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Vier Ereignisse gab es diese Woche, wovon jedes einzelne die Märkte hätte erschüttern können. Doch im Kerzenschein der Vorweihnachtszeit werden die meisten Entwicklungen als positiv betrachtet. Schauen wir uns die Ereignisse im Einzelnen mal an:
US-NOTENBANKCHEF JAY POWELL GESTEHT FEHLER EIN Zunächst hat US-Notenbankchef Jay Powell am Mittwoch bekannt gegeben, dass der US-Zins auf dem aktuellen Niveau zwischen 1,5% und 1,75% unverändert belassen wird. Er ließ sich sogar zu einer Aussagen hinreißen, mit der die Angst vor gegebenenfalls steigenden Zinsen ausgetrieben wurde: Bis zu den US-Präsidentschaftswahlen sehe er nach heutigem Stand und natürlich sofern sich nichts grundlegend ändert, keinen Bedarf, an der Zinsschraube zu drehen. Und trotz der rekordniedrigen Arbeitslosigkeit in den USA (Vollbeschäftigung!), was für die US-Notenbank neben der Preisstabilität das zweite offizielle Ziel ist, sehe er keinen Grund, den Zins anzuheben. Mehr noch, er gab zu, dass er von der niedrigen Inflationsrate "überrascht" worden sei. Der Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Inflationsrate sei wohl offensichtlich nicht mehr so gegeben, wie er es gelernt habe ... wenngleich seiner Ansicht nach sicher noch immer ein Zusammenhang bestehe. Spät, aber immerhin: Ich hatte seine letzte Zinserhöhung im Herbst 2018 zerrissen und wurde dafür von vielen Lesern zerrissen, wie ich einem so intelligenten Mann wie Powell widersprechen könne. Nun hat er sich - natürlich indirekt - für seinen Fehler entschuldigt. Unterm Strich bleibt also als Ergebnis von Ereignis Nummer 1: Die US-Notenbank wird im kommenden Jahr weiterhin eine lockere Geldpolitik fahren. Das ist gut für den Aktienmarkt. EZB-CHEFIN CHRISTINE LAGARDE STELLT WEICHEN FÜR LIQUIDITÄTSFLUTUNG Am gestrigen Donnerstag gab die neue EZB-Chefin Christine Lagarde ihre erste Pressekonferenz nach ihrer ersten EZB-Sitzung. Sie gab sich alle Mühe, es jedem recht zu machen: Falken wie auch Tauben. Im Laufe der Konferenz sagte sie sogar einmal wörtlich, sie sei weder Taube, noch Falke. Wenn man bei der Geldpolitik der Notenbanken von Vögeln spricht, vergleicht man eine friedvolle und konjunkturunterstützende lockere Geldpolitik mit dem Verhalten einer Friedenstaube. Muss jedoch die Inflation bekämpft werden, dies geschieht meist mit steigenden Zinsen, spricht man von Falken, die als Raubvögel von hoch oben in der Luft den armen kleinen Unternehmen die Liquidität wegfangen. Ich habe im Laufe der Jahre festgestellt, dass ich wohl eher zu den Falken gehöre, wenngleich ist zeitweilig auch meine Position ändere. Oft genug lagen Notenbanken schon falsch und entsprechend kritisiere ich durchaus auch mal ein in meinen Augen zu hohes Zinsniveau, wie zuletzt im Herbst in den USA - siehe oben. Doch grundsätzlich glaube ich, dass ein zu niedriges Zinsniveau über einen zu langen Zeitraum die natürliche Selektion einer Marktwirtschaft außer Kraft setzt und damit Unternehmen mit geringen oder keinen Wachstumsaussichten am Leben hält, die wiederum benötigte Arbeitskräfte für innovative und lukrative Unternehmen rar machen. Die inländische Wirtschaft wird international wettbewerbsfähiger, wenn Falken am Ruder sind. Daher hatte ich Lagardes Vorgänger Mario Draghi abfällig als Supermario bezeichnet, er war eine Taube. Und Christine Lagarde ist in meinen Augen - da kann sie von sich selbst behaupten, was sie will - auch eine Taube. Ich habe mir heute die eine Stunde Pressekonferenz auf englisch angeschaut, um auch zwischen den Zeilen zu lesen. Dabei ist mir Folgendes aufgefallen: Ich bin mit dem Ziel der Bundesbank aufgewachsen, die Inflation in Deutschland nahe, aber knapp unter 2% zu halten. Dieses Ziel wurde 2003 auch in die EZB übernommen. Außerdem