Alt 29.07.11, 18:10
Standard So tickt die Börse: US Tea Party riskiert Chaos
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Welcher Politiker riskiert sehenden Auges die Pleite des eigenen Landes und im Falle der USA damit auch Schockwellen, die das weltweite Wirtschaftssystem treffen würden? Wer hat ein Interesse an der Blockade der Anhebung der US-Schuldengrenze?

„Dumme Idealisten“ lautet die einfache Antwort. Doch so einfach ist das leider nicht.

Die Tea Party mit ihrer als nicht allzu intelligent geltenden Gallionsfigur Sarah Palin möchte hier ein Exempel statuieren: „Mit der fortgesetzten Neuverschuldung kann es so nicht mehr weitergehen!“

„Ja, nur noch dieses eine Mal...“ erwidern die anderen Politiker, die wie Präsident Obama zumindest die Kuh vom Eis bringen wollen.

Dieses Spielchen sind viele Bürger inzwischen leid. Wir haben dies in Europa mit Griechenland erlebt: Immer wurde das Land dieses eine Mal noch schnell eben ausnahmsweise gerettet. Geändert hat sich nicht viel.

Wir erleben das auch in der Energiepolitik: „Ja, der Umstieg auf regenerative Energien wird mit aller Kraft vorangetrieben. Wir brauchen übergangsweise nur noch eben ein letztes Mal diese wenigen Kohlekraftwerke, um den Übergang zu bewerkstelligen“.

Ja, Elektroautos sind toll. Wir bauen eine bundesweite Infrastruktur auf. Doch übergangsweise wollen wir noch ein wenig auf Benziner und Diesel bauen, die wir auch schön brav immer sparsamer machen.

Die Politik muss das Machbare mit dem Sinnvollen abwägen. Der Wähler hat jedoch immer weniger den Eindruck, dass die Machbarkeit an der eigenen Leistungsfähigkeit gemessen wird. Vielmehr gilt das als machbar, was gegen Interessenverbände gerade noch durchgesetzt werden kann.

Das Volk möchte beherztere Wechsel. Das Volk fühlt sich meines Erachtens in der Lage, weitaus schwerere Lasten zu tragen. Doch leider wird das von der Politik nicht gewürdigt. Und so kommt es zur Bildung von Extrempositionen, die Tea Party in den USA ist in meinen Augen Ausdruck der Unzufriedenheit mit den vielen politischen Kompromissen.

Radikalisierung ist das Schlagwort, was einem nun einfällt. Und anders kann man die Position der Tea Party im US-Schuldenstreit nicht beschreiben. Die Tea Party möchte jetzt und hier die Staatsfinanzen der USA in den Griff bekommen. Keine Neuverschuldung, ein Gesetz über einen stets ausgeglichenen Haushalt soll her.

Mit Obama haben die USA einen weit links stehenden demokratischen Präsidenten. Er beschäftigt die Republikaner mit Auseinandersetzungen um Sozialpolitik und um Konjunkturprogramme, so dass den ultra-konservativen Republikanern das eigene Ziel der freien Marktwirtschaft aus dem Auge zu gleiten droht. Genug Raum für eine radikalisierende Bewegung wie die Tea Party.

Ich hätte vor einigen Wochen nicht gedacht, wie mächtig die Anhänger der Tea Party inzwischen geworden sind. Sie fahren eine harte Linie und riskieren damit, die US-Wirtschaft nachhaltig zu schädigen. Gelingt es ihnen, den Demokraten noch das eine oder andere Zugeständnis vor dem 2. August abzuringen, so sind sie die Helden. Kommt es jedoch zu keiner Einigung, so sind sie die Buh-Männer, die das Land in ein wirtschaftliches Chaos gestürzt haben.

Wie gesagt: Vor einigen Wochen habe ich fest an eine Lösung für dieses Problem geglaubt. Heute muss ich diese Überzeugung ändern: Ich habe keine Ahnung, wie dieser Krimi ausgeht.

An den Börsen mag man diese Auseinandersetzung nicht. Sie wissen: Nichts ist schlimmer als die Ungewissheit. Mit schlimmen Ergebnissen kann die Finanzmathematik kalkulieren, bei Ungewissheiten wird es schwer. Entsprechend sind die Aktienindizes in der abgelaufenen Woche überwiegend gen Süden gelaufen.


WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES

INDIZES (28.07.2011)

Dow Jones: 12.240 | -3,8%
DAX: 7.190 | -1,4%
Nikkei: 9.833 | -3,0%
Euro/US-Dollar: 1,428 | -0,9%
Euro/Yen: 110,707 | -2,3%
10-Jahres-US-Anleihe: 2,95% | -0,1
Umlaufrendite Dt: 2,42% | -0,1
Feinunze Gold USD: $1.615,13 | 1,7%
Fass Crude Öl USD: $97,16 | -2,4%
Kupfer in US$/to: 9.744 | 0,2%
Baltic Dry Shipping I: 1.278 | -3,5%


Der erwartete Anstieg der Umlaufrendite blieb aus. Nach der Lösung für die Griechenlandkrise hätte ich erwartet, dass Anleger ihr Kapital wieder breiter über Europa streuen und nicht alles in Bundesanleihen packen. Doch offensichtlich gibt es weiterhin eine große Nachfrage nach Bundesanleihen. Vielleicht sind das Anleger, die früher in US-Staatspapiere investierten, die vor dem Hintergrund der US-Schuldenproblematik lieber auf die solide Haushaltspolitik der Frau Merkel setzen.


SENTIMENTDATEN

Analysten
Empfehlungen (Anzahl Empfehlungen): Kaufen / Verkaufen
08.07.- 15.07. (375): 55% / 10%
15.07.- 22.07. (551): 55% / 9%
22.07.- 29.07. (568): 59% / 9%

Kaufempfehlungen der Analysten
SAP, Leoni, Daimler

Verkaufempfehlungen der Analysten
Beiersdorf, ARM Holding, Pfleiderer

Privatanleger
28. KW: 68% Bullen (150 Stimmen)
29. KW: 61% Bullen (193 Stimmen)
30. KW: 60% Bullen (169 Stimmen)

Kaufempfehlungen der Privatanleger
Vallourec, Commerzbank, Sino Forest

Verkaufempfehlungen der Privatanleger
Conergy, Tepco, Washington Mutual


Die Sentiment-Daten wurden in Zusammenarbeit mit Sharewise erstellt: http://www.sharewise.com?heibel


GEDANKEN ZUR ENERGIEPOLITIK & BIO-NAHRUNG

Am Montag dieser Woche hatte Ihr Autor die Gelegenheit, mit Alfred Platow, dem Vorstandsvorsitzenden der versiko AG zu sprechen. Die versiko AG erreicht nicht die 100 Mio. Euro Marktkapitalisierung, die für eine Besprechung hier im Heibel-Ticker notwendig sind. Daher werde ich nicht auf die Aktie des Unternehmens eingehen. Doch das Gespräch war so interessant, dass ich Ihnen einige Erkenntnisse daraus gerne weitergeben möchte. Bitte beachten Sie: Es handelt sich um meine Erkenntnisse, nicht um die offizielle Meinung von H. Platow. Er hat Ihren Autor mit seinen Anregungen zum Nachdenken gebracht und was hier steht ist das Ergebnis davon :-)

Das offizielle Interview können Sie hier nachlesen. Darüber hinaus haben wir jedoch auch über einige Themen gesprochen, die nicht direkt mit dem Unternehmen zu tun haben, die jedoch von Interesse sind und in denen sich der Mitbegründer des 1975 gegründeten Unternehmens Alfred Platow auskannte.

Sie kennen meine Kritik am Finanzsystem. Die Gier nach dem schnellen Profit versperrt die Sicht auf die Tragfähigkeit des Geschäfts. Im Umkehrschluss könnte man meinen, dass ein moralisch und ethisch einwandfrei handelnder Anleger kaum eine Rendite erzielen kann. Doch das muss nicht so sein. Selbst der Lenker des idealistisch agierenden Unternehmens versiko zeigt Verständnis für das Abwägen des Machbaren. Während sein Unternehmen nur moralisch und ethisch einwandfreie Investitionen tätigt, es ist eben das Markenzeichen des Unternehmens, so verurteilt Alfred Platow aber nicht jeden Investor, der eine lukrative Chance wahrnimmt ohne zuvor die angesprochenen moralischen Aspekte zu untersuchen.

