollaps in Europa aus? Oder einem Hard Landing in China, dem Importeur von 30% der weltweiten Kupferexporte?

Schauen wir einmal, was die Stimmung unter den Anlegern macht:

SENTIMENTDATEN

Kaufen / Verkaufen
14.10.- 21.10. (1.374): 53% / 10%
21.10.- 28.10. (768): 52% / 10%

Kaufempfehlungen der Analysten
SAP, BG Group, BP

Verkaufsempfehlungen der Analysten
Peugeot, Nobel Biocare, Clariant

Privatanleger
41. KW: 49% Bullen (241 Stimmen)
42. KW: 58% Bullen (189 Stimmen)
43. KW: 69% Bullen (174 Stimmen)

Kaufempfehlungen der Privatanleger
Olympus, Safran, Bank of Ireland

Verkaufsempfehlungen der Privatanleger
Q-Cells, Praktiker, Deutsche Bank


Die Sentiment-Daten wurden in Zusammenarbeit mit Sharewise erstellt: http://www.sharewise.com?heibel

Das Bullenlager unter den Privatanlegern ist in die Höhe gesprungen. Analysten halten sich noch zurück, werden aber in den nächsten Wochen nicht umhin kommen, ihre beobachteten Titel aufzuwerten.

Wie weit wird uns die Rallye wohl tragen? Lohnt es noch, auf den angefahrenen Zug aufzuspringen oder werden die Spekulanten schon bald Rom ins Visier nehmen und für den nächsten Ausverkauf sorgen?
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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