sind wir hier in Deutschland immer stolz auf die Unabhängigkeit der Bundesbank von der Politik gewesen. Auch diese Unabhängigkeit wurde in die EZB übertragen und gilt seither als Garant für den Erfolg der Arbeit der EZB. Mario Draghi hatte in seinen letzten Tagen das Ziel "nahe bei, aber nicht über 2%" in Frage gestellt. Es sei nicht symmetrisch. Man solle überlegen, ob nach einer langen Phase mit niedriger Inflation nicht auch eine lange Phase mit höherer Inflation möglich sein sollte. Daraus würde folgen, dass wir in den kommenden 10 Jahren - denn solange ist der europäische Leitzins mit einer kurzen Ausnahme bereits unter 2% - eine Inflation von 2-4% für angemessen erachten würden. Völlig außer Acht gelassen wird meiner Ansicht nach bei dieser Überlegung, dass wir uns in einer Zeit befinden, wo Technologien starke Effizienzsteigerungen dahingehend ermöglichen, dass Produkte immer komplexer bei gleichem Preis, teilweise bei sinkendem Preis angeboten werden. Das Internet macht die Preise für Angebote vergleichbar. Das hat durch die Bank weg zu niedrigeren Preisen geführt, die sich anti-inflationär auswirken, nicht jedoch mit schrumpfender Nachfrage zu verwechseln sind. Die Frage, ob nicht ein niedrigeres Inflationsziel daher angemessen sein könnte, stellt sich Lagarde nicht. Im Gegenteil, sie hat nun einen strategischen Review des Inflationsziels angekündigt: Im Jahr 2020 werde die EZB gemeinsam mit wissenschaftlichen Institutionen dieses 16 Jahre alte Ziel neu überdenken. Und eine dritte Gruppe wird an dem Review beteiligt: Die Politik! Hatte ich nicht weiter oben noch behauptet, die EZB sei politisch unabhängig? Und nun kommt Lagarde und kündigt an, für den strategischen Review des Inflationsziels die Meinung von Politikern einzuholen. Deren Meinung kenne ich, das ist historisch belegt: Die Politik hat immer zu wenig Geld, um die Wahlversprechen einzulösen. Eine Notenbank, die mehr Geld zur Verfügung stellt, wird von der Politik umarmt werden. Ob sie versuche, die Inflation über 2% zu treiben, wurde Lagarde gefragt. Solange der strategische Review nicht beendet sei, halte sie sich an das bislang gültige Ziel von "nahe bei, aber nicht über 2%". Die Formulierung, die sie verwendete, hörte sich bei mir schon wie eine Gewissheit an, dass anschließend anders gehandelt wird. Ein Jahr unterwirft sie sich dem in ihren Augen antiquierten, oder sollte ich sagen, dem deutschen Ziel. Sie hat nun die Politik mobilisiert, um ihr für die Zeit danach mehr Möglichkeiten zu geben. Die Frage wie sie zu den in den vergangenen Jahren verwendeten "außergewöhnlichen" Instrumenten der EZB stehe, beantwortete Sie eindeutig: Die Instrumente sind nun da und werden nicht in Frage gestellt. Auf eine andere Frage hin stellte sie in Aussicht, dieses Instrumentarium im Rahmen des strategischen Reviews gegebenenfalls auch noch auszuweiten, wenn sich das als erforderlich herausstellen sollte. Ganz ehrlich: Ein Jens Weidmann als EZB-Präsident hätte als erste eine Kommission (ohne Politiker) eingesetzt, die sich um die Rückführung dieser außergewöhnlichen Instrumente kümmern würde. Ich stelle mich auf eine weiterhin (übertrieben) lockere Geldpolitik in Europa ein. Was fällt mir dazu ein? Nun, Gold, Immobilien und Aktien! BIG DEAL MIT CHINA Gestern Nachmittag traf sich Donald Trump mit seinem Wirtschafts- und Verhandlungsteam. Die Verhandlungen über eine Teileinigung mit China sind auf der Zielgeraden. Am Wochenende werden Zollerhöhungen auf chinesische Waren im Wert von 160 Mrd. USD pro Jahr angehoben, wenn es nicht zuvor noch zu einer Teileinigung kommt. Die Tweets von Trump hinsichtlich der Verhandlungen versetzen die Aktienmärkte von heute auf morgen in Euphorie, Panik, wieder Euphorie und wieder Panik usw. Ich habe nun erst