Wir leben in einer Marktwirtschaft, und da muss jeder so viel Idealismus im täglichen Leben zulassen, wie er sich leisten will. Schließlich steht es jedem Anleger frei, einen erzielten Gewinn anschließend für eine Organisation zu spenden, die gegen ein etwaiges Fehlverhalten des Unternehmens, mit dem man soeben Gewinne erzielt hat, vorgeht. Das ist zumindest die Auffassung Ihres Autors und H. Platow zeigte sich durchaus verständlich für diese Haltung.

Sein Verständnis schwand jedoch beim Thema Energiepolitik unserer Regierung. Hier ist Alfred Platow der Überzeugung, dass ein wesentlich schnellerer Ausstieg aus den regenerativen Energiequellen heute schon möglich wäre. Der Strompreis müsste dazu allerdings auf das Dreifache steigen, der Benzinpreis an der Tankstelle auf 3 Euro/Liter und der Dieselpreis auf 2,50 Euro/Liter. Mit anderen Worten: Saubere Energien sind heute schon möglich, wir wollen (können?) es uns aber nicht leisten.

Wollen oder können? Das Wahlpublikum wäre Umfragen zufolge klar zu Einschränkungen bereit. Das Bewusstsein für nachhaltig tragfähige Lösungen ist in der Bevölkerung vorhanden. Die Umsetzung scheitert einmal mehr am kurzfristigen Denken der Politik. Mit meinen Worten: Ich glaube, Steuererhöhungen und weitere Einschnitte wären ohne Weiteres möglich, wenn diese im direkten, nachvollziehbaren Zusammenhang mit der Umstellung unserer Energiewirtschaft hin zu einem umweltfreundlicheren System stehen würden.

Hat irgendjemand von Ihnen schon einmal einen Beschwerdebrief zum EEG-Gesetz geschrieben? Sie zahlen mit Ihrer Stromrechnung direkt die Subventionen für regenerative Energien. Und alle die ich kenne zahlen diesen Obolus gerne. Die Kritik am EEG geht derzeit ausschließlich in die Richtung, dass die Subventionen nicht in Deutschland, sondern immer mehr in China ankommen. Niemand beschwert sich über den Sinn oder die Höhe.

In diesem Zusammenhang gibt es ein weiteres Thema, das Ihr Autor seit Jahren verfolgt aber bis heute nicht für Sie als Anleger zufriedenstellend aufarbeiten konnte: Bio-Nahrungsmittel. Ich bin mir sicher, dass ein Unternehmen, das sich auf die Herstellung von Bio-Produkten spezialisiert, in Deutschland ein großer Erfolg wäre. Warum gibt es dieses Unternehmen noch nicht?

Nun, Alfred Platow wusste auch auf diese Frage eine Antwort: Der Deutsche geht gerne im kleinen Supermarkt um die Ecke einkaufen. Und dort gibt es bereits eine Ecke mit Bio-Produkten. Seit in Deutschland geregelt ist, wer den Begriff „Bio“ auf sein Produkt stempeln kann, sprießen die Bioprodukte aus den Regalen – egal ob Bananen aus Costa Rica, weil sie eben nicht eingeflogen sondern eingeschifft wurden (weniger Treibstoff!) oder handgefaltete Ravioli aus Italien. Die Nachfrage nach diesen Bio-Produkten kann leider lokal gar nicht befriedigt werden. Der Agrarmarkt ist in Deutschland noch nicht so weit.

Doch die Nachfrage ist da und so auch die Bereitschaft, deutlich tiefer in die Tasche zu greifen, wenn nur der „Bio-Stempel“ aufgedrückt wurde. Ein Supermarkt verdient mit 10% seiner Produkte 30% seines Gewinns, sagt Alfred Platow. Kein Supermarkt wird die Bio-Welle an sich vorbei rollen lassen. So werden pure Bioläden, wie sie ebenfalls bereits vielfach zu finden sind, ein Nischendasein fristen. Der Bio-Bedarf wird in den herkömmlichen Supermärkten gedeckt.

Soweit ein paar Gedanken zum Gespräch mit einem Umwelt-Pionier. Die Richtung ist klar. Doch auf dem Weg gibt es viele Stolpersteine (zu geringe Auflagen für Bio-Stempel, zu mächtige Interessenvertreter der alten Energien, zu wenige lukrative und gleichzeitig moralisch einwandfreie Investmentmöglichkeiten, ...), die wir geduldig aus dem Weg rollen müssen.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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