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Von Anfang Januar bis Anfang März hat der DAX 3.440 Punkte abgegeben, 21%. Seither konnte der DAX 2.055 Punkte zulegen, 16%. Damit hat der DAX bereits mehr als die Hälfte seines zuvor erlittenen Kursverlustes ausgeglichen. Im S&P 500 hat eine ähnliche Entwicklung stattgefunden. In den vergangenen 100 Jahren gab es im S&P 500 genau 21 Fälle, in denen der Index 50% seines Crash-Verlustes ausgeglichen hat. In keinem einzigen Fall ist der S&P 500 anschließend nochmals auf tiefere Tiefs gefallen, in jedem Fall stand der Index 12 Monate später hier.
Wir wissen nicht, wie der Krieg in der Ukraine weiter verlaufen wird. Wir wissen nicht, ob die Meldungen über fehlende Ersatzteile in der russischen Armee, über eine schwindende Motivation der Soldaten, über einen falschinformierten Präsidenten Putin stimmen. Es erscheint mir jedoch gesichert, dass Putin nicht mit einem so vehementen, effektiven Widerstand der Ukraine gerechnet hat. Und es kann als positive Überraschung gewertet werden, dass der Westen einheitlich vorgeht und die Ukraine nach Kräften unterstützt. Putin ist weitgehend isoliert, nicht einmal China stärkt ihm den Rücken. Ist also mit einer Niederlage Putins zu rechnen? Natürlich hoffe ich das, aber ich weiß es nicht. Aus Börsensicht reichen die oben angeführten Entwicklungen jedoch bereits für steigende Kurse, wie wir sie in den vergangenen Wochen gesehen haben. Doch an der Börse neigt man zu Übertreibungen. Zum Jahreswechsel standen die Kurse in freudiger Erwartung eines Nach-Corona-Booms zu hoch, denn in China gibt es wieder Lockdowns und einen Ukraine-Krieg hatte man nicht als reale Gefahr betrachtet. In Folge des Überfalls der Ukraine durch Russland brachen die Kurse sehr stark ein, viel zu stark. Angst vor einem 3. Weltkrieg, Angst vor der Atombombe und Angst vor einer Ausweitung des Kriegs in Europa führten zu Panikverkäufen, mit denen der Crash übertrieben niedrige Kurse erzeugte. In Folge der Hoffnung auf ein schwaches Russland erholten sich die Kurse um mehr als die Hälfte. Seit gestern wiederum kommen wieder Zweifel auf, was die Kurse wieder gen Süden drückt. In diese wechselhaften Entwicklungen kommt nun das zweite Thema, das Zinsniveau. Es ist jedem bewusst, dass ein Großteil der Inflation durch hohe Energiepreise ausgelöst wird. Die westlichen Notenbanken versuchen durch eine straffere Geldpolitik die Inflation einzufangen, doch vor dem Hintergrund einer schwachen Wirtschaft haben die Notenbanken nicht viel Spielraum. Wenn sie sich zu sehr auf die Inflationseindämmung konzentrieren, droht die Konjunktur einzubrechen. Wenn also der Ölpreis steigt, gewinnt das Inflationsgespenst an Schrecken und verlieren die Notenbanken an Handlungsspielraum. Ein Teufelskreis. Geht der Ölpreis jedoch zurück, dann verschwindet das Inflationsgespenst von ganz alleine und die Notenbanken brauchen die Geldpolitik nur ein wenig zu straffen. Gleichzeitig deutet ein rückläufiger Ölpreis auf eine Konjunkturschwäche, was wiederum negativ von Anlegern aufgenommen wird. In der vergangenen Woche ist der Ölpreis von 122 USD/Fass Nordseeöl (Brent) auf 103 USD/Fass zurückgefallen. US-Präsident Joe Biden hat gestern bekannt gegeben, für sechs Monate täglich eine Million Tonnen Öl aus den strategischen Reserven des Landes in den Markt zu geben. In den USA herrscht gar keine Ölknappheit, dort gibt es mehr Öl als gebraucht wird. Das zusätzliche Öl aus der Staatsreserve soll den Export anfeuern, unter anderem natürlich auch nach Europa. Größter Anbieter von Flüssiggas aus den USA ist Cheniere Energy (LNG). Die Texaner verfügen über