einmal aufgehört, auf die Tweets zu reagieren, warten wir das Wochenende ab. Gestern Nachmittag twitterte der US-Präsident "SEHR nah an einem GROSSEN DEAL mit China. Sie wollen es und wir auch!" (auf englisch natürlich). Die Aktienmärkte, die zuvor leicht im Minus notierten, drehten in Folge diese Tweets binnen Sekunden ins Plus. Kurz zur Erinnerung: Anfang Oktober verkündete Trump, die Verhandlungen liefen gut und man sei einem Deal nah. Vor 10 Tagen stellte er sich dann vor die Kamera und beklagte sich über Nachforderungen Chinas und sagte, dass ein Deal vielleicht erst nach der Präsidentschaftswahl gemacht werden könne. Einen Tag später sagte er, die Verhandlungen liefen konstruktiv und gut. Und gestern nun fast schon die euphorische Ankündigung der Teileinigung. Und heute gibt es eine Reihe von Pressestellen die wissen wollen, dass Trump eine Teileinigung bereits unterzeichnet habe, die Unterhändler müssten lediglich noch die Formulierungen abstimmen. Demzufolge würden die Strafzölle an diesem Wochenende also NICHT erhöht werden. Zusätzlich wird spekuliert, dass Trump die bereits eingeführten Strafzölle um die Hälfte reduziere. Kein Wunder also, dass die Aktienmärkte heute Jahreshochs erreichen. GEREGELTER BREXIT Die Wahlen auf der Insel haben gestern einen klaren Sieg für Boris Johnson gebracht, einem geregelten Brexit zum Ende Januar steht damit nichts mehr im Weg. Endlich, sagen Anleger, und entsprechend werden DAX und der britische FTSE heute gleichermaßen um 1,5% nach oben gejubelt. Ja, auch der britische Aktienindex springt an. Politiker auf dem europäischen Kontinent haben dafür keine Erklärung, schaufelten sich die Briten nach ihrer Überzeugung doch ihr eigenes Grab. Bislang wurde die Wahl von vor zweieinhalb Jahren als Fehler oder Irreführung der Bevölkerung erklärt. Mit der gestrigen deutlichen Bestätigung des Austrittswillens ist die Argumentation der Politiker der vergangenen zweieinhalb Jahre als substanzlos entlarvt. Die Briten sehen sich seit jeher als bestens verdrahtet auf der ganzen Welt. Als Folge ihres Commonwealth Imperiums von vor einhundert Jahren wird überall auf der Welt Englisch gesprochen. Unzählige Länder verfügen über Rechtssysteme, die auf dem britischen System aufbauen. Und mit dem großen Bruder im Rücken, den USA, der den Briten im Falle eines Austritts bereits große Unterstützung zugesagt hat, feiern die Briten nun das Abwerfen der Brüsseler Ketten und blicken optimistisch in die Zukunft. Deutschland hat einen starken Verbündeten innerhalb der EU verloren, nun ist die Dominanz der spendierfreudigen Südländer erdrückend. Es ist an der Zeit, sich auf eine neue Zukunft einzustellen, statt der Vergangenheit hinterherzutrauern. In der neuen Zukunft wird es insbesondere ein Novum geben: Politik wird wichtiger, Wirtschaft tritt in den Hintergrund. Das deutsche "Erfolgsmodell" der sozialen Marktwirtschaft ist auf europäischer Ebene abgewählt. NORD STREAM 2 IST POLITIK, NICHT WIRTSCHAFT! So sieht das Projekt Nord Stream 2 durch die Brille der Politik ganz anders aus als durch die in Deutschland dominierende Wirtschaftsbrille. Natürlich bietet Russland günstiges Gas an, um seine eigenen Gas-Überschüsse zu Geld zu machen. In den USA wird seit Monaten der Großteil des anfallenden Gases einfach abgefackelt. Der Gaspreis stand 2005 und 2008 mal bei über 15 USD/mmBTU, heute sind es noch 2,25 USD. Ja, Gas ist eine günstige Möglichkeit, den Wirtschaftsstandort Deutschland mit einer stabilen Energieversorgung auszustatten. Aber am Beispiel Ukraine haben wir gesehen, wie Russland seine wirtschaftliche Macht in politischen Streitigkeiten einsetzen kann. Und wenn es darum geht, international auf politischer Ebene gegenzuhalten, ist Europa nicht handlungsfähig ... wir werden uns dann auf die USA