einige Flüssiggasterminals am Golf von Mexiko und können Flüssiggas nach Europa bringen. Tellurian baut gerade die entsprechende Infrastruktur auf und könnte ab 2026 nach Deutschland liefern. Da fällt mir ein, der Wirtschaftszweig Militär ist in den USA größer als in jedem anderen Land der Erde. Eilig wird nun Europa aufgerüstet, unsere Rüstungskonzerne sind für einen solchen Nachfrageboom gar nicht gerüstet - sorry, blödes Wortspiel. So werden nun 35 F-35 Kampfflieger von Lockheed Martin (LMT) gekauft. AeroVironment (AVAV) verkauft Switchblades. Die unbemannten Flugzeuge können im Rücksack transportiert werden, lassen sich mobil starten und können insbesondere die Abschussplätze der russischen Artillerie bombardieren. 100 Stück davon wurden Berichten zufolge in die Ukraine geliefert. Im alten Rom gab es den Spruch "cui bono", wem nutzt es? Nach diesem Prinzip wurden Verdächtige identifiziert. Wenngleich Putin über Jahre regelmäßig in seine Nachbarländer einmarschiert ist und auch den Einmarsch in die Ukraine ohne zwingende Notwendigkeit entschieden hat, sollten wir uns doch verstärkt eigene Gedanken über unsere Zukunft machen und nicht blind auf ewig der Energie- und Rüstungsindustrie der US-Amerikaner verschreiben. Die Globalisierung der vergangenen dreißig Jahre sei zu Ende gekommen, wird bereits berichtet. Ich würde das begrüßen. So sehr ich vor dreißig Jahren gegen die "Globalisierungsgegner" vorgegangen bin, so sehr sehe ich heute ein, dass die Globalisierung in vielen Bereichen zu weit getrieben wurde. Wirtschaftliche Verflechtungen um jeden Preis haben dazu geführt, dass autokratische Systeme mit unserem Geld menschenfeindliche System aufgebaut haben. Gleichzeitig hat der überzogene internationale Wettbewerb, ein wahrer Effizienzwahn, Pflegeberufe und viele andere systemrelevanten Tätigkeiten auf ein internationales Preisniveau gedrückt, dass die nationale, gesellschaftliche Wertschätzung dieser Tätigkeit in keiner Weise widerspiegelt. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach von einer Zeitenwende. Ja, ich habe den Eindruck, dass sich in den kommenden Jahren viel mehr ändern wird, als wir heute abschätzen können. Es werden viele Probleme aufgedeckt, doch in jedem Umbruch steckt die Chance, es besser zu machen, als es war. Ich werde künftig darauf achten, dass die Positionen in unserem Portfolio zu einem gewissen Anteil lokale Geschäftsmodell verfolgen. In den USA wurde der Leitzins durch die Notenbank bereits einmal angehoben. Das Anleihenkaufprogramm ist beendet, man befindet sich schon auf dem Rückweg zur Normalität. In Europa läuft das Anleihenkaufprogramm im Laufe des Jahres aus, derzeit spekuliert man über eine erste Zinsanhebung zum Jahresende. In Japan hingegen hat die Notenbank diese Woche bekannt gegeben, das Anleihenkaufprogramm auszuweiten auf eine maximale Summe von ... Moment, ich suche die Zahl ... nö, keine Zahl: Unbeschränkt! Die Bank of Japan kauf unlimitiert so viele Anleihen auf wie erforderlich, um den Zins in Japan bei 0% zu halten. Der Yen hat diese Woche gegenüber dem Euro 1% abgegeben. Wundert Sie das? Mal eine andere Sache: seit Mitte März sind die Zockeraktien wieder kräftig angestiegen. Der Global X Cannabis ETF (POTX)ist bspw. um 37% angesprungen. Der Biwise Crypto Industry Innovators ETF (BITQ) ist um 39% angesprungen. Der SPAC ETF Defiance Next Gen ETF (SPAK) sprang um immerhin 14% an. Der Renaissance IPO ETF (IPO) ist um 30% angestiegen. Den Vogel haben einmal mehr die beiden Feme-Aktien (Wallstreet Bets) abgeschossen: AMC Entertainment +100%, Gamestop +150%. Ich bin der Ansicht, dass die Märkte, die von diesen ETFs