verlassen. Und die haben an dieser Konstruktion natürlich kein Interesse. POLITIK Werfen wir also noch einen kurzen Blick auf die turbulenten Ereignisse der jüngeren Vergangenheit, und setzen dabei die Politikbrille auf: Der Handelsstreits mit China ist eine politisch notwendige Auseinandersetzung, um China an die Regeln der westlichen Welt heranzuführen (die Methoden von Donald Trump sind ein anderes Thema). Der Brexit ist ein notwendiger Schritt, um die Brüsseler Regulierungswut abzuschütteln. Eine Juristin und Politikerin an der Spitze der EZB (Christine Lagarde) ist ein notwendiger Schritt, um auf europäischer und nationaler Ebene politische Ziele zu finanzieren. Mit seinem Schuldeingeständnis unterwirft sich nun auch Jay Powell dem politischen Diktat der neuen Gesellschaftsordnung. Das Ausrufen des Klimanotstands für Europa - so sinnvoll diese Feststellung auch sein mag - ist ein Schritt hin zur Finanzierung politischer Ziele, hier also die Klimaneutralität Europas, ohne Rücksicht auf deren Wirtschaftlichkeit. Als Diplom Volkswirt habe ich natürlich meine Bedenken, wenn der Zweck die Mittel heiligt. Aber muss deswegen die Wirtschaft schon morgen kollabieren? Nein, nachdem unser bisheriges Wirtschaftssystem nun abgewählt wurde, dürfen wir uns auf ein Jahrzehnt der zunehmenden staatlichen Steuerung einstellen. Wie gesagt: Nicht beklagen, sondern darauf einstellen. Das gelingt wohl am besten mit Immobilien, Gold und ... Aktien. Allerdings ist bei Aktien in der neuen Gesellschaftsordnung darauf zu achten, dass die entsprechenden Unternehmen politische Ziele erfüllen: Die ESG-Prinzipien werden an Bedeutung gewinnen: environment, social, governance (Umwelt, Soziales, Unternehmensführung). Ich werde das bei künftigen Anlageentscheidungen berücksichtigen. Schauen wir und mal an, wie die wichtigsten Indizes auf die jüngsten Ereignisse im Wochenvergleich reagiert haben: WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES INDIZES (12.12.19) Woche Δ Σ '19 Δ Dow Jones 28.130 0,4% 22,0% DAX 13.283 0,9% 25,8% Nikkei 24.023 2,9% 20,0% Shanghai A 3.110 1,9% 19,1% Euro/US-Dollar 1,11 0,6% -2,8% Euro/Yen 121,58 1,2% -3,7% 10-Jahres-US-Anleihe 1,82% -0,01 -0,92 Umlaufrendite Dt -0,26% 0,06 -0,36 Feinunze Gold $1.475 1,0% 15,2% Fass Brent Öl $64,66 0,6% 23,8% Kupfer 6.082 4,7% 1,1% Baltic Dry Shipping 1.388 -11,9% 9,2% Bitcoin 7.216 -2,5% 84,0% Mit 215 Mrd. Euro möchte der japanische Premierminister Shinzo Abe das Wachstum seines Landes um 1,4% ankurbeln. Es ist ein gigantisches Konjunkturprogramm, das er vor einer Woche verabschiedete, der japanische Nikkei ist diese Woche um 2,9% angesprungen. Der DAX wurde von der Aussicht auf eine Einigung im Handelsstreit beflügelt, erhielt aber heute erst seinen größten Schub, nachdem der Ausgang der Wahlen auf der britischen Insel bekannt wurde. Das Wochenplus beträgt stolze 0,9%. China wird von einer Teillösung des Handelsstreits profitieren, so sprang der Shanghai A-Aktienindex um 1,9% an. Ja, auch die USA profitieren von einer Teileinigung, aber der Dow Jones ist bislang "nur" um 0,4% angestiegen. In den vergangenen Wochen hat sich in den USA die Überzeugung durchgesetzt, dass man auch ohne China gesund wachsen könne. Und eine weiterhin harte Haltung gegenüber China sei langfristig wohl besser, um Produktpiraterie, Cyberkriminalität und den Klau des geistigen Eigentums seitens Chinas einzudämmen. Sowohl Yen als auch der Euro sind gegenüber dem US-Dollar angesprungen. Auch hier zeigen sich Konjunkturprogramm und Brexit. So ist die Umlaufrendite in Deutschland wieder rückläufig (-0,01%punkte), während das Zinsniveau in den USA wieder ansteigt (+0,06%punkte). | ||
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis) | ||
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