abgebildet werden, nichts für uns als Privatanleger sind. Sie dürfen ein wenig Zocken: Eine Position Ihres Portfolios, also mit maximal 2,5% Ihre Vermögens. Doch mit Investieren hat das wenig zu tun. Aber eins muss ich zugeben: Unterhaltsam ist das Ganze schon! Ich habe Adam Aron, Chairman und CEO von AMC Entertainment, dem weltgrößten Kinobetreiber, im Interview gesehen. Mit Hilfe vieler Kapitalerhöhungen hat er sein Unternehmen durch die Coronakrise manövriert. Das Besondere daran: Seine Aktie war nicht auf dem Weg in den Keller, wenn er frisches Kapital einsammelte, sondern schoss wie ein Start-Up nach oben. Der Grund dafür: Die Apes, wie sich die AMC-Aktionäre gerne nennen, die Menschenaffen waren begeistert von Adam Aron und gaben ihm das Geld, damit er was Gutes damit anstelle. Das hat Aron nun zu tun versucht: er kaufte einen Goldminenbetreiber, der kurz vor der Insolvenz stand. Die Apps, die mit ihrem Geld also die Kinos am Leben halten wollten, sind nun stolze Besitzer einer Goldmine, der das Geld ausgegangen ist. Weitere Kapitalerhöhungen wurden von Aron angekündigt, damit man ausreichend Geld für die Mine habe, um diese zu betreiben. Das würde sich lohnen, so Aron. Auf die Frage, warum Banken bei der Mine Kredite verweigert hätten, antwortete er einfach, dass die Banken nicht wüssten, was sie tun. Es gibt ja immer wieder umtriebige Manager, die mehr können, als nur das eigene Unternehmen zu führen. Doch das einer davon unter dem Dach des Kinobetreibers Goldminen betreiben möchte, finde ich abenteuerlich. Wenn nun Cannabis, Krypto, SPAC und IPO wieder zu den Favoriten der Anleger gehören, dann zeigt sich, dass Zocker am Werk sind. Diese Zocker gehen für das schnelle Geld kurzfristig rein und raus in/aus Aktien. Wenn wir nun also eine Verschnaufpause einlegen, dann werden diese Zocker flugs aus ihren Positionen getrieben. Für mich ist das ein technischer Vorgang. Damit bildet sich noch keine neue Richtung heraus. schauen wir mal, wie sich die wichtigsten Indikatoren im Wochenvergleich entwickelt haben: WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES INDIZES (31.03.22) Woche Δ Σ '22 Δ Dow Jones 34.572 -0,7% -4,9% DAX 14.446 1,0% -9,1% Nikkei 27.666 -1,7% -3,9% Shanghai A 3.441 2,2% -9,8% Euro/US-Dollar 1,10 0,5% -2,7% Euro/Yen 135,22 0,8% 3,4% 10-Jahres-US-Anleihe 2,36% -0,13 0,85 Umlaufrendite Dt 0,48% 0,12 0,76 Feinunze Gold $1.918 -1,7% 5,1% Fass Brent Öl $104,62 -12,7% 32,8% Kupfer $10.260 -1,3% 5,9% Baltic Dry Shipping $2.358 -8,1% 6,4% Bitcoin $46.498 5,1% -1,0% Der Ölpreis ist kräftig eingebrochen. Die Ursache dafür habe ich oben besprochen. Übrigens wussten Sie schon, dass Putin seine Gaslieferungen gar nicht so schnell einstellen kann? Er müsste das Gas abfackeln, denn andere Distributionswege als die Pipelines nach Europa hat er derzeit nicht. Ein Abfackeln würde bedeuten, täglich mehrere hundert Millionen Euro zu verbrennen. Oder aber er schließt die Bohrlöcher. Das Versiegeln kostet je Bohrloch 30-50.000 USD, es müssten tausende Bohrlöcher mit Zement zugeschüttet werden. Abgesehen von dem Preis ist es logistisch wohl kaum möglich, das in kurzer Zeit umzusetzen. Auch der Baltic Dry Verschiffungsindex ist kräftig eingebrochen. Nach Shenzen ist nun auch Shanghai im Lockdown. Irgendwie scheint man Corona in China noch nicht so wirklich im Griff zu haben. Da der Baltic Dry Verschiffungsindex maßgeblich von den Schiffsraten aus China abhängt, spiegeln sich im Preisrückgang bereits die Lockdowns einiger Regionen Chinas wider. | ||
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis) | ||
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